Internet-Ethiker Luciano Floridi Künstliche Intelligenz macht arbeitslos - gut so

Seite 3/4

"Wir sehen eine Veränderung des Gefühls für Privatheit"

Als Brexit-Wahlkämpfer kürzlich eine Website mit Wahlversprechen löschten, zeigten Sie auf Twitter einen Weg, wie man die Inhalte weiterhin findet. Seit Jahren plädieren Sie für ein öffentliches Internetarchiv. Warum ist das so entscheidend?

Löschen ist ein politischer Akt. Wenn Menschen versuchen, Dinge aus der Infosphäre zu entfernen, versuchen sie, unser Gedächtnis zu verändern. Wir dürfen das nicht zulassen. Geschichte ist entscheidend, um ein Gefühl dafür zu bekommen, was richtig und falsch lief und welche Fehler gemacht wurden. Deshalb müssen wir die Infosphäre schützen. Wir brauchen daher dringend Initiativen, die alles protokollieren, was online abläuft.

Klingt grauenhaft. Alles sichtbar, für immer.

Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich spreche ausschließlich über öffentliche Informationen: Medieninhalte, Politikeraussagen, Wahlkämpfe. Dinge, die die Menschen bewusst sichtbar gemacht haben. Es geht darum, Geschichte zu protokollieren. Wir sollten jederzeit die Möglichkeit haben, in der Infosphäre zurückzugehen, um nachzusehen, was jemand tatsächlich gesagt hat. Ich meine damit keine privaten Informationen und Inhalte.

Was Roboter schon heute alles können
Im Geschäft persönlich vom Roboter begrüßt zu werden - auch das kann bald für mehr Menschen Realität sein. „Pepper“ hat Knopfaugen, und er ist in astreinem Deutsch recht schonungslos: „Meiner bescheidenen Meinung nach ist dieses Modell nicht besonders schmeichelhaft für Ihre Figur. Dürfte ich Ihnen ein paar neu eingetroffene Modelle zeigen, die mir für Sie besonders gut gefallen?“ Eigene Infos werden per QR-Code auf dem Smartphone gespeichert, den der Roboter im Geschäft dann scannt. In Japan ist Pepper (von SoftBank) bereits aktiv. Quelle: dpa
„iPal“ ist ein künstlicher Freund und Spielgefährte. Der Roboter ist so groß wie ein sechsjähriges Kind. Er kann singen und tanzen, Geschichten vorlesen und spielen. Durch Gesichtserkennung und automatisches Lernen wird „iPal“ mit der Zeit immer schlauer. Er erinnert sich an Vorlieben und Interessen des Kindes. „iPal“ ist keine gefühllose Maschine“, behauptet John Ostrem vom Hersteller AvatarMind. „Er kann Emotionen erspüren und fühlt, wenn das Kind traurig ist.“ Der Roboter, der in rosa oder hellblau angeboten wird, übernimmt auch gleich ein paar vielleicht leidige Erziehungspflichten: Der eingebaute Wecker holt das Kind aus dem Schlaf. Die Wetter-App sagt ihm, was es anziehen soll, und eine Gesundheits-App erinnert ans Händewaschen. „iPal“ wurde vor allem für den chinesischen Markt entwickelt. Ostrem erläutert: „Dort gibt es in den Ein-Kind-Familien viele einsame Kinder, deren Eltern wenig Zeit haben und die einfach niemanden zum Spielen haben.“ Anfang 2016 soll es „iPal“ dort für etwa 1000 US-Dollar (knapp 900 Euro) geben. Quelle: dpa
Wer auf Reisen die Zahnbürste vergessen hat, kann sie bald von einer freundlichen Maschine aufs Zimmer gebracht bekommen. „Relay“, der Service-Roboter, wird in einigen US-Hotels im Silicon Valley getestet. Die Rezeptionistin legt Zahnbürste, Cola oder Sandwich in eine Box im Roboter, dann gibt sie die Zimmernummer des Gastes ein. „Relay“ kann sich selbst den Fahrstuhl rufen – auch wenn er noch ziemlich lange braucht, um wirklich einzusteigen. Er scannt vorher sehr ausgiebig seine gesamte Umgebung, um ja niemanden umzufahren. Vor der Zimmertür angekommen, ruft der Roboter auf dem Zimmertelefon an. Wenn der Hotelgast öffnet, signalisiert ihm „Relay“ per Touchscreen: Klappe öffnen, Zahnbürste rausnehmen, Klappe wieder schließen. „Das Hotel ist für uns erst der Anfang“, sagt Adrian Canoso vom Hersteller Savioke. „Wir wollen „Relay“ auch in Krankenhäuser, Altenheime und Restaurants bringen, einfach überall dahin, wo Menschen essen oder schlafen.“ Quelle: PR
„Budgee“ trägt die Einkäufe und rollt hinterher. Per Funksender in der Hand oder am Gürtel gesteuert, kann er bis zu 22 Kilogramm schleppen, so der US-Hersteller. Er folgt Herrchen oder Frauchen mit mehr als 6 Kilometern pro Stunde. Die Batterie hält angeblich zehn Stunden. „Budgee“ lässt sich zusammenklappen und im Kofferraum verstauen. Die ersten Vorbestellungen werden ausgeliefert, Stückpreis rund 1400 US-Dollar. Quelle: PR
Roboter können nicht nur Einkäufe schleppen, sondern auch für viele Menschen unliebsame Arbeiten im Haushalt abnehmen – und damit sind nicht nur die Staubsaug-Roboter gemeint. Der „PR2“ des Institute for Artificial Intelligence (IAI) der Universität Bremen kann auch in der Küche zur Hand gehen, zumindest in der Laborküche. Quelle: dpa
Ja, heutige Roboter können bereits feinmotorische Aufgaben übernehmen und etwa zuprosten, ohne dass das Sektglas zu Bruch geht. Das ist aber nicht die Besonderheit an diesem Bild. Der Arm rechts gehört Jordi Artigas, Wissenschaftler am Institut für Robotik und Mechatronik des Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Oberpfaffenhofen bei München. Der Roboterarm wird von Sergei Wolkow gesteuert – und der war nicht in Oberpfaffenhofen, sondern auf der Internationalen Raumstation ISS, wie im Hintergrund auf dem Monitor schemenhaft zu erkennen ist. Der „Tele-Handshake“ war nach Angaben des DLR ein weltweit einzigartiges Experiment. Quelle: dpa
Solche Aufgaben, wie etwa dieses Zahnrad zu greifen und weiterzugeben, konnte der DLR-Roboter „Justin“ schon 2012. Dass er aus dem All gesteuert wird, ist jedoch neu und bislang einzigartig. Quelle: dpa

Dennoch könnte das unser Verhalten verändern. Wer traut sich heute noch, laut zu singen, wenn das Gegenüber ein Smartphone zückt? Niemand will peinlicher YouTube-Star sein.

Ja, wir sehen eine Veränderung des Gefühls für Privatheit. Wir haben als Gesellschaft stets neue Antworten auf die Frage, was öffentlich ist, was nicht und für wen. Für meine Großmutter war Küssen in der Öffentlichkeit undenkbar. Für meine Eltern schon okay. Und heute sind viele Menschen diesbezüglich völlig freizügig und gleichzeitig total sensibel und zurückhaltend, wenn es um ihre persönlichen Interessen geht. Es bedeutet nicht das Ende der Privatsphäre, es bedeutet eine andere Privatsphäre.

Doch in der Infosphäre sind die Folgen von Sichtbarkeit dauerhafter.

Das ist eben ein kultureller Wandel. Die Gesellschaft wird das von alleine lernen, so wie wir gelernt haben, sicher über Straßen zu kommen. Die jetzige Generation wird der nächsten beibringen, wie man in diesem Mix aus Online- und Offlinerealität am besten unterwegs ist.

Sie gehören zum Google-Expertenrat zum sogenannten Recht auf Vergessenwerden. Kollidiert Googles Größe nicht mit Ihrem Ansatz, die Macht großer Konzerne im Netz einzudämmen?

Ja, aber der Konzern ist nicht das einzige Gebilde, das zu viel Macht konzentriert. Ich denke auch an Amazon, Apple und Facebook. Sie haben das Machtvakuum gefüllt, das die Politik versäumt hat. Als das Internet etwas signifikant Alltägliches wurde, begriff die politische Klasse nicht, dass diese digitale Revolution mehr ist als ein sozialer Wandel. Nun ist diese Infosphäre in der Hand weniger privater Konzerne. Sie beeinflussen gleichzeitig, was in der analogen Welt passiert. Die erste Erscheinung des türkischen Präsidenten Erdoğan nach dem gescheiterten Putschversuch war in der FaceTime-App auf einem Apple iPhone. Ich bin besorgt, dass diejenigen, die Kontrolle über entscheidende Fragen haben, die Antworten und letztlich die Realität gestalten.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%