Messeplatz Deutschland „Corona reißt die Einstiegsbarrieren in den deutschen Messemarkt“

Erwartet „tiefgreifende Veränderungen der deutschen Messelandschaft“: Christian Göke, Chef der Messe Berlin und Vorstandsmitglied beim Branchenverband AUMA. Quelle: dpa

Die Coronapandemie bedroht die Rolle Deutschlands als weltweit führender Messestandort. Berlins Messechef Christian Göke rechnet mit Übernahmen und dem Angriff ausländischer Konkurrenten.

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Christian Göke (55) ist einer der erfahrensten Manager der deutschen Messelandschaft. Seit 2000 gehört er der Geschäftsführung der Messe Berlin an und ist seit 2013 deren Chef. Zudem sitzt der im Vorstand des Messe-Branchenverbandes AUMA. Im Frühjahr gab Göke bekannt, dass er Ende 2020 bei der Messe ausscheidet, um eine neue Aufgabe anzunehmen.

WirtschaftsWoche: Herr Göke, ob Druck, Maschinenbau oder Haushaltselektronik, rund zwei Drittel aller globalen Branchenmessen fand bisher in Deutschland statt. Fünf der zehn weltgrößten Messegesellschaften haben hier Ihren Sitz. Nun aber herrscht auch bei Events flächendeckend Stillstand. Wie hart trifft der Coronaschock die deutsche Messebranche?
Christian Göke: Ich weiß es noch nicht. Aber es ist eine Frage, die nicht nur mich, sondern alle in der Szene derzeit massiv umtreibt. Und eigentlich reicht ihre Relevanz weit über unsere Branche hinaus: Denn die Bedeutung der globalen Leitmessen hier, auf denen sich die deutschen Aussteller immer besser präsentieren können, als wenn sie ihre Stände irgendwo sonst auf der Welt aufbauen, wird allgemein weit unterschätzt. Insofern ist die Frage nach den Zukunftsfolgen von Corona eine nach den Folgen für die deutsche Wirtschaft insgesamt.

Bleiben wir erst mal bei Ihnen persönlich. Wie gehen Sie mit dem Stillstand um?
Es ist tatsächlich alles ziemlich unwirklich. Wenn ich in den vergangenen Wochen bei uns in Berlin übers Messegelände gehe, dann herrscht da, wo sonst das Geschäft im Wochentakt brummt, eine überwältigende Leere. Das zu erleben, macht einen schon sehr traurig. Andersherum ist es gut, dass wir mit der „Special Edition“ der IFA ab dem 3. September zumindest mal ein deutliches Lebenszeichen abgeben: Seht her, es gibt uns noch, und wir können unsere Funktion als Forum, als Vernetzer und als Präsentations- und Informationsplattform auch in Coronazeiten erfüllen.

Sie haben die IFA 2020 auf ein reines Branchenevent reduziert. Vom Flair der Tech-Party, die seit Jahrzehnten Zigtausende in die Hallen und zu den Konzerten in den Sommergarten zog, hat das nichts mehr. Sieht so die Zukunft der Messen aus? 
So sieht die Gegenwart aus. Es bleibt uns erst einmal gar nichts Anderes übrig, als unser Angebot daran anzupassen, was in Zeiten von Corona machbar und vertretbar ist. Wir haben in den vergangenen Wochen und Monaten alle möglichen Hygienekonzepte konzipiert und diskutiert – und am Ende erkennen müssen, dass das beste Konzept nichts hilft, wenn die Aussteller aus Sorge um gesundheitliche Risiken nicht kommen wollen, oder dass ihre Leute wegen der EU-Vorgaben auch schlicht nicht einreisen dürfen.

Gilt das jetzt speziell für die IFA, die das „Internationale“ ja sogar im Namen trägt?
Nein, es gilt für alle deutschen Veranstalter der großen Branchenmessen. Es trifft uns in Berlin allenfalls als erste, weil wir mit die ersten sind, die nach dem völligen Stillstand wieder ein Event mit internationaler Relevanz aufziehen. Aber wir stehen alle vor dem gleichen Problem: Wie bringen wir die internationalen Aussteller in Zukunft wieder auf unsere Gelände?

Könnte es sein, dass die gar nicht wiederkommen? Immer mehr Unternehmen veranstalten Produktpräsentationen und Kundenveranstaltungen in Zeiten von Corona als virtuelle Events. Lange hieß es, das akzeptiere die Kundschaft nicht – aber plötzlich sind Skype, Teams oder Zoom das neue Normal. Gilt das auch für virtuelle Messen?
Darauf gibt es keine eindeutige Antwort. Ganz sicher wirkt Corona – auch – in der Eventszene wie ein starker Katalysator für die Digitalisierung. Auch in unserer Branche vollzieht sich da in Wochen, was sonst vielleicht noch Jahre gedauert hätte. Heißt das aber auch, dass sich die klassischen Präsenzmessen überlebt haben? Ich glaube nicht. Es wird auch weiterhin einen Bedarf der Unternehmen geben, sich und ihre Produkte erlebbar und fassbar zu präsentieren. Und einen Bedarf der Menschen, sich persönlich kennenzulernen und auszutauschen. Trotzdem werden sich die Rolle und die Aufgabe von Messen ändern. Und möglicherweise wird es auch die unternehmerischen Strukturen der Branche radikal verändern.

„Wenn ich in den vergangenen Wochen übers Messegelände gehe, herrscht da, wo sonst das Geschäft im Wochentakt brummt, eine überwältigende Leere. Das zu erleben, macht einen schon sehr traurig.“Christian Göke, Vorsitzender der Geschäftsführung der Messe Berlin Quelle: obs

Welche Veränderungen erwarten Sie konkret?
In der Vergangenheit hatten wir Messeveranstalter drei Kernaufgaben. Wir haben das Event als solches konzipiert, organisiert und durchgeführt. Wir haben dafür gesorgt, dass sich auf den Messen die passenden Menschen treffen. Dieses Match-Making wurde in der Vergangenheit immer wichtiger. Und schließlich sind Messen auch immer stärker Plattformen für die Wissensvermittlung geworden. Das spiegelt sich in den zunehmenden Konferenzangeboten wider, ohne die heute kaum eine Messe mehr auskommt. Bei zwei von diesen drei Funktionen müssen wir uns, wenn wir ehrlich sind, eingestehen, dass wir als traditionelle Messeveranstalter in Zukunft gegen die digitale Konkurrenz schlechte Karten haben.

Nämlich wo?
Beim Match-Making und bei der Wissensvermittlung: Menschen in Kontakt zu bringen, die ähnliche Interessen haben oder sich ergänzende wirtschaftliche Bedürfnisse, das beherrschen etwa einige KI-gestützte Onlineplattformen schon besser und billiger als mancher Messeveranstalter. Und auch gute Bildungsplattformen im Netz sind längst flexibler und vielfältiger, als viele Präsenzveranstaltungen das sein können. Nur, wenn es darum geht, die Events als solche zu „machen“, reicht die digitale Simulation noch lange nicht an das ganzheitliche Erlebnis Messe heran. Sich mal treiben und beim Bummel durch die Hallen inspirieren zu lassen, Stimmungen aufzuschnappen, Trends im Vorbeigehen zu erfassen, auf die Dinge zu stoßen, die man nicht gesucht hat, die einen aber trotzdem interessieren – das funktioniert nur im realen Raum.


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