Internet-Wahlkampf Die Lektionen vom Daten-König Obama

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Obama war skrupelloser als Romney

Die Pannen bei den Wahlen
Es klingt wie in einem schlechten Film: Im Bundesstaat Pennsylvania leuchtete auf einem Wahlautomat konstant der Name Mitt Romneys auf. Auch dann, als der Wähler auf Obama gedrückt hatte. Ein Behördensprecher versicherte später, die "kleine Macke" sei behoben und der Apparat wieder in Dienst gestellt worden. Quelle: dapd
Wählen, auch wenn die Wahllokale schon geschlossen sind: In Miami-Dade County in Florida standen noch über vier Stunden nach der offiziellen Schließung der Wahllokale Bürger zur Stimmabgabe an, selbst als Präsident Barack Obama längst als Sieger feststand. Auch aus Virginia, South Carolina, Tennessee und anderen Staaten wurden lange Wartezeiten gemeldet. Doch Politiker und Prominente riefen den Bürgern Mut zu: Sie nutzten soziale Netzwerke dazu, die Wahlwilligen bei der Stange zu halten. "Bleibt in der Schlange", appellierte etwa die demokratische Politikerin Tammy Baldwin aus Wisconsin an ihre Wähler. "Wenn ihr bei Schließung eures Wahllokals angestanden habt, habt ihr immer noch das Recht auf Stimmabgabe", twitterte Filmregisseur Spike Lee. In den meisten Staaten dürfen Wartende auch nach der Schließung der Wahllokale noch wählen. Quelle: dapd
Ein weiteres Problem gab es in Pennsylvania nach Angaben der Behörden bei der Zulassung von Wählern. Ein Gesetz, das einen Lichtbildausweis zur Pflicht machte, um wählen zu können, wurde erst kurz vor der Wahl von einem Richter aufgehoben. In mehreren Wahllokalen sollen Helfer aber trotzdem Lichtbildausweise verlangt haben. Es war nicht klar, wie viele Wähler deshalb abgewiesen wurden. Auch in anderen Bundesstaaten wurde von ähnlichen Vorfällen berichtet. Eine Wahlrechtsgruppe bekam deswegen im Laufe des Tages bis zu 71.000 Anrufe, wie die Nachrichtenagentur Bloomberg berichtet. Pennsylvania ist einer von neun US-Bundesstaaten, die Gesetze zur Identifizierung der Wähler verabschiedet hatten. In 17 Staaten müssen die Wähler irgendeine Art von Lichtbildausweis vorlegen. In den Vereinigten Staaten gibt es keinen Personalausweis (wie im Bild) im eigentlichen Sinne. Als Identifikation wird entweder der Führerschein oder die Sozialversicherungsnummer angegeben. Quelle: dpa
In Pinellas County im Bundesstaat Florida erhielten laut Angaben der Nachrichtenagentur Bloomberg mehr als 12.000 Wähler einen automatisierten Anruf vom zentralen Wahlbüro. Die Benachrichtigten hätten bis um sieben Uhr abends Zeit, noch wählen zu gehen. Und zwar bis Mittwoch, dabei dürfen die Wähler im Normalfall nur am Dienstag ihre Stimmen abgeben. Das Wahlbüro tätigte nochmal einen Anruf - und teilte den Wählern die richtigen Informationen mit. Auch in Washington ereilte ein automatisierter Anruf der demokratischen Partei einige Bürger, mit der Information, auch am Mittwoch wählen zu gehen. Die Partei korrigierte daraufhin die Informationen. Quelle: dpa
In New Jersey scheiterte die American Civil Liberties Union dabei, für Opfer des Hurrikan Sandys eine Verlängerung für die Stimmenabgabe zu erlangen. Ein Richter stoppte die Forderung der Organisation, wonach obdachlose Wähler bis zum 9. November Zeit gehabt hätten, um ihre Stimme gültig abzugeben. Quelle: Reuters
Der von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) als Wahlbeobachter zur US-Wahl entsandte Bundestagsabgeordnete Jürgen Klimke äußerte sich gegenüber der Zeitung "Die Welt" kritisch über die Wahlabläufe. Klimke, der sich in den Staaten Virginia, Maryland und Washington D.C. ein Bild von den Wahlabläufen machte, beklagte, dass die OSZE-Vertreter in ihrer Arbeit eingeschränkt wurden. "Wir durften nicht so agieren wie bei Wahlbeobachtungen in anderen Ländern". Normalerweise bekomme er eine Liste von Wahllokalen und entscheide selbst, in welches er gehe. "Das ist hier nicht möglich", sagte der CDU-Politiker. Den Wahlbeobachtern seien die Wahllokale vorgegeben worden, die man besuchen dürfe. "Eine breite Überprüfung war damit gar nicht möglich", sagte Klimke. Die OSZE hat nach Angaben Klimkes 80 Wahlbeobachter zur US-Wahl entsandt. Quelle: REUTERS

Gerade ist Big Data, das Sammeln und Analysieren riesiger Datenmengen, nach Cloud Computing und Social Media der neueste Technikhype. Mithilfe der dabei gewonnenen Informationen präsentierten die Parteien maßgeschneiderte Anzeigen im Internet. Fast ein Drittel der Wähler schaue keine Fernsehsendungen mehr live, erklärt Zac Moffatt, Chef von Romneys Digitalkampagne. Sie zeichnen Sendungen höchstens auf oder gucken Filme gleich online. Da traditionelle TV-Spots diese Menschen nicht erreichen, setzten die Wahlkämpfer auf Internet-Werbung. 160 Millionen Dollar wurden nach Schätzungen dafür ausgegeben, vor vier Jahren waren es nur 20 Millionen Dollar.

Die Cookies des Präsidenten

Von dem Erfolgsrezept wollen auch deutsche Parteien profitieren. „Gezielte Online-Werbung wird auch für uns ein großes Thema“, sagt der Bundestagsabgeordnete Thomas Jarzombek. Der CDU-Politiker hat schon vor vier Jahren als einer der ersten deutschen Politiker Werbung bei Facebook geschaltet. Zur Bundestagswahl will Jarzombek das noch intensivieren. „Wir müssen die Werbung besser darauf zuschneiden, wo die Leute wohnen und was da die Themen sind“, sagt der Politiker. Auch er will sich dazu in den USA informieren, allerdings erst jetzt – nach der Wahl.

„Man wird darüber noch einiges mehr erfahren, als bisher nach außen gedrungen ist“, vermutet Malte Spitz, Netzpolitiker der Grünen, der den Wahlkampf ebenfalls genau beobachtet hat. Er betrachtet Obamas Kampagne allerdings nicht als Vorbild. „Als Datenschützer stehe ich solchen Praktiken mehr als skeptisch gegenüber.“

Die Skurrilitäten der US-Präsidenten
Die 44 Präsidenten, die die USA bislang sahen, bilden ein buntes Bild: Emsige und Faulpelze, Asketen und Schwelger, Langeweiler und Trunkenbolde. Quelle: AP
Einer der großen Präsidenten der amerikanischen Geschichte war William Howard Taft (1909 bis 1913) sicher nicht. Aber der schwerste. Mit gut 150 Kilo schaffte er etwas, was keinem anderem Präsidenten gelang: Er steckte in der Badewanne des Weißen Hauses fest. Die Mitarbeiter mussten ihn mit Butter einschmieren und befreien. Quelle: dpa
Zu den Stilleren gehört zweifelsohne Calvin Coolidge (auf dem Bild mittig mit Ball und Hut). Er galt als guter Redner - aber miserabler Smalltalker. Bei einem Essen saß die Schriftstellerin Dorothy Parker neben „Silent Cal“ und sagte, sie habe gewettet, mehr als zwei Worte aus ihm herauszubekommen. Coolidge guckte sie an, sagte nur „Wette verloren“ - und schwieg den Rest des Abends. Parker rächte sich 1933. Als sie vom Tod Coolidges erfuhr, sagte sie trocken: „Woran habt Ihr gemerkt, dass er tot ist?“ Quelle: dapd
Wenige Wochen später wurde Franklin D. Roosevelt Präsident der USA (hier auf einer Bank mit Winston Churchill (links) und Josef Stalin (rechts). Er war reich, brauchte aber die Reichen als Wahlkampfspender. Als einer im Gegenzug Botschafter in London werden wollte, sagte Roosevelt, er solle die Hosen runterlassen. Der verblüffte Millionär tat es, weil er den Posten unbedingt wollte. Roosevelt sagte, er habe nur die Beine prüfen wollen, schließlich müsse der Botschafter vor dem König Kniebundhosen tragen „und Du bist der krummbeinigste Mann, den ich je sah, Joe“. Der Mann bekam den Job, aber es war eine gezielte Demütigung gegen einen Emporkömmling, den Roosevelt hasste: Joseph Kennedy, Vater des späteren Präsidenten John F. Kennedy. Quelle: dpa
Roosevelt war auch der Präsident mit der längsten Amtszeit: Vier Wahlperioden, auch wenn er zu Beginn der vierten starb. Die kürzeste hatte William Henry Harrison (auf dem Bild als Wachsfigur rechts). Er war 1841 mit 68 Jahren der älteste Präsident, den die USA in ihren ersten 200 Jahren hatten. Erst Ronald Reagan war 1981 ein Jahr älter. Um seine Robustheit zu beweisen, hielt Harrison seine gut zweistündige Rede zur Amtseinführung ohne Hut und Mantel. Eine schlechte Idee: Der geschwächte Senior holte sich später eine Lungenentzündung und starb - nach gerade einmal 30 Tagen im Amt. Quelle: WirtschaftsWoche
Bei James Buchanan (1857-1861) weiß man hingegen, was zu seinem Tod zumindest beitrug: Buchanan nutzte seine sonntäglichen Ausritte, um sich volllaufen zu lassen. Auch sein Vorgänger trank. Dieser Franklin Pierce (1853-1857) hatte jedoch auch Schicksalsschläge hinnehmen müssen: Alle seine drei Söhne starben noch als Kinder. „Es gibt nichts mehr zu tun, als betrunken zu werden“, sagte er resignierend. Für spätere Präsidenten war Alkohol im Weißen Haus hingegen tabu, selbst bei Staatsempfängen. Eine der eifrigsten Verfechterinnen war Präsidentengatin Lucy Webb Hayes - in die Geschichtsbücher eingegangen als „Lemonade Lucy“. Quelle: dpa/dpaweb
Einem Nachfolger wurde neun Jahre später hingegen Wärme zum Verhängnis. Zachary Taylor nahm am 4. Juli 1850 in brütender Hitze die Parade zum Nationalfeiertag ab. Nach der stundenlangen Zeremonie kippte der Ex-General Eiswasser in sich hinein und aß unreifes Obst. Seine Verdauung rebellierte und fünf Tage später war Taylor tot. Bis heute halten sich Gerüchte, der Präsident sei mit Gift gemeuchelt worden. Eine Exhumierung 1991 brachte aber keine Hinweise. Quelle: REUTERS

Selbst in den USA könnten die Werbemethoden des Präsidenten noch für Diskussionen sorgen. Schließlich waren es vor allem Demokraten, die im US-Senat einen besseren Schutz der Privatsphäre von Internet-Nutzern forderten. Debattiert wurde dabei insbesondere die Do-not-track-Initiative: Unternehmen wie Microsoft ermöglichen ihren Nutzern dabei, die Überwachung des Surfverhaltens einfacher abzuschalten. Es sind vor allem die Cookies, kleine Programme auf dem Rechner, die jede aufgerufene Internet-Seite speichern und an die Werbevermarkter weitergeben.

Doch wenn es um den eigenen politischen Erfolg geht, ist Datenschutz für Obama ein Fremdwort.

Beim Einsatz der Spähprogramme war der Präsident viel skrupelloser als die vermeintlich so rabiate Ex-Heuschrecke Romney: Gleich 87 solcher Cookies platzierte sein Team auf den Rechnern von Besuchern der Seite von BarackObama.com. Wahlverlierer Romney begnügte sich mit gut der Hälfte, und selbst viele Unternehmen sind bei der Nutzerverfolgung deutlich zurückhaltender.

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