Der Fachkräftemangel bereitet vielen Industrien Sorgen. Vom Handwerk bis hin zu Fluglinien suchen sie alle händeringend nach Arbeitskräften. Und eine Branche leidet ganz besonders unter diesem Engpass: die Gastronomie. Wegen der vielen Schließungen in den vergangenen zwei Jahren infolge der Coronapandemie konnten viele Restaurants, Kneipen und Cafés ihre Belegschaften über Monate hinweg nicht beschäftigen. In der Folge haben sich insbesondere viele Servicekräfte und Köche neue Jobs gesucht. In anderen Branchen.
Eine mögliche Lösung für die leidgeprüften Gastronomen könnte – wie schon im ersten Pandemiesommer 2020 – die Digitalisierung bieten: Das Leipziger Start-up We-do.ai bringt heute nach drei Jahren Entwicklungsarbeit seinen Chatbot Foodcall offiziell an den Start. Foodcall nutzt eine Künstliche Intelligenz (KI) mit Spracherkennungsfunktion, die speziell auf die Bedürfnisse der Gastronomie ausgerichtet ist. Dadurch ist der Bot in der Lage, alle eingehenden Telefonate von Restaurants selbstständig zu übernehmen, daraus Bestellungen und Reservierungen abzuleiten sowie Kundenanfragen und sonstige Anliegen weiterzuleiten.
Gespräche führen statt nur Fragen beantworten
Die Besonderheit des Bots: Er erlaubt flüssige Gespräche zwischen Mensch und Maschine. „Das ist ein Novum, zumindest in Deutschland“, sagt We-do.ai-Chef Sebastian Hecker. Bisher seien die meisten Menschen nur daran gewöhnt, dass Sprachbots wie beispielsweise Alexa von Amazon oder Google Assistant eine Antwort auf konkrete Fragen geben, aber keine Gespräche führen können.
Die funktionieren bei Foodcall laut Heckers Aussage vor allem deshalb gut, weil sich das Start-up von Beginn der Entwicklung an auf das eng umrissene Thema Gastronomie fokussiert habe. „Dennoch hat die Entwicklung länger gedauert, als wir ursprünglich geplant hatten“, räumt Hecker ein. Schließlich rufen auch immer wieder mal Gäste an, die gestern eine Tasche am Tisch neben der Toilette vergessen haben. „Auch solche Anliegen kann der Bot heute erkennen“, so Hecker.
Mit ihrem Angebot wollen die Leipziger in Zukunft sowohl hungrigen Konsumenten wie auch Restaurantbesitzern das Leben erleichtern. Denn trotz App-basierten Bestelldiensten wie Lieferando ist das Telefon als Bestellkanal für viele Gastrobetriebe nicht wegzudenken. Laut einer Bitkom-Studie lag der Anteil telefonischer Bestellungen von Pizza, Sushi & Co. Mitte 2020 bei 54 Prozent – das Telefon ist weiterhin die beliebteste Methode. „Auf dem Land gibt’s kein Lieferando“, sagt Hecker. „Das heißt aber: Ein Restaurantbesitzer muss bei jedem einzelnen Anruf seine Arbeit unterbrechen.“
Diese ständigen Störungen sollen mit Foodcall der Vergangenheit angehören. Bei den bisher 100 Pilotkunden des Start-ups nimmt der intelligente Chatbot den Anruf von entgegen. Die KI erkennt sofort, ob es sich etwa um eine Bestellung handelt – und leitet diese auf einen Bildschirm oder das Kassensystem des Betriebs weiter, so dass das Küchenteam direkt mit der Zubereitung beginnen kann. „So kann sich ein Restaurant voll und ganz auf die Zubereitung von Speisen, das Servieren und das Ausliefern konzentrieren“, sagt Hecker.
Weniger Missverständnisse
Der We-do.ai-Chef verspricht sogar weniger Fehlbestellungen dank KI. Gerade, wenn die Restaurantküche in vollem Betrieb arbeite und Servicemitarbeiter unter Druck stünden, könne es am Telefon leicht zu einer Fehlbestellung kommen. „Mit Foodcall wird die Fehlerquote auf ein Minimum reduziert“, verspricht Hecker. Denn die Sprachsoftware arbeite immer präzise, zudem habe jeder Anrufer die Möglichkeit, die Bestellung am Ende des Telefonats noch einmal zu prüfen und gegebenenfalls zu korrigieren. Und für ausländische Restaurantbesitzer und Kunden hat der Chatbot Vorteile: „Missverständnisse durch Sprachbarrieren sind mit dem neuen Dienst wesentlich unwahrscheinlicher als bei der herkömmlichen Bestellabwicklung am Telefon“, so Hecker.
Künstliche Intelligenz – Geschichte einer Idee
In den Fünfzigerjahren prägte ein Forschungspapier den Begriff künstliche Intelligenz (KI) erstmalig. KI sollte „die Art von Problemen lösen, wie sie bislang nur für Menschen vorgesehen sind“. Bis heute ist der Begriff jedoch umstritten. Offen ist, was Intelligenz genau umfasst – und inwiefern es dafür eines eigenen Bewusstseins bedarf.
Bei dieser Spielart der künstlichen Intelligenz erzeugt das System aus großen Datenmengen Wissen – indem es etwa anhand von Fotos selbst erlernt, wie eine Katze aussieht. Einige Experten sehen in dieser Mustererkennung jedoch noch kein intelligentes Verhalten.
Für viele Anwendungen, darunter die Bilderkennung, brachten die Methoden des Deep Learning den Durchbruch. Dabei werden die neuronalen Netze des Gehirns mit ihren vielen Knotenpunkten digital nachempfunden.
Kommerzialisiert haben insbesondere amerikanische IT-Konzerne wie Google, Microsoft, IBM oder Amazon KI-Anwendungen. Sie finden sich etwa in der Spracherkennung in Smartphones, selbstfahrenden Autos oder als Chatbots, die mit Kunden auf Shopping-Seiten kommunizieren.
Allerdings kann die Kommunikation mit Algorithmen auch leicht für Verdruss sorgen. Laut einer Auswertung der Gespräche mit Chatbots des Herstellers Freshworks aus dem vergangenen Jahr benutzen Kunden deutlich häufiger Schimpfworte, wenn sie mit Robotern sprechen. Besonders unfreundlich sind dabei die Deutschen, die in neun von zehn Gesprächen mit Bots ausfallend werden.
Back-up Mensch
Doch selbst für den Fall, dass das Verständnis zwischen Mensch und Maschine mal nicht so funktioniert wie eigentlich gedacht, hat das Team von Hecker vorgebeugt: „Auch unser Bot kann nicht jede Frage beantworten“, räumt der We-do.ai-Chef ein. Wenn der Bot mal hängt, springt ein Callcenter in Erfurt ein – dann dienen Menschen gewissermaßen als Back-up für den Algorithmus.
Nicht nur das – die Call-Center-Mitarbeiter lernen sogar die Verbraucher bei der Nutzung an: „Wenn jemand frustriert auflegt, bevor er seine Bestellung aufgegeben hat, ruft das Callcenter ihn zurück“, sagt Hecker. Die Callcenter-Agenten erklärten dann, wie genau Foodcall arbeite. „Dadurch wollen die Konsumenten zum Mitmachen animieren.“
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