Künstliche Intelligenz Jetzt denkt das Smartphone mit

2018 konnte DJ Koh, Vorsitzender der Mobil-Sparte von Samsung, beim MWC zwar das neue S9 präsentieren, aber wenig zum Thema KI sagen. Quelle: dpa

"Künstliche Intelligenz" ist der neue Hype in der Handy-Branche. Telefone sollen endlich wahrhaft smart werden. Doch die Produktvorstellung von Samsung beim Mobile World Congress beweist: Es gibt noch Herausforderungen.

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Es ist – je nach Blickwinkel – eine faszinierende Vorstellung oder der technikgewordene Alptraum: Wie ein persönlicher Butler für die Westentasche begleitet das Smartphone jeden Schritt seines Benutzers: Es weiß wann er aufwacht, um wie viel Uhr er das Haus verlässt, welche E-Mails er stets als erstes liest, wen er anruft und welche Busse oder Bahnen er nutzt.

Aus den gesammelten Details destilliert die Maschine dann eine personalisierte Flut von Informationsangebote und Erinnerungen, die den Nutzer durch die Tage und Wochen begleitet. Welcher der üblichen Wege ins Büro am Morgen gerade besonders überlastet ist, welche Nachrichten als erstes gelesen werden sollten, dass – wie jeden Samstagnachmittag – ein Anruf bei den Eltern ansteht und auch, welches Geschenk zum Valentinstag auch dieses Jahr sicher wieder gut bei Partner oder Partnerin ankommt.

Was lange wie eine Vision aus Science-Fiction-Filmen klang, wird gerade mit hoher Geschwindigkeit Realität: Künstliche Intelligenz erobert die Smartphones. Es ist einer der größten Technologietrends auf dem diesjährigen Mobile World Congress (MWC) in Barcelona. Allerdings auf ganz unterschiedlichen Wegen.

Fast alle der beschriebenen Szenarien sind – vorausgesetzt der Handynutzer stimmt zu – mit der neuesten Handy-Generation machbar. Ob Apple, Google, HTC, Huawei, LG oder Samsung – wer als Handyproduzent etwas auf sich hält, arbeitet mit Hochdruck daran, den Begriff SMART-Phone wörtlich zu nehmen. Die Taschentelefone sollen so viel digitale Intelligenz bekommen, wie technisch möglich. Wo Apple mit dem elektronischen Assistenten Siri vor Jahren den Trend vorgab, haben die Konkurrenten längst nachgezogen. Allen voran Google mit dem ebenfalls per Sprachbefehl aktivierbaren Cyberhirn Google Assistant. In allen neuen Android-Handys ist der Dienst entweder ab Werk mit an Bord – oder die Intelligenz aus dem Netz lässt sich als App nachladen. Doch im Google-Dienst steckt einiges Konflikt-Potenzial.

Sowohl aus Sicht der potenziellen Nutzer, die Google gegenüber durch den Gebrauch des Assistenten noch mehr Informationen über sich preisgeben als ohnehin schon. Aber auch aus der Perspektive der Hardware-Produzenten. Letztere haben ohnehin schon Schwierigkeiten, sich von der Konkurrenz abzusetzen. Die Geräte sehen sich schließlich immer ähnlicher. Diese nun mit der gleichen künstlichen Google-Intelligenz aufzurüsten, bietet auch keine Möglichkeit zur Differenzierung.

Kein Wunder, dass Hersteller wie HTC, LG und Samsung lieber – mehr oder weniger – eigenständige Software-Assistenten entwickeln und in ihre Telefone integrieren.

HTC hat seinen im vergangenen Jahr vorgestellten Digitalbegleiter parallel zum Google Assistenten installiert. LG präsentiert in Barcelona die aktualisierte Version seines Top-Smartphones LG V30S ThinQ, bei dem spezielle KI-Algorithmen die Kamera-Fähigkeiten verbessern (von der Bilderkennung bis zur Aufnahmesteuerung) und die Funktionen des Google-Assistenten zumindest um weitere Sprachbefehle erweitern soll.

Von Bixby nichts Neues

Samsung hatte ebenfalls schon vor Jahresfrist und mit viel Tamtam auf dem MWC die Software Bixby als digitalen Begleiter für seine neuen Galaxy S8-Telefone vorgestellt und dafür sogar einen eigenen Aktivierungsknopf im Handy integriert. Der allerdings funktioniert bis heute nur auf Englisch und Koreanisch in leidlich brauchbarem Umfang. Und das ist nicht das einzige Problem.

Zwar hat Samsung im Jahresverlauf konstant neue Fertigkeiten nachgerüstet („Bixby schicke mein letztes Photo an Chris.“ „Bixby bestelle ein Taxi“, etc.). Die entscheidende und mit Spannung erwartete Neuigkeit aber, dass Bixby nun endlich auch in anderen Sprachen – beispielsweise auf Deutsch – verfügbar wird, blieb Samsung am Sonntagabend auf der Pressekonferenz schuldig. Statt dessen gab es auf der Bühne blumige Versprechen, dass es – später im Jahr – großartige Ankündigungen geben werden. Aber „leider, leider“ könne man die noch nicht verraten. Nach der Show hieß es dann zumindest inoffiziell, Bixby werde wohl im Herbst dieses Jahres auch Deutsch lernen.

Das passt, bei aller sonstigen Euphorie rund ums Thema „KI“ ins Bild. Denn auch bei der Konkurrenz zeigt sich, dass es gar nicht so einfach ist, den Telefonen das digitale Denken beizubringen.

Wo es bei der Smartphone-Intelligenz noch hakt

Google, HTC und Samsung eint, dass die Intelligenz nur dann wirklich Brauchbares leistet, wenn die Telefone mit dem Internet verbunden sind. Denn die Auswertung, was der Nutzer wünscht, passiert nicht im Telefon selbst, sondern in einem Rechenzentrum des jeweiligen Anbieters. Dort analysieren Großrechner die Sprachaufnahmen, versuchen den Auftrag zu verstehen und schicken den entsprechenden Befehl dann ans Handy zurück. Eine passable Funkverbindung und ausreichend Datenvolumen vorausgesetzt, klappt das inzwischen gut. Aber auch nur dann.

Ohne Netz ist das Smartphone auf sich selbst gestellt, muss ohne die intelligenten Algorithmen aus der Wolke auskommen. Vom Verständnis für den Nutzer bleibt nicht viel übrig. Damit sich das ändert, setzen Apple und seit Kurzem auch Huawei nun auf mehr Hardware und auf speziell getunte Chips im Telefon. Die sollen – so das Versprechen der Hersteller – die künstliche Intelligenz unabhängig machen vom Funknetz und der Unterstützung aus der Wolke.

Im Fall von Apples jüngsten Smartphones iPhone 8 und iPhone X soll der Spezial-Chip dem Telefon unter anderem die Fähigkeit verleihen, das Gesicht des Besitzers zum Entsperren mithilfe der FaceID-Funktion verlässlich zu erkennen. Egal soll es dabei sein, ob der Betreffende gerade einen Bart trägt oder eine neue Brille, ob er einen Hut oder eine neue Frisur auf dem Kopf hat.

In der Boutique, im Online-Shop oder daheim werden Programme die Wünsche der Kunden künftig vorhersehen und besseren Service bereitstellen. Die Daten dafür liefert jeder selbst.
von Thorsten Firlus

Huawei verspricht, dass der smarte Zweitprozessor – NPU (kurz für neuronal processing unit) genannt – beispielsweise beim Fotografieren von selbst das Motiv erkennt und die Kameraeinstellungen optimiert. Außerdem hilft die Bilderkennung dabei, die Fotos leichter wiederzufinden, indem sie die Aufnahmen nach Bildinhalten kategorisiert. Und zwar ohne, dass das Handy sie dafür erst ins Netz laden und dort einer Fotoanalyse unterziehen lassen zu müsste, wie das die Fotoverwaltungs-Apps von Google oder Microsoft erfordern.

Zudem soll die lernende Maschine verstehen, wie der Benutzer sein Handy einsetzt und durch eine intelligentere Steuerung die Ladeprozesse und den Betrieb von Hintergrundanwendungen optimieren.

Besserer Datenschutz?

Mit dem, was sich der gemeine Nutzer unter einem intelligenten Assistenten vorstellt, haben derlei Fertigkeiten allerdings recht wenig zu tun. Dazu kommt, dass nicht ganz klar ist, wo genau denn – zumindest bei Funktionen wie der Speicher- oder Ladeoptimierung – wirklich der Vorteil liegt, den nur eine lernende, sich selbst optimierende künstliche Intelligenz im Handychip leisten kann.

Trotzdem könnte die Integration der KI-Funktionen in On-Bord-Chips einen wichtigen Fortschritt bedeuten – und zwar nicht bloß für die Hersteller, die sich damit unabhängiger machen können von Googles Dominanz. Vor allem könnte mehr Logik im Telefon für mach Datenschutz-sensiblen Nutzer die Überwindung senken, die entsprechenden Assistenz-Funktionen auch wirklich zu nutzen.
Wenn nämlich all das gesammelte Wissen über Interessen und Gewohnheiten im Alltag wirklich IM Telefon verbliebe und nicht weiter den schier unstillbaren Datenhunger der Netzgiganten befriedigte, dann wäre das ein echter Gewinn für mehr digitale Privatsphäre und zu gleich mehr Komfort für die Anwender.

Das Vertrauen der Kunden, dass das auch wirklich so ist, das müssen sich die Handy-Produzenten noch hart erarbeiten.

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