Als Ursula von der Leyen kurz nach dem russischen Überfall auf die Ukraine vor die Öffentlichkeit trat, hatte sie eine klare Botschaft an alle russischen Fluglinien.
Um die Führung des Landes „zur Rechenschaft zu ziehen“, so die EU-Kommissionspräsidentin, werde die Versorgung mit Ersatzteilen für westliche Flugzeuge, Komponenten für russische Flugzeugprogramme und andere Technik abgeschnitten. Das erziele „mit relativ kleinem Aufwand eine riesige Wirkung“, sagte Ursula von der Leyen. Die Hoffnung trog offenbar.
Eine Analyse von Luftverkehrsdaten über Russland zeigt nun, dass der Betrieb am Himmel bisher noch nicht so recht abgenommen hat. Ein Vergleich von Flugbewegungen aus dem April 2022, kurz nachdem die Sanktionen in Kraft traten, mit den Bewegungen von Ende März 2023 zeigt keine signifikanten Unterschiede (siehe Animation). Lediglich den Sicherheitsabstand, den Maschinen zur Ukraine halten müssen, hat die russische Flugsicherung gegenüber den ersten Kriegstagen reduziert.
Wirkungslose Sanktionen – noch?
Zwar ist der zivile Luftverkehr über dem Land im Vergleich zu den Zeiten vor dem Krieg zurückgegangen. Doch das liegt nicht zuletzt daran, dass seither der direkte Flugverkehr zwischen Europa und Nordamerika nach Russland verschwunden ist. Denn weder dürfen Airlines aus Europa Russland anfliegen, noch dürfen russische Gesellschaften westliche Ziele bedienen. Dazu können westliche Linien das Land nicht länger überfliegen, müssen in Richtung Ost-Asien oder Indien Umwege nehmen.
Der innerrussische Verkehr ist jedoch laut Daten des Flugüberwachungsportals Flightradar24 bisher nicht betroffen. Fast noch größer als vor Kriegsbeginn sind auch die Verbindungen zwischen den arabischen Staaten, Indien, China oder Staaten wie Thailand, die sich an den Sanktionen nicht beteiligt haben. „Trotz der Sanktionen konnten russische Fluggesellschaften weitermachen und flogen in der zweiten Jahreshälfte 2022 sogar mehr als vor Covid“, wunderte sich etwa Guillaume Faury, Chef des weltgrößten Flugzeugherstellers Airbus.
Nagelneue Jets als Ersatzteillager
Die Hoffnung war eine andere. „Da drei Viertel der derzeitigen kommerziellen Luftfahrtflotte Russlands in der EU, den USA oder Kanada hergestellt wurden, dürfte das Verbot im Laufe der Zeit dazu führen, dass ein erheblicher Teil der russischen zivilen Luftfahrtflotte nicht mehr eingesetzt werden kann, nicht einmal für Inlandsflüge“, so die EU vor gut einem Jahr. Weil seinerzeit gut die Hälfte aller Passagiermaschinen im Westen ansässigen Leasingfirmen gehörten, würde die Betriebserlaubnis erlöschen. Und was dennoch flog, würde bald keine Ersatzteile mehr haben.
Zunächst klappte das auch. Die Leasingflieger blieben am Boden. Und obwohl sich die russischen Airlines offenbar in Erwartung eines Angriffskrieges und seiner Folgen mit Ersatzteilen eingedeckt hatten, begannen sie bald auch nagelneue Jets für Ersatzteile auszuschlachten.
Doch wie in anderen Feldern unterschätzte der Westen die Entschlossenheit Russlands. So genehmigte Präsident Wladimir Putin kurzerhand, die Flugzeuge westlicher Besitzer zu enteignen und sie im eigenen Land neu zu registrieren. Und Ersatzteile besorge man sich eben über inoffizielle Kanäle oder Drittländer wie Kasachstan, die Türkei oder Usbekistan, berichten russische Branchenportale wie „FrequentFlyers“. So könne man noch „mindestens zehn Jahre durchhalten“, tönen führende Politiker des Landes.
Wie lange das gut geht, bleibt abzuwarten. Denn ein Problem zeichnet sich für Russlands Luftfahrtbranche mutmaßlich bereits ab: Offenbar trauen die russischen Kunden den eigenen Airlines nicht mehr so recht. Dafür sorgen etwa Vorfälle wie ein explodiertes Triebwerk beim Start einer russischen Azur-Air-Maschine in Bali im Februar – auch wenn es hier keinen Beweis gab, dass es an mangelnder Wartung lag. „Wer es vermeiden kann, steigt aus Sicherheitsgründen nicht in ein Flugzeug“, sagte der frühere Manager der staatlichen Sberbank
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