Mobile Payment Zahlen wir in Zukunft alle mobil?

Bis 2020 soll mobiles Bezahlen europaweit an allen Kassenterminals möglich sein – das behauptet Visa. Doch zahlen wir wirklich bald nur noch kontaktlos mit Karte oder Smartphone?

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Kontaktloses Zahlen bei Aldi Nord. Quelle: obs

Samsung Pay ist erstaunlich einfach. Man aktiviert eine App auf seinem Samsung-Smartphone, hält das Handy an ein Kassenterminal – und hat bezahlt. Ohne lästiges Suchen nach Bargeld, dem Satz „Warten Sie, ich habs gleich“ oder „Haben Sie einen Cent?“, während hinter einem die Schlange immer länger wird. Das Kreditkartenunternehmen Visa geht nach eigener Aussage davon aus, dass Menschen in den kommenden Jahren verstärkt mobil zahlen. Bis 2020 sei europaweit an allen Kassenterminals mobiles Bezahlen möglich, so der Visa-Europe-Manager Volker Koppe.

Dass mobiles Bezahlen – also das Zahlen mittels mobilen Geräten wie einem Handy – bis 2020 in allen Geschäften möglich sein wird, darin sind sich die Experten einig. „Das ist ziemlich sicher“, erklärt Key Pousttchi, Professor für Wirtschaftsinformatik an der Uni Potsdam. An allen Kassenterminals, an denen man kontaktlos mit Karte zahlen kann, kann man auch mit Handy oder anderen mobilen Geräten zahlen. Den Verkäufern ist das nur oft nicht bewusst: „Ich habe neulich an einer Tankstelle an der Ostsee kontaktlos mit Karte gezahlt - die Kassiererin war sehr überrascht, das Terminal nicht“, erklärt Pousttchi.

Welche Zahlungsmittel Europäer bevorzugen
Das Geschäft mit dem Versenden von Geld über Smartphone-Apps lockt jetzt auch etablierte Banken an. Die Deutsche Kreditbank (DKB) kooperiert dafür mit dem Startup Cringle. Pro Monat kann ein Nutzer bis zu 100 Euro über die Cringle-App verschicken, abgewickelt wird die Zahlung per Lastschrift von der DKB. Pro Transaktion werden 20 Cent fällig, zum Start wurde die Gebühr auf 10 Cent gekappt. Das neue Angebot trifft bereits auf Wettbewerb im Markt. So bietet der Online-Bezahldienst PayPal seit Juli das Versenden von Geld über seine Smartphone-App in Deutschland an. Für Kunden, die ihren PayPal-Account mit einem deutschen Bankkonto verknüpft haben, ist das Angebot kostenlos, bei Kreditkarten wird eine Gebühr fällig. In vielen europäischen Ländern tun sich moderne Bezahlsysteme jedoch noch so schwer... Quelle: dpa
ÖsterreichOhne Bargeld geht in Österreich gar nichts. 86 Prozent bezahlen an der Kasse in bar, 12 Prozent mit EC-Karte. Eine Kreditkarte kommt nur in einem Prozent der Fälle zum Einsatz. Auf sonstige Alternativen wie Schecks, PayPal, Lastschrifteinzug oder Ähnliches entfällt insgesamt nochmal ein Prozent.Quelle: Deutsche Bundesbank; Europäische Kommission; Deloitte (Stand: 2014) Quelle: dpa
PolenIn Polen werden 80 Prozent der Bezahlvorgänge an der Kasse bar beglichen. Eine EC-Karte nutzen –ähnlich wie in Österreich – 13 Prozent der Bevölkerung. Immerhin werden auch drei Prozent der Bezahlvorgänge durch Kreditkarten abgewickelt. Auf die alternativen Zahlungsmittel entfallen vier Prozent. Quelle: dpa
DeutschlandAuch die Deutschen haben ihr Geld beim bezahlen lieber in fester Form in der Hand – in 79 Prozent der Fälle wird bar bezahlt. Zwölf Prozent der Käufe werden mit der EC-Karte beglichen, weitere sechs Prozent per mit Lastschrifteinzug, Scheck und anderen alternativen Zahlungsmethoden. Quelle: dpa
ItalienZwar ist Bargeld mit 69 Prozent noch immer das beliebteste Zahlungsmittel in Italien, aber auf Platz zwei kommen auch schon alternative Zahlungsmittel mit 17 Prozent. So sind Schecks, Kundenkarten, PayPal und andere Alternativen zusammen genommen bei den Italienern beliebter als die EC-Karte mit neun Prozent und die Kreditkarte mit sechs Prozent. Quelle: dpa
Sagrada Familia Quelle: AP
London Tower Bridge Quelle: dpa

Der Branchenverband Bitkom schätzt die Zahl der Kassenterminals mit kontaktloser Bezahl-Technologie auf acht Prozent. Tendenz steigend. Kürzlich führte beispielsweise Aldi Nord kontaktloses Zahlen in seinen 2400 Filialen ein.

Doch wird die breite Masse solche Verfahren nutzen? Momentan ist Deutschland ein Bargeld-Land, wie eine repräsentative Studie der Bundesbank aus dem Jahr 2014 zeigt. Seit 2008 ist die Bargeld-Quote konstant hoch. Vier von fünf Transaktionen begleichen die Deutschen in cash. Geht man nach Umsätzen, so bezahlen die Bürger mehr als die Hälfte ihrer Ausgaben bar. Laut Pousttchi wird Mobile Payment kurzfristig daran nichts ändern. „Bisher gibt es keine wirklich attraktiven mobilen Bezahlverfahren auf dem Markt.“

Rabatte als Anreiz?

Ähnlich sieht das Hans-Martin Kraus, Head of Payments beim Technologie-Beratungsunternehmen Capco. „Neue Technologien, die das Bezahlverhalten ändern sollen, müssen einschneidende Verbesserungen bieten zu bestehenden Methoden.“ Bei Mobile Payment fehlen solche Verbesserungen bisher.

Auch das Rabattargument überzeugt Kraus nicht. Rabatte bieten demnach einen Zusatznutzen gegenüber etablierten Bezahlmethoden, was Verbraucher zum mobilen Zahlen animieren könnte. Zahlt man beispielsweise mit dem Smartphone, bekommt man einen Rabatt oder andere Vorteile gutgeschrieben - und das in einem Bezahlvorgang, ohne ein Coupon-Heftchen aus der Tasche holen zu müssen. Google lockt Kunden bei seinem Bezahldienst Android Pay mit einem Bonusprogramm für Marken wie Coca Cola. Kraus glaubt nicht, dass viele Menschen wegen Rabatte zum mobilen Bezahlen wechseln werden. „Der preisliche Spielraum bei Rabatten reicht nicht aus, um Verhalten zu ändern.“

Zukünftig sinkende Bargeldquote

Stattdessen könnte die Zahlungsdiensterichtlinie II (PSD 2) mobiles Zahlen attraktiver machen. Die EU-Richtlinie erlaubt Drittanbietern den Zugriff auf ein Bankkonto, falls sich der Kontoinhaber einverstanden erklärt. Die neuen Regeln sollen die EU-Staaten ab 2017 anwenden. Kraus sieht durch PSD 2 einen emotionalen Zusatznutzen für Verbraucher. „Am Kassenterminal zu stehen und die Karte funktioniert nicht kann sehr unangenehm sein.“ Künftig könnten alle Konten mit dem mobilen Gerät verknüpft sein, dadurch sinke das Risiko einer ungedeckten Zahlung. Insgesamt würden die aktuellen regulatorischen Trends mobile Bezahlverfahren weiter fördern, meint Kraus. „Mehr Sicherheit, Transparenz und Kontozugriffsmöglichkeiten werden den Nutzerkomfort beim Mobile Payment deutlich erhöhen, was sich in stärkerer Akzeptanz zeigen wird.“

Die beliebtesten Mobile-Banking-Apps in Deutschland

Pousttchi glaubt ebenfalls, dass der durschlagende Kundenvorteil beim Mobile Payment fehlt. Trotzdem ist er sicher: „In zwei bis drei Jahren gibt es mobile Verfahren mit einschneidenden Vorteilen.“

In den USA ist Apple Pay eine etablierte Bezahlmethode geworden. Ein Prozent aller Käufe im Einzelhandel werden über Apples Bezahldienst abgewickelt – und das, obwohl Apple Pay erst seit einem Jahr existiert. Trotzdem wird sich Mobile Payment in Deutschland langsamer durchsetzen als in den angloamerikanischen Ländern, meint Pousttchi. Grund: Die Deutschen haben weniger Vertrauen in alternative Bezahlverfahren und benutzen lieber das gesetzliche Zahlungsmittel Bargeld.

Bargeld bietet Anonymität

Eine ähnliche Einschätzung gibt Capco-Partner Kraus. Er glaubt, dass mittel- bis langfristig neue Bezahlmethoden wie Mobile Payment angenommen werden, aber nicht allein dominieren. Mit Bargeld werde weiterhin bezahlt werden, auch wenn die Bargeldquote sinken wird. „Es wird immer ein Bedürfnis geben, anonym zu bleiben.“ Bargeld sei den Menschen wichtig beim „Dispositionsmanagement.“ In anderen Worten: Beim Bargeld hat man einen besseren Überblick darüber, wie viel man bereits ausgegeben hat. Und besonders in Krisenzeiten steige die Bargeldnachfrage massiv an, wie sich in der Finanzkrise 2008 gezeigt habe. „Bargeld wird immer eine Rolle spielen, während die Kartensysteme eines Tages vollständig durch mobile Verfahren abgelöst werden“, so Kraus.

Einen Schub bekommt Mobile Payment womöglich dadurch, dass Bargeld bei Banken und Staaten verpönt ist. In den vergangenen Jahren führten viele europäische Staaten Bargeld-Obergrenzen ein. In Italien dürfen Beträge über 1000 Euro nicht mehr bar beglichen werden. Der französische Staat senkte die Obergrenze im September von 3000 auf 1000 Euro. Insgesamt zählt das Europäische Verbraucherzentrum Deutschland auf seiner Webseite zwölf EU-Staaten, die gesetzliche Höchstgrenzen für Barzahlungen eingeführt haben.

Bargeld-Abschaffung

Einige Ökonomen fordern sogar eine Abschaffung des Bargelds. So zum Beispiel die Harvard-Professoren Kenneth Rogoff und Larry Summers oder Andy Haldane, Chefökonom der Bank of England. Der Wirtschaftsweise Peter Bofinger nannte das Bargeld einen „Anachronismus.“

Werden in Zukunft diese Forderungen umgesetzt, ist es gut möglich, dass mobiles Zahlen die vorherrschende Bezahlweise wird. Mobil bedeutet übrigens nicht, dass mit dem Handy gezahlt werden muss. „Technologisch hängt das überhaupt nicht am Telefon, man denke nur an die Wearables wie die Smartwatch“, erklärt Kraus. Selbst biometrisches Bezahlen wäre möglich, zum Beispiel per Iris-Scan, Gesichtserkennung oder Fingerabdruck. Dann ist selbst das Samsung-Smartphone mit Bezahl-App nicht mehr notwendig.

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