Gerrit Schumann versucht schon seit einigen Jahren, einen dominierenden Musikstreaming-Dienst in Deutschland aufzubauen. Er war Chef von Simfy, dem deutschen Pionier in diesem Bereich, der schon 2007 begonnen hatte, Musikfans Millionen von Songs zum Abspielen über das Internet anzubieten. Doch nachdem mit Spotify der weltweite Marktführer aus Schweden vor zwei Jahren auch hierzulande startete, geriet Simfy zunehmend ins Hintertreffen.
Im vergangenen Jahr wechselte Schumann zum französischen Konkurrenten Deezer, wo er als Vizepräsident unter anderem den deutschen Markt beackert. Und dabei hat er nun einen neuen Trumpf.
Das Geschäft mit dem Musik-Streaming
Nachdem MP3-Dateien CDs und Platten ersetzten, bringt das Streaming eine vielleicht noch größere Veränderung für die Musikbranche. Denn die Nutzer zahlen nicht mehr für den Besitz von Musik, sondern deren Nutzung. Für eine Monatsgebühr erhalten sie Zugriff auf Musikkataloge mit Millionen Titeln. Zudem gibt es auch kostenlose Angebote, die über Werbung Geld einnehmen.
Laut dem Bundesverband der Musikindustrie haben die Streamingdienste stark an Bedeutung gewonnen. Derzeit (Stand Sommer 2014) haben sie einen Anteil von fünf Prozent am Musikmarkt. Nach Schätzungen sollen sie 2018 schon 35 Prozent des Marktes ausmachen.
Künstler kritisieren immer wieder die geringe Vergütung – pro gehörtem Stück erhalten sie Bruchteile eines Cents. Die Einnahmen sind bislang deutlich geringer als über die Verkaufsbeteiligungen. Trotzdem schreiben auch Streamingdienste wie Spotify Verluste. Wie sich die Kalkulationen von Streaminganbietern, Plattenfirmen und Musikern künftig ausbalancieren, ist eine der entscheidenden Fragen.
Denn Deezer bündelt seine Kräfte mit ProSiebenSat.1. Die Franzosen übernehmen dabei Ampya, den Musikstreamingdienst von ProSieben, die Sendergruppe erhält dafür einen Anteil an Deezer. „Wir bringen das operative Ampya-Geschäft in die Partnerschaft ein und beteiligen uns im Gegenzug an dem internationalen Streaming-Dienst“, sagt Christian Wegner, Digitalvorstand von ProSiebenSat.1.
Werbeoffensive
ProSieben hatte Ampya erst vor einem Jahr gestartet und vor allem durch massive TV-Werbung auf den eigenen Kanälen bekannt gemacht. Auf diese Weise soll künftig auch Deezer hierzulande aufholen. „Mit diesem reichweitenstarken Partner können wir die Marke bekannter machen“, sagt Schumann. Das sei der „zentrale Punkt“ für die Kooperation gewesen.
Doch ProSieben bringt noch einen weiteren Vorteil in die Partnerschaft ein: Der Sender hat für Ampya einen Deal mit Vodafone. Kunden des Mobilfunkriesen können den Musikdienst dazu buchen und erhalten ein zusätzliches Datenkontingent. „Deezer wird diese Kooperation von Ampaya übernehmen und weiter fortführen“, sagt Wegner.
Konkurrent Spotify bietet hierzulande solch ein Angebot in Kombination mit der Telekom. Deezer hat nun einen entscheidenden Wettbewerbsnachteil aufgeholt. Wie wichtig diese Kooperationen sind hat Schumann bei Simfy erlebt: „Solch eine Partnerschaft mit einem Telekommunikationsunternehmen hat gefehlt, das war ein entscheidender Wettbewerbsnachteil.“ Deezer hatte hingegen in Frankreich den dortigen Mobilfunkmarktführer Orange als Partner gewonnen und so auch gegen Spotify den Spitzenplatz erobert.
Apple und Google als Gegner
Gemeinsam soll das nun auch in Deutschland gelingen. „Die langjährige Expertise von Deezer vereint mit unserer Marketing-Power bilden die besten Voraussetzungen, Platz 1 in Deutschland, zu erklimmen“, sagt Wegner. „Und das ist das gemeinsame Ziel“.
Der Plan ist ambitioniert. Nutzerzahlen für den deutschen Markt nennen weder Deezer noch Ampya – was dafür spricht, dass sie so beeindruckend nicht sind. Weltweit haben die Franzosen 16 Millionen aktive Nutzer und fünf Millionen zahlende Abonnenten, Deezer bezeichnet sich als „globale Nummer Zwei im Markt“. Spotify hat nach eigenen Angaben 40 Millionen aktive Nutzer, davon 10 Millionen zahlende Kunden.
Markstart in den USA
Zudem gibt es neue, starke Konkurrenten. Nachdem Start-ups die virtuellen Jukeboxen populär gemacht haben, bieten inzwischen auch Internet-Riesen wie Apple, Google oder Sony eigene Musikstreaming-Dienste.
Noch tun sie sich schwer, doch vor allem Apple dürfte seine Aktivitäten steigern, je mehr Nutzer ihre Musik im Abo erwerben statt einzelne Titel oder Alben bei iTunes zu kaufen. So zielte die mit drei Milliarden Dollar teuerste Übernahme des Kopfhörerherstellers Beats auch stark auf deren kürzlich gestarteten Streamingdienst.
Doch Schumann schrecken die mächtigen Wettbewerber nicht: „Was Beats angeht, bin ich ziemlich entspannt“. Er sieht die unabhängigen Anbieter im Vorteil, da Unternehmen wie Apple oder Google immer versuchen ihre Dienste als festen Teil des eigenen Ökosystems zu integrieren.
Als Vorteil auch gegenüber Spotify sieht er zudem die Empfehlungsfunktion von Deezer, die Nutzern auf ihren Vorlieben basierende Musikvorschläge macht. Das bieten zwar alle Wettbewerber, doch die Lösung von Deezer sei besser, da sie automatisch per Algorithmus generierte Vorschläge mit Empfehlungen die von Menschen kuratiert sind kombiniert. „Wir konnten damit den Anteil neu gehörter Musik verdoppeln“, sagt Schumann.
Damit will Deezer auch in den USA angreifen, der Marktstart dort ist für dieses Jahr geplant. Die Zusammenführung von Deezer und Ampya wird in der zweiten Jahreshälfte erfolgen und möglichst bei Jahresende abgeschlossen sein.