Mobilfunk „Einer wird am Ende garantiert schwach“

Immer mehr Handys kommen mit eSIM auf den Markt. Die Kunden profitieren von neuen Angeboten – die Netzbetreiber hingegen geraten unter Druck. Quelle: dpa

Seit Jahren dominiert das Oligopol aus Telekom, Vodafone und Telefónica den deutschen Mobilfunkmarkt. Nun kommt die eSIM und sorgt für ganz neue Konkurrenz. Drei Szenarien, wer in den kommenden Jahren den Markt dominiert.

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Noch gehört sie zum Telefon wie die Vorwahl zur Handynummer: Ohne die SIM-Karte, jenen Mikrochip, auf dem die Rufnummer und die Sicherheitscodes gespeichert sind, mit denen sich das Handy ins Funknetz einbucht, bleiben das Smartphone stumm und der Weg ins mobile Internet blockiert.

Aber nicht mehr lange. Denn nachdem erst Apple in seinen neuen iPhone-11-Modellen und Google in zwei Pixel-Handys sogenannte eSIMs integriert haben, bringen nun mit Samsung und Motorola weitere Hersteller entsprechende Smartphones auf den Markt, die die Daten der SIM direkt im Handy speichern. Andere Handyproduzenten haben ähnliche Pläne. Knapp sieben Millionen Deutsche besitzen schon heute eSIM-fähige Telefone.

2020, da sind sich die Experten einig, wird das Jahr, in dem die eSIM den Massenmarkt erreicht.

Das Netz zu wechseln wird für die Kunden damit so leicht wie nie zuvor. In Zukunft reicht es, Kundendaten und Bankverbindung online zu erfassen und anschließend per Handykamera das Strich- oder Würfelmuster eines QR-Codes auf dem PC-Bildschirm zu scannen. Dann werden Rufnummer und Sicherheitsschlüssel via Internet auf den Chip übertragen.

Ein dichtes Netz von Handy-Shops oder Ladenketten, das Telekom, Vodafone und Telefónica oder deren Vertriebspartnern wie Aldi, Lidl oder Freenet den Zugang zum Kunden garantierte, wird dann überflüssig. Der direkte Weg zum Kunden übers Internet ermöglicht nicht bloß neuen, mächtigen Anbietern, ins Mobilfunkgeschäft einzusteigen. Die Technik erlaubt auch ganz andere Geschäftsmodelle als die bisher zementierten, langlaufenden Verträge.

Für die etablierten Netzbetreiber ist das ein Albtraum, gegen den sie sich jahrelang gewehrt haben. Handyhersteller berichten von Verhandlungen mit den Mobilfunkern, bei denen die Einkäufer es schon explizit abgelehnt haben, Top-Telefone mit zweiter SIM-Karte zu vertreiben, geschweige denn mit eSIM.

Nun aber lässt sich der Trend nicht mehr aufhalten, wie Samsungs neue Galaxy-S20-Serie oder Motorolas Neuauflage des Klapphandys Razr belegen. Die besitzen teils sogar nur noch eine eSIM und kommen ganz ohne klassischen SIM-Kartenschlitz auf den Markt.

„Den Kunden bringt das eine bislang ungekannte Flexibilität“, sagt Annette Zimmermann, Mobilfunkspezialistin beim Marktforscher Gartner. Zumal sich auf einer eSIM sogar mehrere Netz- und Kundenprofile parallel speichern und nutzen lassen. „Das wird dem Wettbewerb im Mobilfunk ganz neue Impulse geben.“

Drei Szenarien, wie die eSIM den Mobilfunkmarkt verändert und wie sie die Netzbetreiber treffen würden.

1. Szenario: Apple und Co. werden zu Mobilfunkanbietern

Apples erster Anlauf, sich als Makler zwischen Netzbetreiber und Kunden zu schalten, war der Versuch, mit der Apple-SIM eine eigene programmierbare SIM-Karte für verschiedene iPad-Tablets zu etablieren. In dem 2016 vorgestellten iPad Pro war die Apple-SIM erstmals als eigener Mikrochip im Rechner eingebaut. Darüber konnten iPad-Nutzer nach kurzer Registrierung im Gerät via Mobilfunk online gehen.

Doch der Plan, die Kunden beim Weg ins mobile Internet vor allem an sich zu binden, scheiterte. Teils weil die Tarife zur unattraktiv waren, teils weil einzelne Netzbetreiber nach der Anmeldung des Gerätes in ihrem Netz kurzerhand weitere Netzwechsel unterbunden haben.

Das aber heißt nicht, dass große Technologiekonzerne wie Apple, Google oder Amazon es nicht erneut versuchen werden. Diesmal auf Basis des allgemeinen eSIM-Standards, der Netzwechsel und das Nebeneinander mehrerer Mobilfunknutzerprofile ausdrücklich vorsieht.

Amazon etwa hat in viele seiner Kindle-Tablets längst globale Datentarife integriert. Die kauft der Konzern von Netzbetreibern ein, ohne dass der Kindle-Nutzer noch mit dem Mobilfunker eine eigene Kundenbeziehung hätte. Google macht den Kommunikationskonzernen in den USA bereits mit einem eigenen Breitband-Internetzugang Konkurrenz.

Und unter Kennern der Mobilfunkszene gilt es als ausgemacht, dass irgendeiner der großen regionalen Netzbetreiber früher oder später schwach wird, wenn Apple mit ausreichend Umsatzpotenzial lockt, um den eigenen Kunden einen Pauschaltarif für neue iPhones oder iPads mit eSIM anbieten zu können. Zu mächtig ist der Konzern aus Cupertino, zu attraktiv sind seine Produkte, als dass die Netzbetreiber sich einem hinreichend umsatzträchtigen Deal dauerhaft verweigern würden.

Denn das Risiko ist zu groß, am Ende Apples ebenso innovationsfreudige wie zahlungskräftige Anhänger als Kunden ganz an die Konkurrenz zu verlieren. Dann würden sich Telekom, Vodafone oder Telefónica wohl doch eher noch auf eine Vereinbarung einlassen, bei der sie nur noch Übertragungsleistung verkaufen und nicht mehr selbst die Kundenbeziehung kontrollieren.

Und wenn erst einmal der erste Deal mit Apple geschlossen ist, werden Google, Facebook oder Amazon mit ähnlichen Plänen auftreten. Dann übernimmt Big Tech.

Für die großen Netzbetreiber bliebe in diesem Szenario im Endkundengeschäft kaum noch mehr als der Verkauf mobiler Daten an ein Oligopol der internationalen Digitalkonzerne.

2. Szenario: Kommunikations-Broker drücken die Preise

Weniger radikal könnte der Umbruch im zweiten Szenario verlaufen, in dem die traditionellen Mobilfunker den Kundenkontakt nicht komplett verlieren. Daneben aber nutzen neue Anbieter die eSIM, um eigene Kommunikationspakete ohne großen Vertriebsaufwand in den Markt zu bringen.

Als Angreifer gesetzt ist der Internetdienstleister 1&1, dessen Ableger Drillisch im vergangenen Jahr die vierte Lizenz für den Aufbau eines 5G-Mobilfunknetzes ersteigert hat. 1&1 ist als ebenso erfolgreicher wie effizienter Vermarkter von Internet-, Telefon- und Mobilfunkanschlüssen in der Branche geschätzt bis gefürchtet, kommt weitestgehend ohne eigenen stationären Vertrieb aus.

Und 1&1 wird – davon gehen Branchenkenner aus – offensiv in die Vermarktung von eSIM-basierenden Tarifen einsteigen, sobald die dafür tauglichen Smartphones in ausreichender Stückzahl im Markt verfügbar sind.

Das lässt den Etablierten Platz im Mobilfunkmarkt, macht das Geschäft aber nicht leichter. Die seit Jahren fallenden Durchschnittsumsätze pro Kunde dürften noch weiter abrutschen. Lagen dieser sogenannte ARPU („Average revenue per User“)  vor einem Jahrzehnt bei Vertragskunden von Vodafone oder der Telekom noch um die 30 Euro, sind es heute nur noch knapp über (Deutsche Telekom), beziehungsweise knapp unter 20 Euro (Vodafone). Bei Telefónica ist es nochmals rund ein Viertel weniger.

Wenn sich Netzwechsel per eSIM erst einmal mit einem simplen Tipp in die Bestpreis-App eines Kommunikations-Brokers bewerkstelligen lässt, werden die Umsätze bei Endkunden noch mehr unter Druck geraten. Erst recht, wenn sich Bundesverbraucherschutzministerin Christine Lambrecht (SPD) mit ihren aktuellen Plänen durchsetzt, langfristige Abo-Verträge auf eine Laufzeit von maximal einem Jahr zu deckeln.

Und auch bei Geschäftskunden droht den Konzernen Ungemach: Nicht primär bei großen Konzernen. Die können schon heute bei Telekom und Co extrem rabattierte Firmenverträge für ihre Mitarbeiter abschließen. Doch gerade die Vielzahl der Mittelständler und kleineren Unternehmen zahlt derzeit noch deutlich mehr für die Mobilfunkverträge ihrer Beschäftigten.

Das aber könnte sich ändern, wenn spezialisierte Broker Kommunikationsleistung zu Großkunden-Konditionen einkaufen und dann über gemanagte eSIMs in den Smartphones ihrer Kunden abrufen. In welchen Mobilfunknetzen deren Mitarbeiter dann jeweils konkret telefonieren, beziehungsweise über welche Netze die Internetverbindungen von Handys, Tablets oder Laptops laufen, bekommen die Nutzer gar nicht mit.

Denn sie sind über Telefon-Apps auf den Geräten nur noch an virtuelle Telefonanlagen angebunden, die als Cloud-Service im Internet laufen. Die tatsächliche Rufnummer, des jeweils gerade in der eSIM aktivierten Netzbetreibers, spielt für die Nutzer keine Rolle mehr.

In diesem Szenario gehen den traditionellen Netzbetreibern die direkten Kundenbeziehungen zwar nicht in Gänze verloren, doch sie büßen – bezogen auf den Gesamtmarkt – merklich an Bedeutung ein.

3. Szenario: Die Etablierten schaffen den Sprung in die neue Welt

Die eSIM wird in vernetzter Technik in wenigen Jahren schon so verbreitet sein, wie heute das WLAN-Modul. Und sie erschließt noch unzählige weitere Anwendungsszenarien: Ob Rasenmäher, Mülltonnensensor oder Hundehalsband, ob Fahrrad oder Fitness-Tracker, alles wird Teil des Internets der Dinge, in dem die Alltagsgeräte bei minimalem Stromverbrauch teils jahrelang über die neuen 5G-Mobilfunknetze Informationen austauschen.

Um all diese Technik in den vernetzten Alltag einzubinden und zu managen, schließen Mobilfunknutzer in Zukunft nicht mehr nur einen Handyvertrag ab. Sie buchen stattdessen pauschale Kommunikationspakete für fünf, zehn oder mehr Geräte, die über ein Nutzerkonto verwaltet werden.

Die Übertragung der Kundendaten auf die zahlreichen eSIMs, aber auch das Management von Endgeräten, Rufnummern oder Datenvolumen – all das übernehmen Dienstleister.

Hier sehen Experten gute Chancen für die Netzbetreiber, die ja bereits jahrzehntelange Erfahrung im Management von Millionen von Endgeräten haben, ihr Geschäft auszuweiten. Der Umsatz pro verwaltetem Endgerät wird zwar drastisch sinken. Aber durch die massiv wachsende Zahl zusätzlicher angeschossener Funkmodule und eSIM macht es dann die Masse. Und es könnte den Mobilfunkern gelingen, den Umsatz pro Kunde mindestens stabil zu halten, womöglich sogar auszubauen.

Noch ist völlig offen, auf welches dieser Szenarien es am Ende hinausläuft. Oder ob sich eine ganz andere Konstellation etabliert. Nur von einem gehen inzwischen – inoffiziell – auch die Marktstrategen bei Telekom, Vodafone und Telefónica aus: Nach Jahren weitgehend zementierter Macht- und Marktverhältnisse wird der Kampf um die Kundschaft dank eSIM noch einmal ganz neu entbrennen.

Den Kunden kann das nur recht sein.

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