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James Goodnight "Algorithmen retten Leben"

Der Chef des Softwareherstellers SAS über die wachsende Datenflut, selbst lernende Software und den Schutz vor Terroranschlägen.

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James Goodnight Quelle: Laif

WirtschaftsWoche: Herr Goodnight, im Zeitalter von Big Data explodiert die Menge an Information geradezu. Erstickt die Informationstechnik an der Datenflut?

James Goodnight: Es stimmt, die Datenmengen wachsen in der Tat schneller, als die Chips an Tempo zulegen. Trotzdem hält der Leistungsanstieg der IT als Ganzes mit den Daten mit.

Ist das kein Widerspruch?

Nur scheinbar. Die IT ändert sich gerade grundlegend: Es zählt nicht mehr so sehr, wie schnell ein einzelner Chip rechnet, sondern wie stark das Gesamtsystem ist.

Wie Big Data Ihr Leben verändert
Dicht an dicht: Wenn die Autos auf der Straße stehen, lässt sich das mit moderner Technologie leicht nachvollziehen. Zum einen gibt es Sensoren am Straßenrand, zum anderen liefern die Autos und die Smartphones der Insassen inzwischen Informationen über den Verkehrsfluss. Diese Daten lassen sich in Echtzeit auswerten und mit Erfahrungswerten abgleichen – so wird klar, wo gerade ungewöhnlich viel los ist und beispielsweise eine Umleitung Sinn ergeben würde. Ein Pilotprojekt dazu lief in der Rhein-Main-Region, allerdings nur mit rund 120 Autos. Langfristig ist sogar das vollautomatische Autofahren denkbar – der Computer übernimmt das Steuer. Eines ist aber klar: Alle Big-Data-Technologien helfen nichts, wenn zu viele Autos auf zu kleinen Straßen unterwegs sind. Quelle: dpa
Fundgrube für Forscher: Google Books ist nicht nur eine riesige digitale Bibliothek. Die abertausenden eingescannten Texte lassen sich auch bestens analysieren. So kann nachvollzogen werden, welche Namen und Begriffe in welchen Epochen besonders häufig verwendet wurden – ein Einblick in die Denkweise der Menschen. Der Internet-Konzern nutzt den Fundus außerdem, um seinen Übersetzungsdienst Translate zu verbessern. Quelle: dpa Picture-Alliance
Schnupfen, Kopfschmerz, Müdigkeit: Das sind die typischen Symptome der Grippe. Aber wann erreicht die Krankheit eine Region? Bislang konnte man das erst feststellen, wenn es zu spät war. Der Internet-Riese Google hat ein Werkzeug entwickelt, mit dem sich Grippewellen voraussagen lassen: Flu Trends. Bei der Entwicklung hielten die Datenspezialisten nicht nach bestimmten Suchbegriffen Ausschau, sondern nach Korrelationen. Wonach also suchten die Menschen in einer Region, in der sich das Virus ausbreitete? Sie filterten 45 Begriffe heraus, die auf eine unmittelbar anrollende Grippewelle hindeuten – ohne dass irgendein Arzt Proben sammeln müsste. Quelle: dpa Picture-Alliance
Aufwärts oder abwärts? Die Millionen von Kurznachrichten, die jeden Tag über Twitter in die Welt gezwitschert werden, können Aufschluss über die Entwicklung der Börsen geben. Denn aus den 140 Zeichen kurzen Texten lassen sich Stimmungen ablesen – das hat ein Experiment des renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) gezeigt. Je intensiver die Emotionen, desto stärker die Ausschläge. Marktreife Investitionsmodelle, die auf Tweets setzen, gibt es indes noch nicht. Quelle: dpa
Lotterie am Himmel: Die Preise von Flugtickets lassen sich für Laien kaum nachvollziehen. Auch eine frühe Buchung garantiert kein günstiges Ticket, weil die Fluggesellschaften ständig an der Schraube drehen. Das wollte sich der Informatiker Oren Etzioni nicht gefallen lassen: Er sammelte mit seiner Firma Farecast Millionen von Preisdaten, um künftige Preisbewegungen zu prognostizieren. 2008 kaufte Microsoft das Start-up, die Funktion ist jetzt in die Suchmaschine Bing integriert. Quelle: dpa Picture-Alliance
Jeder Meter kostet Zeit und Geld. Daher wollen Logistikunternehmen ihre Fahrer auf kürzestem Wege zum Kunden lotsen. Der weltgrößte Lieferdienst UPS führt dafür in einem neuen Navigationssystem Daten von Kunden, Fahrern und Transportern zusammen. „Wir nutzen Big Data, um schlauer zu fahren“, sagte der IT-Chef David Barnes der Nachrichtenagentur Bloomberg. Im Hintergrund läuft ein komplexes mathematisches Modell, das auch die von den Kunden gewünschten Lieferzeiten berücksichtigt. Quelle: dpa Picture-Alliance
Es waren nicht nur gute Wünsche, die US-Präsident Barack Obama 2012 zur Wiederwahl verhalfen: Das Wahlkampf-Team des Demokraten wertete Informationen über die Wähler aus, um gerade Unentschlossene zu überzeugen. Dabei griffen die Helfer auch auf Daten aus Registern und Sozialen Netzwerke zurück. So ließen sich die Bürger gezielt ansprechen. Quelle: dpa

Was heißt das konkret?

Der wichtigste Trend ist Parallelisierung: Das bedeutet bei der Auswertung von Geschäftsdaten, wie wir sie betreiben, Aufgaben in möglichst viele Teile zu zerlegen. Die lassen sich dann auf 100 oder 1000 Prozessorkernen zugleich abarbeiten. Das steigert das Tempo um den Faktor 100 und mehr. Allerdings ist Software traditionell nicht für parallele Systeme entwickelt. Wir mussten unsere Programme komplett erneuern. Ein enormer Aufwand, aber nun sind wir für Big Data wirklich gerüstet.

Was haben Unternehmen davon?

Als Manager habe ich heute – je nach Funktion – ganz unterschiedliche Fragen: Wen spreche ich mit Marketingkampagnen an? Wie erreiche ich die Leute? Bei einer Bank: Wem gebe ich einen Kredit? Wo versucht jemand, mich zu betrügen? All das können Sie heute nur noch mit IT-Hilfe adäquat entscheiden. Mittels Analytik, Statistik und den mathematischen Regeln, die wir in unseren Programmen abbilden...

Zur Person

...und die dann – statt eines Verkäufers – entscheiden, ob Kunden Waren auf Rechnung oder gegen Vorkasse geliefert bekommen. Verdrängen Maschinen die Menschen in der Geschäftswelt?

Es geht nicht darum, smarte Köpfe zu ersetzen, sondern, sie zu unterstützen. Software liefert Ihnen etwa nur eine Abschätzung, mit welcher Wahrscheinlichkeit Sie gerade jemand mit einer gestohlenen Kreditkarte zu betrügen versucht. Aber Menschen entscheiden, ab welcher Wahrscheinlichkeit die Bank solche Buchungen blockiert.

Wie gut klappt das?

Nobody is perfect. Das gilt auch für Algorithmen, aber wir arbeiten hart dafür. Übrigens nutzen wir die steigende Rechnerleistung auch, um die Algorithmen mit Computerhilfe zu verbessern.

Software programmiert sich selbst?

Zum Teil: Beim Durchforsten gigantischer Datenbestände entdecken Rechner heute statistische Zusammenhänge, die menschliche Programmierer nicht erkennen. Diese Algorithmen versteht auch bei uns kein Mensch mehr – aber sie arbeiten so beeindruckend verlässlich, dass wir sie einsetzen.

Wie weit kann das gehen? Ersetzt Statistik womöglich dereinst die Theorie?

Das ist mehr eine philosophische als eine technische Frage. Ich glaube nicht, dass Rechner menschliche Neugier verdrängen werden. Wir wollen verstehen, wie die Welt funktioniert. Aber es gibt sicher manche Situationen, in denen wir damit zufrieden sein können, was uns die Maschinen verraten.

Zum Beispiel?

Die US-Armee nutzt unsere Prognosesoftware, um etwa bei Patrouillen in Afghanistan vorab Anschlagsrisiken zu bewerten. Am Ende ist es egal, warum das Programm andere Routen empfiehlt, weil das Risiko auf dem ursprünglichen Weg zu hoch erscheint – wenn die Prognose stimmt. Und glauben Sie mir: Die Technik hat schon einige Leben gerettet.

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