Klimaschutz und künstliche Intelligenz Mit Algorithmen gegen die Apokalypse

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Energiesparmodus als Regelfall

Der Energiesparmodus wäre dann grundsätzlich der voreingestellte Regelfall. Bevorzugt die Standardkonfiguration eines Systems umweltschonendes Verhalten, fördert sie einen nachhaltigen Konsum. Wenn Nutzer bewusst einen hohen Energieverbrauch in Kauf nehmen wollen, müssen sie die Voreinstellungen selbst aktiv ändern.

Der Staat ist zudem gut beraten, seine Marktmacht als Großeinkäufer in die Waagschale zu werfen. In öffentlichen IT-Vergabeverfahren könnte er Produkten mit grünem Softwaredesign Vorrang einräumen und dadurch zum Durchbruch verhelfen. Bei der Förderung digitaler Innovationen sollte künftig nicht nur der Daten-, sondern auch der Umweltschutz als Auswahlkriterium eine noch stärkere Rolle einnehmen.

Auch die Umweltverwaltung sollte digitale Aufsichtsinstrumente stärker aufnehmen. An die Stelle schriftlicher Berichte, angekündigter Vor-Ort-Termine oder anlassbezogener Einzelkontrollen zum Zustand einzelner Anlagen treten im Idealfall digitale Kontrollen in Echtzeit aus der Ferne. 

Algorithmus statt Sachbearbeiter mit Aktenordner

Eine Software untersucht eine Anlage dann mithilfe von Sensoren gezielt auf Unregelmäßigkeiten oder auffällige Muster, ohne dass ein Sachbearbeiter Aktenordner von vorne bis hinten durchforsten muss. Das spart Zeit sowie Aufwand – und trägt dazu bei, das allseits beklagte Vollzugsdefizit im Umweltrecht zu reduzieren.

Die Entwicklung zu einer grünen Digitalisierung sollte der Gesetzgeber darüber hinaus durch einen allgemeinen Zugang zu offenen Datenräumen („European Data Spaces“) flankieren. Denn ohne valide Grundlage („Real Data“) lassen sich lernfähige Systeme schwerlich auf Umweltschutz und präzise Prognosen trainieren. Auch die Daten privater Big-Data-Kollektoren sollten dazu beitragen. Verbleiben umweltbezogene Informationen allein in privaten Datensilos, lässt sich ihr Erkenntniswert nicht vollständig für das Gemeinwohl fruchtbar machen. Es ist deshalb zu begrüßen, dass die EU-Kommission Unternehmen in bestimmten Bereichen dazu verpflichten will, ihren Datenschatz mit öffentlichen Stellen zu teilen.

Hackerangriffe auf Kraftwerke

Aber auch das Recht der IT-Sicherheit ist gefragt. Denn digitale Technik macht sicherheitsrelevante Umweltanlagen nicht nur effizienter, sondern zugleich verletzlicher. Hackerangriffe auf Kraftwerke können verheerende Auswirkungen zeitigen. Ein umweltspezifischer rechtlicher Handlungsrahmen fehlt dafür allerdings bislang. Deutschland braucht normative Mindeststandards, die sicherstellen, dass digitale Technik die Umwelt im Ergebnis tatsächlich schützt, statt sie zu schädigen.

Der Staat steht vor der zentralen Frage: Wie kann er „Umwelt in die Algorithmen“ bringen und die Risiken lernfähiger Softwareanwendungen für Umweltziele minimieren? Für Deutschland und die EU liegt darin auch eine Chance: Gelingt es, die grüne und die digitale Transformation als „Twin Transitions“ zu verknüpfen, kann der alte Kontinent weltweit zum Pionier einer technologischen Krisenbewältigung avancieren. 

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Um den europäischen Binnenmarkt auf das Ziel einer digitalen und zugleich klimaneutralen Zukunft einzuschwören, braucht es jedoch mehr als wohlfeile Absichtserklärungen. Dass die neue Ampel-Koalition laut ihrem Vertrag „die Potentiale der Digitalisierung für mehr Nachhaltigkeit nutzen“ will, ist ein gutes Zeichen. 

Maßnahmen der Ministerien müssen koordiniert werden

Welches Ministerium welche Maßnahmen einläuten soll, bleibt aber unklar. Die Koalitionäre dürfen sich nun nicht im Gefolge parteipolitischer Profilierung entlang der Grenzen der Ressortverteilung verhaken. Sonst wird das vollmundige Versprechen digitaler Nachhaltigkeit eine Leerformel bleiben. 

Dass für den Gesetzgeber die Uhr tickt, hat jüngst auch das Bundesverfassungsgericht unterstrichen: „Die Schonung künftiger Freiheit verlangt auch, den Übergang zu Klimaneutralität rechtzeitig einzuleiten.“ Die politischen Akteure sollten das als Weckruf verstehen.
 

Mario Martini ist Lehrstuhlinhaber an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer, er war Regierungsberater in der Datenethikkommission. Michael Kolain koordiniert den Programmbereich "Digitalisierung am Deutschen Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung, den Martini leitet. Die Autoren haben zum Thema gemeinsam mit Dr. Hannah Ruschemeier (CAIS) ein Gutachten für das Umweltbundesamt verfasst.

Mehr zum Thema: Seit dem Frühjahr konnten Tesla-Fahrzeuge auch mit Bitcoins gekauft werden. Damit ist es nun vorbei. Die Kryptowährung ist offenbar zu klimaschädlich für Elon Musks Mega-Marke. Doch wie schädlich ist die Kryptowährung wirklich? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

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