Interview mit Rolf Pfeifer "Maschinen haben das Kommando übernommen"

Der europäische Vordenker für künstliche Intelligenz, Rolf Pfeifer, spricht über die Verschmelzung von Mensch und Maschine, unsere Abhängigkeit von Technologien und ein Internet für Roboter.

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Rolf Pfeifer hält intelligente Roboter für Zukunftsmusik aber lernen können sie schon allemal. Quelle: Tanja Demarmels für WirtschaftsWoche

Grau hängt der Nebel an diesem nasskalten Dezembertag über Zürich und verhüllt das umliegende Bergpanorama. Doch das miese Wetter kann Rolf Pfeifer die Laune nicht verderben. Der 66-jährige Physiker und Mathematiker, der an der Universität Zürich seit 1987 das Labor für Künstliche Intelligenz (KI) leitet, ist gerade aus Paris zurückgekehrt. Er hat dort die französische Ausgabe seines Buchs "The Revolution of Embodied Intelligence" vorgestellt.

Pfeifer ist eine Koryphäe der KI-Forschung. Zu seinen besten Freunden zählt Rodney Brooks, legendärer Roboterpionier am Massachusetts Institute of Technology (MIT). Als einer der Ersten erkannte Pfeifer, dass sich Verstand nicht von außen als fertiges Computerprogramm einhauchen lässt. Der Geist brauche einen Körper, um sich entfalten zu können, proklamierte der Schweizer Vordenker schon in den Neunzigerjahren – und kam so zu den Robotern.

Heute ist seine These weithin anerkannt. Und damit seine Maschinenkreationen so viel Sinneseindrücke wie möglich sammeln können, rüstet er ihren Bewegungsapparat anatomisch korrekt mit künstlichen Sehnen, Muskeln und Knochen statt mit bloßen Elektromotoren aus. Im Roboy, der dieses Jahr weltweit Aufmerksamkeit weckte, hat er diese Prinzipien perfektioniert. Das Kerlchen kann winken, die Arme ausbreiten und Hände schütteln. Das ist schon eine ganze Menge für einen Roboter.

Der Beginn einer neuen Ära

Gerade kursieren wieder einmal wilde Prophezeiungen in der Szene. Etwa die des US-amerikanischen Technologie-Visionärs Ray Kurzweil, dessen Dienste sich der Internet-Gigant Google gesichert hat. Er behauptet, wir alle würden uns in wenigen Jahrzehnten technisch zu Supermenschen aufrüsten und dazu mit den Maschinen zu Cyborgs verschmelzen. Pfeifer – kurzes graues Haar, drahtige Figur, wache Augen hinter den Brillengläsern – belustigen solche Vorstellungen. "Da wird maßlos übertrieben." Doch auch er sieht den Beginn einer neuen Ära heraufziehen, in der Roboter bald wie selbstverständlich unter uns leben. Wenn ein Konzern wie Google jetzt in die Robotik einsteige, dann sei das ein starkes Aufbruchssignal, glaubt er.

Mitte nächsten Jahres wird Pfeifer aus Altersgründen an der Uni Zürich ausscheiden. Ob er dann durch die Schweizer Bergwelt streifen wolle? Pfeifer winkt ab. Ruhestand, das ist nichts für ihn. Und Zürich sei ihm, ehrlich gesagt, zu eng. "Nach einiger Zeit kann ich dort nicht mehr atmen."

Stattdessen wird er eine Wohnung in Shanghai nehmen und mit Forschern der Jiao-Tong-Universität eine Weinhandlung eröffnen. Eine besondere natürlich. In ihr sollen Roboter mit den Kunden plaudern und sie bei der Weinauswahl beraten. Die elektronischen Verkäufer erkennen Stammkunden an ihrem Gesicht und merken sich, welche edle Tropfen sie bevorzugen. Sogar Gläser sollen die Maschinen zur Verkostung füllen können. Nur zum Entkorken der Flaschen brauchen sie Unterstützung. Diese für den Menschen einfache Handlung ist für einen Roboter noch immer viel zu kompliziert.

WirtschaftsWoche: Herr Pfeifer, kennen Sie Stanley Kubricks Kinofilm "2001 – Odyssee im Weltraum"?

Rolf Pfeifer: Oh ja, ich habe ihn als damals junger Wissenschaftler mehrmals gesehen und fand ihn äußerst visionär und fesselnd.

Auch etwas beunruhigend? Denn als die Besatzung des Raumschiffs entdeckt, dass der Bordcomputer technische Probleme hat, will sie ihn abschalten. Der merkt das, verselbstständigt sich und will die Astronauten töten. Rückt ein Szenario, in dem Maschinen die Herrschaft übernehmen, nach heutigem Forschungsstand bei künstlicher Intelligenz näher?

Nein. Das ist noch auf längere Zeit reine Science-Fiction. Aktuell braucht sich niemand zu sorgen, wir könnten die Kontrolle verlieren.

Aber technische Systeme können doch immer mehr. Daimler und Google entwickeln selbstfahrende Autos, der Versandhändler Amazon und die Deutsche Post wollen Pakete von autonomen Drohnen zustellen lassen, in Japan waschen Roboter in Friseurläden Kunden die Haare.

Das ist sehr beeindruckend und doch nicht wirklich neu. Bei Einzeltätigkeiten, sei es Schach spielen, an der Börse handeln oder schweißen, sind uns Rechenalgorithmen und Maschinen doch schon länger überlegen. Sie sind schneller, besser, präziser, billiger, arbeiten klaglos und ermüden nie. Das haben wir seit Langem akzeptiert. Und jetzt kommen einfach neue Tätigkeiten hinzu.

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