Kommunikation Der ewige Kampf gegen die Kakerlake E-Mail

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Der Plage den Schrecken nehmen

65 Prozent der 260 Mitarbeiter nutzen Uschi täglich; rund 120 virtuelle Arbeitsgruppen haben sie eingerichtet. Verschiedene Abteilungen nutzen Uschi als Teamroom und diskutieren dort miteinander oder legen hier abteilungsbezogene Dokumente ab. Die Social-Media-Redaktion stimmt ihre Redaktionspläne über das Mitmach-Intranet ab. „Auch unsere Mitarbeiter, die viel unterwegs sind, können per App auf Uschi zugreifen“, sagt Schulz. Dadurch kann sich etwa ein Monteur vor Ort beim Kunden mit dem Wasserwerk kurzschließen, wenn eine Leitung klemmt. Das ist praktisch. Aber das Ende der E-Mail ist damit auch bei den Stadtwerken Düren noch nicht besiegelt. Auch Schulz sagt: „Der Tod der E-Mail ist vergleichbar mit dem papierlosen Büro – beides wird seit Langem propagiert, aber die Realität sieht anders aus.“

Wenn sich die E-Mail also nicht ausrotten lässt, wäre es dann nicht alle Mühe wert, sie wenigstens besser zu machen? Genau dies ist der Ansatz des Start-ups Astro Technology: Gleich um die Ecke vom Elektronikmarkt Fry’s Electronics in Palo Alto, wo die beiden Google-Gründer Sergey Brin und Larry Page die ersten Computer für ihre Suchmaschine kauften, befindet sich in einer ruhigen Straße in einer einstöckigen Baracke die Zentrale des vor drei Jahren gegründeten Unternehmens. „Die E-Mail ist alles andere als tot, die Postfächer sind nur überladen“, sagt Andy Pflaum, einer der drei Mitgründer und heute Chef von Astro.

Er versucht nicht, die Plage des Internets einzudämmen, indem er sie vernichtet – sondern indem er ihr den Schrecken nimmt: Seit fast 20 Jahren arbeiten Pflaum, sein Technikchef bei Astro, Roland Schemers, und Produktchef Ross Dargahi daran. Das Trio kennt sich von Zimbra, einem Pionier von über den Browser zugänglicher Kommunikationssoftware. 2007 kaufte der damals noch strahlende Internetkonzern Yahoo das Start-up für 350 Millionen Dollar, um seinen E-Mail-Dienst zu verbessern.

Besserer Überblick: Bei Slack optimieren sie Kommunikation Quelle: Laif

Nun wollen die Veteranen und ihre derzeit rund 20 Mitarbeiter die E-Mail-Postfächer wieder aufräumen – und zwar mithilfe von künstlicher Intelligenz. „Unser Ansatz ist, die wirklich wichtigen E-Mails herauszufiltern“, erklärt Pflaum. Astro offeriert dafür ein zusätzliches Programm, das auf vielen gängigen E-Mail-Konten wie etwa denen von Google oder Microsoft aufsetzt: Es sortiert die elektronische Post nach Wichtigkeit, etwa anhand der Absender oder bestimmter Schlagworte. So schlägt Astro beispielsweise über einen integrierten Bot vor, welche E-Mails in eine „VIP-Liste“ aufgenommen werden sollten oder welche Werbe-Mails abbestellt werden können, weil sie ohnehin nicht geöffnet werden. Der Astrobot filtert E-Mails mit Terminen oder Anfragen für Meetings heraus. Elektronische Nachrichten, die wichtig sind, aber später beantwortet werden können, lassen sich auf Wiedervorlage zurückstellen. Die Software zeigt zudem, ob E-Mails vom Empfänger geöffnet wurden – und wann.

Um ihre Software schnell in den Markt zu bringen, bietet Astro sie kostenlos an. Und zwar nicht nur für Angestellte, die Nachrichten am Computer im Büro beantworten. Auch per Ansage an Amazons Alexa lassen sich Mails sortieren, selbst Nachrichten bei Slack können mit Astros Hilfe besser verwaltet werden. Geld will das Start-up später mit speziell angepassten Versionen für Unternehmen verdienen, die beispielsweise in den Firmenfarben des Kunden umprogrammiert werden. T-Mobile, Nike und Salesforce nutzen Astro bereits. Und in einer ersten Finanzrunde hat das Start-up zehn Millionen Dollar von Wagniskapitalgebern eingesammelt. Auch dies ein Beleg dafür, wie verlockend das Versprechen von mehr Ordnung im digitalen Postfach für viele klingt.

Der Wirtschaftspsychologe Hertel von der Uni Münster glaubt, dass es in Zukunft eher verschiedene Kommunikationstools geben wird, die für bestimmte Zwecke besonders gut geeignet sind – als das eine Wunderding, das die E-Mail ersetzt. Das erkenne man etwa an Messengern wie WhatsApp, die bei der privaten Kommunikation SMS und E-Mail ablösen – aber eben nicht komplett.

Überforderten Unternehmen rät der Wissenschaftler, ganz analog an der Kommunikationskultur zu arbeiten, als blind auf neue Software oder Apps zu vertrauen: „Ein wichtiger Grund für die E-Mail-Flut ist, dass viele Nutzer sie schlicht falsch einsetzen“, sagt Hertel. Wer etwa darauf verzichte, bei jeder elektronischen Nachricht die halbe Abteilung in Kopie zu setzen, habe schon viel gewonnen. „Unternehmen sollten die Mitarbeiter für ihre Kommunikation stärker in die Pflicht nehmen.“

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