Der EU-Kommission schwebt ein anderes Marktmodell vor als bisher. Anstelle eines intensiven Wettbewerbs in einem zersplitterten Markt mit 1200 Festnetz- und 100 Mobilfunkbetreibern sowie 1500 Kabel-TV-Anbietern sollen ehemalige Monopolisten wie Deutsche Telekom, France Télécom und die spanische Telefónica ihre frühere Dominanz zurückerhalten, das Geschehen auf dem europäischen Markt bestimmen und so der Konkurrenz aus den USA und Asien Paroli bieten. „In der europäischen Telekommunikationspolitik bahnt sich ein Paradigmenwechsel an, an dessen Ende eine Hinwendung zum amerikanischen Regulierungsmodell steht“, befürchtet Karl-Heinz Neumann, Direktor des Wissenschaftlichen Instituts für Infrastruktur und Kommunikationsdienste (Wik) in Bad Honnef und Mitglied im wissenschaftlichen Beirat der Bundesnetzagentur. In den USA gebe es in den meisten Regionen nur ein Duopol. Das heißt: Die Wahlmöglichkeit der Kunden ist zwischen einem Telekommunikationskonzern und einem Kabel-TV-Anbieter beschränkt.
Besonders ärgert Neumann, dass es im Gegensatz zu früher keine öffentliche Diskussion über diese Kehrtwende gibt. „Der Paradigmenwechsel vollzieht sich schleichend in vielen Einzelschritten“, kritisiert Neumann. „Es gibt keine explizite Ankündigung mit fundierter Begründung und nachfolgende Umsetzung in Gesetzgebung und Regulierungsentscheidungen.“
Zwiespältige Bilanz der Liberalisierung
Grund für den Politikwechsel ist eine zwiespältige Bilanz der bisherigen Liberalisierung. Zwar profitieren die Verbraucher von dem dramatischen Preisverfall zum Teil von mehr als 90 Prozent. Doch der intensive Wettbewerb führt auch dazu, dass Umsätze, Investitionen und Beschäftigung zum Teil schon seit sechs Jahren stetig fallen. Verantwortlich dafür sind nach Ansicht der Deutschen Telekom die viel zu harten Eingriffe der Regulierungsbehörden. Konzernchef René Obermann hatte deshalb die EU-Kommission immer wieder aufgefordert, ihre verbraucherfreundliche Linie aufzugeben: „Irgendwann ist die Zitrone ausgequetscht.“ Europas Telekomkonzernen werde systematisch Kapital entzogen, das für die Investition in Glasfasernetze fehle.
Das amerikanische Regulierungsmodell dagegen stärkt die Konzerne und mutet den Verbrauchern deutlich höhere Preise zu. Nur vier landesweite Netzbetreiber, darunter die Marktführer AT&T und Verizon, konkurrieren um die 330 Millionen Kunden und kontrollieren 86 Prozent des Marktes. Wettbewerb gibt es nur zwischen den großen Telefongesellschaften und Kabel-TV-Anbietern. Denn im Gegensatz zu Europa gibt es keinen streng regulierten Zugang für Unternehmen ohne eigene Infrastruktur wie United Internet, die das Netz von Giganten wie AT&T oder Verizon für eigene Angebote nutzen könnten.
Höhere Preise in den USA
Weil solche Anbieter in den USA fehlen, sind dort die Preise für superschnelle Internet-Anschlüsse deutlich höher. Während die Telekom für einen DSL-Anschluss mit bis zu 16 Megabit pro Sekunde 34,95 Euro pro Monat verlangt, zahlt der Kunde bei AT&T umgerechnet 43 Euro, bei Verizon 53 Euro. Die neuen VDSL-Glasfaseranschlüsse (bis 50 Megabit pro Sekunde) kosten bei der Telekom 39,95 Euro pro Monat, bei Verizon umgerechnet 61 Euro. AT&T und Verizon konnten ihren Börsenwert deshalb in den vergangenen Jahren kräftig steigern, während die Aktien der großen europäischen Pendants weiter nahe ihren Tiefstkursen dümpeln.
Eine Kopie des US-Modells hätte dramatische Folgen. Große Telekom-Konkurrenten ohne eigenes Ortsnetz in Deutschland wie United Internet, Vodafone oder Telefónica würden aus dem Markt gedrängt oder müssten sich ganz der Telekom unterordnen. Im Extremfall würden sie zu reinen Wiederverkäufern von Produkten degradiert, die schon die Telekom anbietet. Zum stärksten Konkurrenten würden die TV-Kabelnetzriesen Kabel Deutschland und Unitymedia aufsteigen, die bereits 2012 die höchsten Zuwachsraten erzielten und in diesem Jahr noch stärker zulegen wollen.