Kryptofunktionen der eSIM Sie hat das Zeug, die Mobilfunkwelt radikal zu verändern

Vernetzte Frachtcontainer werden in ein Lufthansa-Flugzeug geladen Quelle: IMAGO

In den kommenden 5G-Netzen hat die klassische SIM-Karte ausgedient. Eine Studie zeigt: Die eSIM ist die Zukunft und sie bekommt ganz neue Aufgaben – vom virtuellen Flugbegleiter bis zum Bodyguard für persönliche Daten.

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Ein unscheinbarer Kasten nur unterscheidet die große, graue Alu-Box von den übrigen Cargo-Containern, die vor dem Rumpf der Lufthansa-Maschine am Frankfurter Flughafen auf die Verladung warten. Doch für die Fluggesellschaft und ihre Kunden – vielfach Logistikunternehmen, die meist teure Fracht per Flieger um die Welt transportieren lassen – bedeutet das winzige Kästchen ein großes Plus an Sicherheit, wenn es um den globalen Versand von Gütern geht.

Denn eine Menge Sensoren in dem kleinen Kasten protokollieren kontinuierlich, ob die Waren Schaden nehmen, weil beispielsweise der Transportcontainer zu Boden fällt, zu heiß, zu kalt oder zu feucht wird - oder auch schlicht irgendwo stehen bleibt. Alle Meldungen zum Zustand der wertvollen Sendung können sowohl die Airline als auch ihre Kunden online überwachen. Möglich machen das ein integriertes Funkmodul und ein darin verbauter spezieller Identifikations-Chip, die sogenannte eSIM. Sie ist der virtuelle Nachfolger der etablierten Plastik-SIM-Karten, die Mobilfunkkunden bisher aus ihren Handys kennen. Und sie hat das Zeug, die Mobilfunkwelt radikal zu verändern. Denn eSIMs sind nicht bloß drastisch kleiner als ihr Vorgänger. Sie sind auch wesentlich robuster und in der Lage, ganz neue Aufgaben in der Mobilkommunikation zu übernehmen. 

Im Fall der Lufthansa-Container beispielsweise dient die eSIM nicht bloß dazu, dass sich die Box mit den Sensoren weltweit in den verfügbaren Mobilfunknetzen anmelden kann, ähnlich wie das die klassische SIM im Handy auch tut. Spezielle Kryptofunktionen im Chip prüfen und signieren zudem die Sensordaten vor dem Versand, sodass sich diese später nicht mehr manipulieren lassen. „Damit kann die eSIM künftig zu so etwas werden wie einem Personalausweis für Endgeräte und Daten im Internet der Dinge“, sagt Steffen Frenck. 

Er ist verantwortlich für Strategie und Marketing im Unternehmensbereich Mobile Security bei Giesecke+Devrient (G+D). Das Unternehmen aus München ist einer der führenden internationalen Anbieter für Sicherheitskomponenten in der digitalen und mobilen Kommunikation und hat den smarten Cargo-Begleiter mit dem Digitaldienstleister Lufthansa Industry Solutions für den Luftfahrtkonzern entwickelt.

Statt Menschen kommunizieren Maschinen

Es ist nur eines von vielen neuen Einsatzszenarien für die winzigen eSIM-Sicherheits-Chips, die nicht größer sind als ein halber kleiner Fingernagel und die das Marktgefüge im Mobilfunk schon in wenigen Jahren komplett verändern dürften. Denn während der Mobilfunkmarkt seit den frühen Neunzigerjahren vor allem davon geprägt war, dass Menschen miteinander von Handy zu Handy kommunizierten, entwickelt sich das Geschäft nun in Richtung Kommunikation von Maschinen mit Maschinen. Die smarten Funk-Chips sind einer der entscheidenden Treiber dieses Trends. Von heute rund 150 Millionen neuen eSIM-fähigen Endgeräten pro Jahr dürfte sich der Absatz bis 2023 schon auf rund 900 Millionen Stück versechsfachen.

In zwei bis fünf Jahren werden eSIMs die dominierende Technik für die Identifikation vielfältigster neuer Endgeräte in Mobilnetzen sein. Und zwar sowohl bei Technik für Privatleute – Smartphones, Tablets oder Fitness-Trackern – wie auch im geschäftlichen oder industriellen Einsatz – etwa in vernetzten Autos, Gebäudetechnik, Robotern oder eben der Logistik. Das jedenfalls ist das Ergebnis einer neuen, weltweiten Umfrage des Marktforschers IDC im Auftrag von G+D unter Netzausrüstern, Mobilfunkunternehmen, Endgeräteproduzenten, Chipherstellern sowie Autokonzernen. Insgesamt decken die befragten Konzerne mit rund 4,6 Milliarden SIM-Kontakten rund die Hälfte des gegenwärtigen globalen Kommunikationspotenzials ab. 

Bereits vor gut fünf Jahren, als die Autohersteller begannen, zunächst Wagen der Luxusklasse, dann auch andere Fahrzeuge ab Werk via Mobilfunk zu vernetzen, setzten die Konzerne auf den Einbau von eSIMs. Die sind – weil fest im Fahrzeug verlötet – nicht bloß robuster und besser gegen Manipulationen geschützt als herkömmliche SIM-Karten. Auf eSIMs lassen sich zudem auch nachträglich noch aus der Ferne via Mobilfunk neue Nutzer- oder Netzbetreiberprofile aufspielen. Je nachdem, in welchen Ländern die Fahrzeuge einmal zum Einsatz kommen.

Die große Angst der Netzbetreiber

Doch jenseits solcher Spezialanwendungen spielten eSIMs lange keine Rolle. Vor allem im Kerngeschäft des Mobilfunks, bei Angeboten für menschliche Kunden, hatten die intelligenten Chips lange mächtige Gegner: die Netzbetreiber, die sich geweigert haben, Handys mit eSIM-Funktionen überhaupt nur in den Vertrieb aufzunehmen.

Zu sehr fürchteten Konzerne wie die Deutsche Telekom, Vodafone oder Telefónica um den direkten und lukrativen Kundenkontakt für den Fall, dass sich Rufnummern und Verträge auch leicht auf eSIMs übertragen ließen. Der Wechsel zum nächsten, günstigeren Konkurrenten, so die Sorge, wäre dann womöglich bloß noch einen Fingerstreich auf dem Handydisplay entfernt.

Daran hat sich zwar bis heute nichts geändert. Trotzdem bröckelt nun der Widerstand - nicht zuletzt weil von Apple über Google, Huawei und Motorola bis Samsun inzwischen schon eine Handvoll Handyhersteller Smartphones mit eSIM-Chips vorgestellt haben. Nun hoffen die Mobilfunker zumindest, dass das Zusatzgeschäft, das durch im Internet der Dinge lockt, weit größer ist als mögliche Verluste durch allzu wechselfreudige, traditionelle Kunden.

5G stellt den Markt auf den Kopf

Wichtig wird der Ausbau der neuen 5G-Mobilfunknetze, die zur Basis für die milliardenfache Vernetzung der Maschinen, Roboter und Sensoren werden – und zwar mithilfe von eSIMs. „Die befragten Experten gehen davon aus, dass sich die Entwicklung in den kommenden zwei Jahren enorm beschleunigen wird“, sagt John Gole, Research Director und IoT-Spezialist bei IDC und einer der Co-Autoren der neuen eSIM-Studie.

Welch enormes Ausmaß die Kommunikation der Maschinen in der kommenden Dekade annehmen kann, belegt auch eine Hochrechnung des Marktforschers Gartner und des Chip-Entwicklers ARM. Danach werden bereits in drei Jahren stündlich etwa eine Million zusätzlicher Geräte erstmals mit dem Internet verbunden. Hochgerechnet aufs Jahr wären das knapp neun Milliarden zusätzlicher neuer Mobilfunkidentitäten, die mithilfe von eSIM-Chips gemanagt werden müssen.

Dass sich alleine die schiere Masse mit herkömmlichen Plastik-SIMs nicht mehr verwalten ließe, ist offenkundig. Die aktuelle Studie von IDC und G+D zeigt aber auch, dass Netzbetreiber und Nutzer die eSIM nicht länger bloß als virtuellen Nachfolger des Plastikchips und damit als Rufnummernspeicher verstehen. 

Für sie wird die eSIM tatsächlich zum universellen Sicherheitsmodul, das als virtueller Ausweis das Endgerät ebenso identifiziert wie es als digitaler Bodyguard die übertragenen Daten signiert oder die Verbindung von Ende zu Ende verschlüsselt. Ganz so wie das bei den virtuellen Flugbegleitern in den vernetzten Lufthansa-Containern heute schon passiert.

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