KI-Experte Naveen Rao „Noch 50 Jahre bis zum digitalen Hirn“

„Ich glaube, bis zum digitalen Hirn auf dieser Stufe brauchen wir noch 50 Jahre“, sagt Intels KI-Experte Naveen Rao. Quelle: imago images

Der US-Halbleiterproduzent Intel setzt immer stärker auf Spezialchips für Künstliche Intelligenz, Bilderkennung und Deep Learning. Warum das menschliche Hirn trotzdem noch für Jahrzehnte weit überlegen ist.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Es ist ein Dienstagvormittag Ende November vergangenen Jahres, als Intel zu seinem „Gipfeltreffen für Künstliche Intelligenz“ geladen hat. Es geht dem amerikanischen Chipgiganten darum, vor Analysten und der Presse zu demonstrieren, dass auch im Computer der Zukunft auf jeden Fall „Intel inside“ stecken wird.

Der Veranstaltungsort ist ein umgebauter Klub im schlechteren Teil der Market Street in der Innenstadt von San Francisco. Der Gehweg ist von Obdachlosen bevölkert, vor der Tür stehen Wachen, ein Streifenwagen wartet um die Ecke. Auf der Bühne im Untergeschoss bekommt man von dem Treiben in der tristen Realität vor der Tür nichts mit.

Auf der Bühne tänzelt Naveen Rao, angestrahlt von Scheinwerfern und unterstützt von gleich drei Projektoren und riesigen Leinwänden. Rao, der die Sparte für Künstliche Intelligenz (KI) bei Intel verantwortet, erzählt von der schönen Zukunft des Computers, vorangetrieben durch die massive Rechenleistung, die KI benötigt. Noch nie war der Hunger nach Rechenkraft größer als heute. Doch die Zeiten, in denen ein Universalprozessor mit allen Aufgaben zurechtkommen konnte, sind lange vorbei. Inzwischen reichen auch spezialisierte Grafikprozessoren, die einen Teil der Arbeit abnehmen, nicht mehr aus.

Naveen Rao ist KI-Experte bei Intel. Quelle: Intel

„KI wird alles durchdringen und deshalb bringen wir es überall hin“, kündigt Rao an und erzählt von einem Umbruch in seiner Branche. Intel hat Milliarden mit seinen standardisierten Prozessoren verdient, die vielseitig und universell einsetzbar sind. Sie werden, so hofft es der Konzern, auch in Zukunft das Herz von Rechnern bilden.

Doch der Prozessor wird von einer Vielzahl von Spezialchips verstärkt, neben dem gewohnten Grafikchips auch von einem Portfolio von anwendungsspezifischen Chips. Sie tragen Namen wie Movidius oder Nervana und sind beispielsweise auf Bilderkennung und Deep Learning geschult. Sie können Daten sehr schnell verarbeiten, auch weil Speicher und Prozessor enger miteinander vermählt sind.

„Es ist wie eine Art Organismus“, schwärmt Rao, der einst das Fundament für Nervana mit seinem gleichnamigen Start-up legte, das Intel im Sommer 2016 erwarb. Auch Movidius wurde zugekauft.

Hinter Rao wird jetzt ein besonders beeindruckender Chart auf die drei Leinwände gebeamt. Er zeigt die Zahl der sogenannten Parameter, die solch ein Prozessorsystem adressieren kann. Momentan sind es 100 Milliarden verschiedener Werte, die gleichzeitig miteinander verknüpft werden können. Aber schon Ende 2020 werden es eine Billion sein. „Momentan legt die Komplexität jährlich um den Faktor zehn zu“, schwärmt Rao. Zum Vergleich: Das menschliche Hirn verarbeitet bis zu 300 Billionen Signale.

von Jürgen Berke, Matthias Hohensee, Michael Kroker, Thomas Kuhn, Andreas Menn

Bedeutet das, dass wir schon in ein paar Jahren ausreichend Rechenleistung haben, um alle Synapsen des Hirns digital nachzubauen? „Schön wäre es“, seufzt Rao. Nicht nur, dass nach seiner Einschätzung, die jährliche Verzehnfachung „demnächst wieder abflacht.“

Die Natur beweist wieder mal, wie überlegen sie dem Computer ist. Das Verarbeiten von 100 Milliarden Parametern benötigt laut Rao grob geschätzt etwa 1,5 Megawatt. Und das Gehirn? Braucht nur läppische 20 Watt. „Ich glaube, bis zum digitalen Hirn auf dieser Stufe brauchen wir noch 50 Jahre“, sagt Rao. Bedauern schwingt in seiner Stimme.

Mehr noch: Schon die heutige Hardware stößt bereits an ihre Grenzen, hat Schwierigkeiten die adressierbaren Parameter auch zu verarbeiten. Was den Ausbau von Deep Learning behindert. Deshalb müssen ganze Systeme von Chips miteinander stärker vermählt werden, müssen beim Zusammenspiel den Austausch von Daten, das Speichern und das Verarbeiten effektiver und rascher organisieren. Dazu benötigt es spezialisierter Software, die sicher sein muss, aber zugleich so offen, dass die Branche bei der Weiterentwicklung zusammenarbeiten kann. Intel wird allein dafür in den nächsten Jahren tausende Entwickler anheuern.

Der Weg ist vorgezeichnet und bis dahin will Intel wie einst in der klassischen Computerbranche eifrig mitverdienen. Im vergangenen Jahr hat der Konzern mit Hard- und Software für Künstliche Intelligenz rund 3,5 Milliarden Dollar umgesetzt. Noch ist das nur ein Bruchteil des Gesamtumsatzes von 71,5 Milliarden Dollar. Den meisten Umsatz macht Intel immer noch mit PC-Prozessoren, gefolgt von Chips für Rechenzentren.

Trotzdem: „Wir sind bereits einer der größten Anbieter bei KI-Chips“, bekräftigt Rao. Der Markt für Prozessoren für KI-Anwendungen soll in den nächsten vier Jahren auf 25 Milliarden Dollar zulegen. Wenn die Strategie des Silicon-Valley-Konzerns aufgeht, dann wird Intel auch weiterhin vom Hunger nach Rechenkraft zehren, gerade weil das Orchestrieren der dafür nötigen Ressourcen immer komplexer wird.



© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%