Fragt man Torsten Jeworrek nach Innovationen in seinem Konzern, fällt als erstes meist das Wort Cyberversicherung. Jeworrek ist im Vorstand der Munich Re zuständig für das Rückversicherungsgeschäft und glaubt, schon in wenigen Jahren könne das weltweite Prämienaufkommen bei den Policen zum Schutz vor Hackerangriffen auf zehn Milliarden Dollar steigen.
Zurzeit fließen weltweit jedes Jahr rund drei Milliarden Dollar an Prämien in Cyberversicherungen, der größte Teil davon allerdings in den USA. Zwar stellen sich in Deutschland immer mehr Versicherer die Policen gegen Cyberattacken und Hackerangriffe ins Regal, die Cyberversicherung ist das große Modethema der Branche. Doch die Nachfrage nach den neuen Produkten ist bislang mau.
Die Allianz-Tochter AGCS etwa, größter Industrieversicherer hierzulande, erzielte mit seinen Cyberprodukten im vergangenen Jahr in Deutschland gerade Mal Prämieneinnahmen im mittleren zweistelligen Millionenbereich. In den vergangenen Monaten stellen die Münchner allerdings eine anziehende Nachfrage fest. „Die Umsetzung der europäischen Datenschutzrichtlinie wird einen weiteren Nachfrageschub bringen“, glaubt Jens Krickhahn, bei AGCS zuständig für das Geschäft mit Cyberversicherungen. Die Allianz-Tochter bietet Unternehmen Versicherungsschutz bis 100 Millionen Euro und zählt vor allem Dax- und M-Dax-Konzerne zu ihren Kunden.
„Die großen Unternehmen haben bei der IT-Sicherheit ihre Hausaufgaben gemacht, die kleineren haben allerdings noch Nachholbedarf“, sagt Krickhahn.
Die Munich-Re-Tochter Ergo hat seit Oktober neben einem Vollprodukt vor allem für den Mittelstand eine Cyberversicherung für Unternehmen mit einem Umsatz bis eine Million Euro im Angebot. Die Police deckt im Wesentlichen die IT-Schäden im eigenen Unternehmen ab, allerdings keine Haftpflichtschäden. „Der Dachdecker, der Handwerker um die Ecke, der sich um sein Geschäft kümmern muss und keine Zeit für IT-Sicherheit hat“, beschreibt Ralf Knispel, bei Ergo unter anderem für das Cybergeschäft verantwortlich, die Klientel. Einige Hundert Policen hat der Versicherer aus Düsseldorf bislang verkaufen können. „Noch nicht der große Hype“, räumt Knispel ein, „aber es tut sich was.“
Angriffsziele von aufsehenerregenden Cyberangriffen
Im Dezember 2015 fiel für mehr als 80.000 Menschen in der Ukraine der Strom aus. Zwei große Stromversorger erklärten, die Ursache sein ein Hacker-Angriff gewesen. Es wäre der erste bestätigte erfolgreiche Cyberangriff auf das Energienetz. Ukrainische Behörden und internationale Sicherheitsexperten vermuten eine Attacke aus Russland.
Im Februar 2016 legt ein Erpressungstrojaner die IT-Systeme des Lukaskrankenhauses in Neuss lahm. Es ist die gleiche Software, die oft auch Verbraucher trifft: Sie verschlüsselt den Inhalt eines Rechners und vom Nutzer wird eine Zahlung für die Entschlüsselung verlangt. Auch andere Krankenhäuser sollen betroffen gewesen sein, hätten dies aber geheim gehalten.
Ähnliche Erpressungstrojaner trafen im Februar auch die Verwaltungen der westfälischen Stadt Rheine und der bayerischen Kommune Dettelbach. Experten erklären, Behörden gerieten bei den breiten Angriffen eher zufällig ins Visier.
In San Francisco konnte man am vergangenen Wochenende kostenlos mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren, weil die rund 2000 Ticket-Automaten von Erpressungs-Software befallen wurden. Laut einem Medienbericht verlangten die Angreifer 73 000 Dollar für die Entsperrung.
Im Mai 2015 fallen verdächtige Aktivitäten im Computernetz des Parlaments auf. Die Angreifer konnten sich so weitreichenden Zugang verschaffen, das die Bundestags-IT ausgetauscht werden. Als Urheber wird die Hacker-Gruppe APT28 vermutet, der Verbindungen zu russischen Geheimdiensten nachgesagt werden.
Die selbe Hacker-Gruppe soll nach Angaben amerikanischer Experten auch den Parteivorstand der Demokraten in den USA und die E-Mails von Hillary Clintons Wahlkampf-Stabschef John Podesta gehackt haben. Nach der Attacke im März wurden die E-Mails wirksam in der Schlussphase des Präsidentschaftswahlkampfs im Oktober 2016 veröffentlicht.
APT28 könnte auch hinter dem Hack der Weltdopingagentur WADA stecken. Die Angreifer veröffentlichen im September 2016 Unterlagen zu Ausnahmegenehmigungen zur Einnahme von Medikamenten, mit einem Fokus auf US-Sportler.
Ein Angriff, hinter dem Hacker aus Nordkorea vermutet wurden, legte im November für Wochen das gesamte Computernetz des Filmstudios lahm. Zudem wurden E-Mails aus mehreren Jahren erbeutet. Es war das erste Mal, dass ein Unternehmen durch eine Hackerattacke zu Papier und Fax zurückgeworfen wurde. Die Veröffentlichung vertraulicher Nachrichten sorgte für unangenehme Momente für mehrere Hollywood-Player.
Bei dem bisher größten bekanntgewordenen Datendiebstahl verschaffen sich Angreifer Zugang zu Informationen von mindestens einer Milliarde Nutzer des Internet-Konzerns. Es gehe um Namen, E-Mail-Adressen, Telefonnummern, Geburtsdaten und verschlüsselte Passwörter. Der Angriff aus dem Jahr 2014 wurde erst im vergangenen September bekannt.
Ein Hack der Kassensysteme des US-Supermarkt-Betreibers Target macht Kreditkarten-Daten von 110 Millionen Kunden zur Beute. Die Angreifer konnten sich einige Zeit unbemerkt im Netz bewegen. Die Verkäufe von Target sackten nach der Bekanntgabe des Zwischenfalls im Dezember 2013 ab, weil Kunden die Läden mieden.
Eine Hacker-Gruppe stahl im Juli 2015 Daten von rund 37 Millionen Kunden des Dating-Portals. Da Ashley Madison den Nutzern besondere Vertraulichkeit beim Fremdgehen versprach, erschütterten die Enthüllungen das Leben vieler Kunden.
Im Frühjahr 2016 haben Hacker den Industriekonzern Thyssenkrupp angegriffen. Sie hatten in den IT-Systemen versteckte Zugänge platziert, um wertvolles Know-how auszuspähen. In einer sechsmonatigen Abwehrschlacht haben die IT-Experten des Konzerns den Angriff abgewehrt – ohne, dass einer der 150.000 Mitarbeiter des Konzerns es mitbekommen hat. Die WirtschaftsWoche hatte die Abwehr begleitet und einen exklusiven Report erstellt.
Im Mai 2017 ging die Ransomware-Attacke "WannaCry" um die Welt – mehr als 200.000 Geräte in 150 Ländern waren betroffen. Eine bislang unbekannte Hackergruppe hatte die Kontrolle über die befallenen Computer übernommen und Lösegeld gefordert – nach der Zahlung sollten die verschlüsselten Daten wieder freigegeben werden. In Großbritannien und Frankreich waren viele Einrichtungen betroffen, unter anderem Krankenhäuser. In Deutschland betraf es vor allem die Deutsche Bahn.
Dabei ist die Gefahr, Opfer einer Cyberattacke zu werden, inzwischen gewaltig. In einschlägigen Umfragen nennen Unternehmen Cyberkriminalität als das Risiko Nummer eins für ihr Geschäft. Weltweit verursachten Netzattacken auf Unternehmen zuletzt wirtschaftliche Schäden in Höhe von 445 Milliarden Dollar; in Deutschland waren es 59 Milliarden Dollar.
Betroffen sind alle: von Großkonzernen wie Yahoo, deren Kundendaten gestohlen wurden, über die Bundesregierung, bis zum kleinen Mittelständler. In den USA bieten Versicherungskonzerne deshalb bereits seit einigen Jahren Cyberversicherungen an, in Europa und in Deutschland entwickelt sich der Markt erst seit etwa zwei Jahren. Insgesamt 15 Anbieter haben hierzulande entsprechende Produkte im Programm, dazu kommen einige europäische Versicherer.
Die Zurich Gruppe bietet seit 2013 eine Cyberversicherung an, seit Mitte 2014 hat auch die französische Axa Versicherung AG eine Versicherung gegen Hackerattacken & Co. im Portfolio. Zunächst sei die Nachfrage nach Byte Protect, so heißt die Police, noch schwach gewesen, sagt Johannes Beckers, Experte für Cyberrisiken bei Axa. Vergleiche man aber die Jahre 2016 und 2017, so habe es einen Nachfrageanstieg von mehr als 500 Prozent gegeben. Angriffe wie Golden Eye oder jetzt WannaCry schüren die Angst der kleinen und mittelständischen Unternehmen – gut für die Versicherer. „Es kommt nicht so oft vor, dass in der Versicherungsbranche Produkte neu auf den Markt kommen, die es so vorher noch nicht gegeben hat“, sagt Beckers. So etwas nennt man Innovation.
Bei der Schuldfrage wird es oft kniffelig
Die Unternehmen können die Police als Zusatzbaustein zu einer gewöhnlichen Betriebshaftpflichtversicherung kaufen. Kostenpunkt: ab 190 Euro. Wer die Cyberversicherung als Stand-Alone Lösung abschließt, zahlt ab 1000 Euro jährlich für den Schutz gegen Hackerattacken, abhängig von der Unternehmensgröße, dem zu versichernden Hauptrisiko und dem Selbstbehalt. Dieser beträgt im Schadensfall mindestens 1000 Euro.
Bei produzierenden Betrieben sei die Betriebsunterbrechung das größte Risiko, sagt Beckers. Stehen smarte Maschinen auf einmal still, könne die komplette Produktion lahm gelegt werden. Hier übernimmt dann die Versicherung. Diese hafte für Eigen- und Drittschäden. Das heißt: Wenn über Firmenrechner ein Virus in das System von Geschäftspartnern eingeschleust wird, zahlt die Versicherung genauso, wie bei Trojanern, die nur das eigene System schädigen. Bei der Schuldfrage werde es allerdings kniffelig, sagt Axa-Mann Beckers. „Wenn in einem Betrieb ein Feuer ausbricht, kann man sagen, eine Sprinkleranlage hätte das schlimmste verhindern können. So einfach ist das bei Cyberangriffen natürlich nicht.“ Schließlich könne auch die Antivirensoftware oder die Firewall zum Einfallstor für Hacker werden, oder auch ein zur falschen Zeit aufgespieltes Update. „Ein Fenster schließt sich, ein anderes öffnet sich“, warnt auch die Allianz-Tochter AGCS.
Die Axa-Police greift auch bei menschlichem Versagen der eigenen Belegschaft, nämlich beim sogenannten CEO-Fraud. Bei dieser Variante des Enkeltricks geben sich Betrüger als Unternehmenschefs aus und ordnen per Mail Überweisungen für angebliche Übernahme-Deals auf geheime Konten an. Diese Form des Betrugs funktioniert erschreckend gut und hat schon zahlreiche Mittelständler um große Summen erleichtert.
Mit einem bislang einzigartigen Bündel-Angebot wirbt der Industrieversicherer HDI seit vergangenem Herbst speziell um kleinere und mittlere Betreiber von Online-Shops und -Auftritten. AssuredSecurity heißt die Kombi-Offerte die der HDI gemeinsam mit dem IT-Dienstleister Cocus aus Eschborn entwickelt hat.
Das Paket reicht vom regelmäßigen, automatischen Sicherheits-Check der Web-Angebote auf alle relevanten Sicherheitslücken über konkrete Handlungsanweisungen und Reparaturvorgaben bis hin zur Vermittlung von Technikspezialisten oder Unterstützung bei der Krisen-Öffentlichkeitsarbeit in Schadensfällen.
Zudem kommt die Versicherung – je nach gewähltem Tarif – für Eigenschäden oder Haftpflichtansprüche Dritter auf, falls Hacker nach einem bestandenen Sicherheitscheck trotzdem in die Systeme eindringen. Je nach Umfang der gewünschten Deckungssumme liegen die monatlichen Beiträge zwischen knapp 20 und 150 Euro.
Interessant ist, dass die Kombination aus dem von Cocus entwickelten externen Sicherheitscheck und der HDI-Versicherungsleistung im Schadensfall klar definiert, wann die Versicherung eintreten muss. Der Cocus-Check setzt auf mehreren parallel arbeitenden Sicherheitsscannern auf, die ihrerseits die jeweils vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik als kritisch identifizierten Schwachstellen abprüfen. Stoßen die Prüfroutinen auf Risiken, bekommt der versicherte Online-Unternehmer 90 Tage Zeit, die Mängel zu beheben, in der die Versicherung im Schadensfall trotzdem zahlt. Erst anschließend geht das Risiko auf den Versicherten über, der auf möglichen Schäden sitzen bleibt, sofern Hacker die benannten Sicherheitslücken ausnutzen.
Zur Akzeptanz der AssuredSecurity-Policen bei den potenziellen Kunden halten sich die Partner noch bedeckt. Derzeit sei der Markt für entsprechende Angebote noch in einem frühen Stadium, heißt es, aber die Nachfrage ziehe erkennbar an.