Liberalisierung wird zurückgedreht Das geheime Gemauschel der Telekom mit der Politik

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Viele kleine Einzelschritte

Stärken und Schwächen der Telekom
Schwäche1: Bereinigte Kennzahlen verzerren das BildWie fast kein anderes Unternehmen ist die Deutsche Telekom dafür bekannt, in ihren Zahlen ständig irgendwelche Sondereinflüsse auszuweisen. Berichtete und bereinigte Kennzahlen weichen regelmäßig meilenweit voneinander ab. Der Konzern hat zwar immer zahlreiche Begründungen für die Bereinigungen parat. Gleichwohl ist nicht von der Hand zu weisen, dass diese die Berichterstattung komplexer und schwerer verständlich machen. Allein im Geschäftsjahr 2011 liegen berichtetes und bereinigtes Konzernergebnis 2,3 Milliarden Euro auseinander. Aufwendungen, die der Konzern als Sondereffekte deklarierte und somit auch bereinigte, waren unter anderem Ausgaben für den Konzernumbau wie etwa Personalmaßnahmen sowie Firmenwertabschreibungen auf die Tochtergesellschaften T-Mobile in den USA und OTE in Griechenland. Quelle: AP
Als positiven Sondereffekt bereinigte die Telekom die Ausgleichszahlung, die der Konzern vom US-Konkurrenten AT&T für das Platzen des T-Mobile USA-Deals erhielt. Zunächst sind alle diese Bereinigungen verständlich. Experten kritisieren aber, dass manche Sondereffekte seit Jahren auftreten - wie etwa die Aufwendungen für den Stellenabbau. Aus Konzernkreisen heißt es dazu, dass die Sondereffekte, die den Konzernumbau betreffen, in der Zukunft abnehmen werden. Einmaleffekte aus Unternehmenstransaktionen (M&A) will die Telekom aber weiterhin bereinigen, um sich innerhalb der Branche vergleichbar zu machen. Quelle: dapd
Schwäche 2: Schuldenberg drückt auf die BilanzEin Trostpflaster gibt es für die Telekom-Aktionäre. Die US-Tochter T-Mobile ist der Bonner Konzern im vergangenen Jahr zwar nicht losgeworden. Die Ausgleichszahlung für das Platzen des Deals von AT&T in Höhe von umgerechnet 2,3 Milliarden Euro half dem Konzern aber an anderer Stelle: Die Telekom konnte ihre Nettofinanzschulden - also die Differenz aus Bruttofinanzschulden und Zahlungsmitteln - um 2,2 Milliarden Euro oder 5,1 Prozent senken. Gleichwohl bleiben die Nettofinanzschulden mit 40,1 Milliarden Euro weiterhin hoch. Im Verhältnis zum Eigenkapital machen die Nettofinanzschulden 100 Prozent aus. Zudem betragen sie das 2,1-Fache des Ergebnisses vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen. Quelle: dapd
Damit bleibt die Telekom zwar innerhalb ihres eigenen Zielkorridors. Von den Ratingagenturen wird der Konzern aber - unter anderem wegen der hohen Verschuldung - nur mit BBB+ (S&P, Fitch) beziehungsweise Baa1 (Moody's) bewertet. Damit liegt die Telekom nur drei Stufen über Ramschniveau. Ratingagenturen ziehen bei ihrer Bonitätsbeurteilung auch die Pensionsverpflichtungen hinzu. In ihrer Bilanz weist die Telekom 6,1 Milliarden Euro an Rückstellungen für die Altersversorgung ihrer Mitarbeiter aus. Ihre Nettoschulden erhöhen sich aus Sicht der Ratingagenturen entsprechend. Der geplante Verkauf der Tochter T-Mobile USA an den US-Konkurrenten AT&T für 39 Milliarden Dollar hätte die Schulden auf einen Schlag reduziert. Nun, da der Deal geplatzt ist, muss der Bonner Konzern Alternativen finden. Quelle: dpa
Schwäche 3: Das Auslandsgeschäft bleibt mühevollUm das schrumpfende Geschäft im Heimatmarkt zu kompensieren, hat die Telekom in zahlreiche Auslandsmärkte investiert - mit gemischtem Erfolg. In den USA fällt es der Telekom-Tochter T-Mobile zunehmend schwer, mit starken nationalen Konkurrenten wie Verizon und AT&T zu konkurrieren. Der geplante Verkauf der Sparte an AT&T hatte daher Begeisterung bei den Investoren ausgelöst. Seit der Deal wegen kartellrechtlicher Bedenken der US-Behörden scheiterte, warten die Aktionäre auf eine Alternative von Konzernchef René Obermann. In Griechenland ist die Telekom mit 40 Prozent an OTE beteiligt. Neben der Schuldenkrise machen dem Konzern dort vor allem die immer strengere Regulierung und die höheren Steuern zu schaffen. Quelle: dpa
Die Telekom spielt daher auch schon die Konsequenzen eines Austritts Griechenlands aus der Euro-Zone durch. Es heißt, der Konzern sei dabei zu dem Ergebnis gekommen, dass die griechische Tochter OTE danach auch ohne Hilfen der deutschen Mutter überlebensfähig sei. OTE muss auch im Falle eines Währungswechsels und einer spürbaren Abwertung der Drachme die finanziellen Verpflichtungen erfüllen können. Denn noch laufen Kredite und Anleihen in Euro, der Kapitaldienst würde sich drastisch verteuern. Weil OTE mit dem Mobilfunk momentan gutes Geld verdient und sich vor allem im ersten Quartal positive Trends zeigten, könne die OTE ihre Finanzierung allein stemmen, so die Hoffnungen der Telekom. Quelle: dpa
Stärke 1: Anleger werden bei Laune gehaltenAls Wachstumswert kann die Telekom ihre Aktie den Investoren nicht verkaufen, dafür aber als Dividendenpapier. Bis einschließlich nächstes Jahr garantiert der Konzern die Ausschüttung sogar. Wie im Vorjahr sollen die Aktionäre für das abgelaufene Geschäftsjahr daher 70 Cent je Aktie erhalten. Das entspricht einer Ausschüttungssumme von drei Milliarden Euro. Bei einem Konzernüberschuss von nur 557 Millionen Euro im Jahr 2011 erscheint der Betrag zunächst riesig. Doch da das Nettoergebnis durch zahlreiche Sondereinflüsse belastet ist, misst die Telekom ihre Ausschüttungsquote lieber am Free Cash-Flow. Das sind die freien Mittel, die nach Abzug der Investitionen in Sachanlagen und immaterielle Vermögenswerte von den Zuflüssen aus dem operativen Geschäft noch übrig bleiben. Diese Relation liegt 2011 mit 43 Prozent unter dem Vorjahreswert von 59 Prozent. Quelle: dpa

Der EU-Kommission schwebt ein anderes Marktmodell vor als bisher. Anstelle eines intensiven Wettbewerbs in einem zersplitterten Markt mit 1200 Festnetz- und 100 Mobilfunkbetreibern sowie 1500 Kabel-TV-Anbietern sollen ehemalige Monopolisten wie Deutsche Telekom, France Télécom und die spanische Telefónica ihre frühere Dominanz zurückerhalten, das Geschehen auf dem europäischen Markt bestimmen und so der Konkurrenz aus den USA und Asien Paroli bieten. „In der europäischen Telekommunikationspolitik bahnt sich ein Paradigmenwechsel an, an dessen Ende eine Hinwendung zum amerikanischen Regulierungsmodell steht“, befürchtet Karl-Heinz Neumann, Direktor des Wissenschaftlichen Instituts für Infrastruktur und Kommunikationsdienste (Wik) in Bad Honnef und Mitglied im wissenschaftlichen Beirat der Bundesnetzagentur. In den USA gebe es in den meisten Regionen nur ein Duopol. Das heißt: Die Wahlmöglichkeit der Kunden ist zwischen einem Telekommunikationskonzern und einem Kabel-TV-Anbieter beschränkt.

Gesamtumsatz

Besonders ärgert Neumann, dass es im Gegensatz zu früher keine öffentliche Diskussion über diese Kehrtwende gibt. „Der Paradigmenwechsel vollzieht sich schleichend in vielen Einzelschritten“, kritisiert Neumann. „Es gibt keine explizite Ankündigung mit fundierter Begründung und nachfolgende Umsetzung in Gesetzgebung und Regulierungsentscheidungen.“

Investitionen

Zwiespältige Bilanz der Liberalisierung

Grund für den Politikwechsel ist eine zwiespältige Bilanz der bisherigen Liberalisierung. Zwar profitieren die Verbraucher von dem dramatischen Preisverfall zum Teil von mehr als 90 Prozent. Doch der intensive Wettbewerb führt auch dazu, dass Umsätze, Investitionen und Beschäftigung zum Teil schon seit sechs Jahren stetig fallen. Verantwortlich dafür sind nach Ansicht der Deutschen Telekom die viel zu harten Eingriffe der Regulierungsbehörden. Konzernchef René Obermann hatte deshalb die EU-Kommission immer wieder aufgefordert, ihre verbraucherfreundliche Linie aufzugeben: „Irgendwann ist die Zitrone ausgequetscht.“ Europas Telekomkonzernen werde systematisch Kapital entzogen, das für die Investition in Glasfasernetze fehle.

Das amerikanische Regulierungsmodell dagegen stärkt die Konzerne und mutet den Verbrauchern deutlich höhere Preise zu. Nur vier landesweite Netzbetreiber, darunter die Marktführer AT&T und Verizon, konkurrieren um die 330 Millionen Kunden und kontrollieren 86 Prozent des Marktes. Wettbewerb gibt es nur zwischen den großen Telefongesellschaften und Kabel-TV-Anbietern. Denn im Gegensatz zu Europa gibt es keinen streng regulierten Zugang für Unternehmen ohne eigene Infrastruktur wie United Internet, die das Netz von Giganten wie AT&T oder Verizon für eigene Angebote nutzen könnten.

Beschäftigung

Höhere Preise in den USA

Weil solche Anbieter in den USA fehlen, sind dort die Preise für superschnelle Internet-Anschlüsse deutlich höher. Während die Telekom für einen DSL-Anschluss mit bis zu 16 Megabit pro Sekunde 34,95 Euro pro Monat verlangt, zahlt der Kunde bei AT&T umgerechnet 43 Euro, bei Verizon 53 Euro. Die neuen VDSL-Glasfaseranschlüsse (bis 50 Megabit pro Sekunde) kosten bei der Telekom 39,95 Euro pro Monat, bei Verizon umgerechnet 61 Euro. AT&T und Verizon konnten ihren Börsenwert deshalb in den vergangenen Jahren kräftig steigern, während die Aktien der großen europäischen Pendants weiter nahe ihren Tiefstkursen dümpeln.

Eine Kopie des US-Modells hätte dramatische Folgen. Große Telekom-Konkurrenten ohne eigenes Ortsnetz in Deutschland wie United Internet, Vodafone oder Telefónica würden aus dem Markt gedrängt oder müssten sich ganz der Telekom unterordnen. Im Extremfall würden sie zu reinen Wiederverkäufern von Produkten degradiert, die schon die Telekom anbietet. Zum stärksten Konkurrenten würden die TV-Kabelnetzriesen Kabel Deutschland und Unitymedia aufsteigen, die bereits 2012 die höchsten Zuwachsraten erzielten und in diesem Jahr noch stärker zulegen wollen.

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