Musik-Streaming Wieso Spotify noch immer kein Geschäftsmodell hat

Die Branche hat ihre Zukunft an den Erfolg von Streaming gehängt. Doch Diensten wie Spotify läuft die Zeit davon, ein Geschäftsmodell aufzubauen.

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Die Superlative des Musik-Streamings
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Unterschiedlicher könnten sie nicht sein, die beiden Schweden, die derzeit die Musikindustrie auf den Kopf stellen. Eric Wahlforss, Gründer der Streamingplattform Soundcloud, ist Musiker, DJ und Protagonist des Berliner Nightlife. Obwohl Chef eines Unternehmens mit geschätzt 20 Millionen Euro Umsatz, legt er nachts oft in der Szenedisco Berghain auf. Daniel Ek, Chef von Spotify, arbeitet meist 15 Stunden am Tag. Der Programmierer spricht selten öffentlich. Wenn Spotify Soundcloud kauft, wie Brancheninsider zu wissen glauben, haben die beiden immerhin eines gemeinsam: horrende Verluste.

Denn trotz stark wachsender Nutzerzahlen und immer mehr Bezahlabos haben es die Streamingdienste bisher nicht geschafft, profitabel zu arbeiten. Nun drängt die Zeit: Aggressive Angreifer wie Apple, Google oder Amazon drängen in den Markt. Und Investoren, anfangs begeistert, geben neue Finanzspritzen nur noch gegen immer härtere Konditionen. Zudem ist der Geist der Raubpiraterie wiederauferstanden, der die Branche fast in den Ruin trieb: Das Stream-Ripping breitet sich epidemieartig aus: Software, mit der sich die gestreamte Musik mitschneiden lässt. Gelingt nicht bald die Wende, könnte sich mit dem Streaming bald ein Geschäftsmodell überholen, das die Musikbranche als ihren Heilsbringer betrachtet.

Der Kauf der hoch defizitären Soundcloud mutet fast wie eine Verzweiflungstat an: die Claims abstecken, bevor der Markt verteilt ist und das Nutzerwachstum nachlässt. Die beiden Anbieter ergänzen sich gut. Spotify, an dem die drei global agierenden Plattenfirmen Universal, Sony und Warner beteiligt sind, bedient den musikalischen Mainstream. Soundcloud wiederum ist bei Musikern populär und bietet auch vertragslosen Künstlern ein Forum. Zusammen decken beide fast den ganzen Musikmarkt ab.

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Für die Musikindustrie steht viel auf dem Spiel: Unter dem Eindruck der Raubkopierwelle ab Mitte der Neunzigerjahre, die sie die Hälfte ihres Umsatzes kostete, hat die Branche mit Diensten wie Spotify und Deezer voll auf die Streamingtechnologie gesetzt. Pioniere wie Ek versprachen den Plattenbossen nicht weniger als den Sieg über die Piraterie: Gäbe es ein billiges, technisch einfaches Musikangebot, würde der größte Teil der Konsumenten illegalen Websites den Rücken kehren und wieder freiwillig für Musik bezahlen. Und: eine kleine monatliche Flatrate, von Millionen Kunden bezahlt, würde reichen, um die entgangenen Umsätze aus MP3-Downloads und CDs mehr als zu kompensieren.

Die Hoffnung geht auf. Seit 2013 wachsen die Umsätze wieder, nachdem sie seit 1999 Jahr für Jahr gefallen waren, fast ausschließlich dank Streaming. Das Problem ist nur: Den Streamern selbst geht das Geld aus. Sie müssen weltweit expandieren und zugleich mächtige neue Konkurrenten wie Apple oder YouTube auf Distanz halten.

Vieles hängt vom Marktführer Spotify ab, der global 42 Prozent Marktanteil bei Bezahlabos hat und mit 40 Millionen Abonnenten mehr als doppelt so viele zahlende Kunden wie Apple. Die Nummer drei im Markt, Deezer, kommt auf 16 Millionen Kunden, die ebenfalls hoch defizitäre Tidal, an der Musikstars wie Beyoncé und Jay-Z beteiligt sind, nur auf vier Millionen.

Merkwürdige Dissonanz im Geschäftsmodell

Spotify und Apple beherrschen zusammen zwei Drittel des Markts. Jüngsten Daten zufolge sinken die absoluten Nutzerzahlen aller anderen Anbieter sogar leicht. „Scheitert Spotify, würde das Geschäft bald ganz von den IT-Giganten Apple, YouTube und Amazon beherrscht“, sagt Michael Pachter, Chefanalyst für IT und Medien bei Wedbush Securities. Das seien aber nicht die Verhandlungspartner, die sich die Musikindustrie wünsche oder denen sie exklusiv den digitalen Absatz ihrer Produkte überlassen wolle. Denn sie verlangen ihr viel ungünstigere Konditionen ab als etwa Spotify. Die reinen Streamer haben aus Industriesicht einen großen Vorteil: Ihre Apps laufen auf allen Smartphones. Apple Music ist dagegen nur auf dem iPhone erhältlich.

Im Markt stört aber eine merkwürdige Dissonanz: Es sind die Labels selbst, die mitverantwortlich sind für die finanziellen Nöte der Streamer. Die drei Majors Warner, Sony und Universal verdienen gut an Spotify, Deezer und Co. Nach Zahlen des globalen Verbands der Phonoindustrie IFPS stieg der Umsatz aus Streamingabos, also ohne Werbeeinnahmen, 2015 auf zwei Milliarden Dollar; die Zahl monatlich zahlender User stieg um 66 Prozent auf 68 Millionen. Um Zugriff auf die Rechtekataloge der Musikverlage zu bekommen, müssen die Streamer pauschal rund 70 Prozent ihrer Umsätze an die Plattenindustrie abführen. Das starre Modell sei „eine enorme Einschränkung, weil Streamer – anders als andere Start-ups mit weltweit funktionierendem Geschäftsmodell – ihren Gewinn nicht exponentiell steigern können, auch wenn es mal läuft“, sagt Wagniskapitalmanager André Burchart, der früher selbst in Streamer investierte.

Spotifys Wachstum ist eindrucksvoll, aber sehr teuer: 2015 machten die Schweden 2,18 Milliarden Dollar Umsatz; laut einem in Luxemburg geleakten Geschäftsbericht beliefen sich die Zahlungen an die Musikindustrie („royalty, distribution and other costs“) auf 1,83 Milliarden Dollar, 85 Prozent mehr als 2014. Spotify musste demnach 2015 ganze 84 Prozent seines Umsatzes bei den Labels abliefern; zu Lizenzgebühren kamen Zahlungsabwicklung und Vertriebsgebühren. Nach Abzug der Kosten machte Spotify netto 193 Millionen Dollar Miese, 2014 waren es 165 Millionen und 2010 gerade mal 21,9 Millionen. Die kleinere Konkurrenz häuft ebenfalls dramatische Verluste an. Und selbst die ganz Großen wie Apple, Amazon und Google arbeiten im Musicstreaming nicht profitabel.

Die Streaming-Anbieter im Internet

Bisher sprangen den Start-ups stets neue Wagniskapitalgeber mit frischem Geld zur Seite, um die Expansion voranzutreiben. In acht Finanzierungsrunden sammelte Spotify 1,6 Milliarden Dollar Eigenkapital von 27 Investoren ein. Die Schweden werden mit rund acht Milliarden Dollar bewertet. Doch die Investoren sehen das Geschäft immer kritischer. Konnten sich vor ein, zwei Jahren die bekannten Namen im Geschäft noch sicher sein, dass sich neue Investoren bei Finanzierungsrunden um ihre oft künstlich knapp gehaltenen Anteile balgten, hat sich jetzt eine viel zurückhaltendere Stimmung breitgemacht. Im März konnte sich Spotify nochmals eine Milliarde Dollar besorgen – allerdings nur per Kredit und zu äußerst investorenfreundlichen Bedingungen.

Die Investoren wetten auf einen baldigen Börsengang der Schweden. 2018, besser noch 2017, sollte der klappen. Doch es zeichnet sich neues Unheil ab. Der größte Trumpf der Streamingbefürworter ist, dass sie mit dem Todfeind der Musikindustrie aufgeräumt hatten: dem Raubkopieren.

Was Kunden am Musik-Streaming schätzen

Doch Stream-Ripping, bei dem Millionen Menschen mittels einfach erhältlicher Software die gestreamte Musik mitschneiden, breitet sich rasant aus. Spotify äußert sich zum Problem nur ausweichend und sagt, man habe ein „sehr gutes, kostenloses Produkt gegen Piraterie am Markt“. Laut IFPS entgehen der Industrie aber bereits mehr Umsätze durch Ripping als durch illegale Downloads. „Das Geschäftsmodell funktioniert nur, wenn die User regelmäßig und langfristig bezahlen“, sagt Pachter, „daher ist Ripping eine immanente Gefahr.“

Schließen sich die zwei Schweden Ek und Wahlforss demnächst tatsächlich zusammen, wissen sie immerhin, welchen Feind es als ersten anzugreifen gilt.

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