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Musikindustrie Klassik-Branche will ins Internet

Ob Facebook, Youtube oder Livestream - das Internet hat längst auch die klassische Musik erreicht. Für einige in der Branche könnte es die Rettung bedeuten. Aber manche Musiker müssten sich umstellen.

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Klassische Musik ist out? Das soll sich nun ändern – die Branche will ins Netz. Quelle: dpa

Die Personalie erinnert an die Papstwahl: Erst in der zweiten Maihälfte 2015 wollen die Berliner Philharmoniker zur Wahl ihres neuen Chefdirigenten zusammentreten und den Namen von Simon Rattles Nachfolger verkünden. Bis zum weißen Rauch herrscht wohl Funkstille. Auf Spekulationen reagieren Orchestermusiker mit einem Lächeln - und sagen nichts.

Wer auch immer 2018 den begehrten Job übernimmt: Der oder die Neue wird sich den Herausforderungen der Internet-Welt stellen müssen. Vor 15 Jahren, als die Philharmoniker Rattle zum Nachfolger von Claudio Abbado wählten, hieß es, der Brite solle das Orchester in das 21. Jahrhundert führen. Sir Simon spielte mit. Das wird wohl auch sein Nachfolger tun müssen.

Die bekanntesten Musik-Portale im Internet
Amazon startet Prime Music in Deutschland und Österreich - als Bestandteil von Amazon Prime ohne zusätzliche Kosten. Quelle: obs
Apple Music Quelle: dpa
Die seit März 2012 existierende Plattform Spotify bietet mehr als 30 Millionen Songs an. Eine Gratis-Version erlaubt das Anhören der Musik mit Werbeunterbrechungen. Zusätzliche Premiumfunktionen wie das Downloaden von Liedern sind wie bei den meisten Streaming-Angeboten kostenpflichtig. Nach eigenen Angaben hat Spotify mehr als 75 Millionen Nutzer, 20 Millionen von ihnen zahlen. Der Streaming-Dienst ist in 58 Ländern verfügbar. Preis: kostenlos bis 9,99 Euro monatlich
Die Streaming-Plattform Deezer ist vor allem in Frankreich sehr beliebt. 2007 startete sie als erster Gratis-Streamingdienst auf dem Markt. Heute kostet eine Mitgliedschaft, wie auch bei vielen anderen Diensten, Geld. Kostenlos gibt es nur ein Radio-Angebot und Lied-Ausschnitte. Die Plattform ist mittlerweile in mehr als 180 Ländern verfügbar. Preis: kostenlos bis 9,99 Euro monatlich Quelle: Screenshot
Mit Ampya versucht die ProSiebenSat.1 Media seit 2011 auf dem boomenden Markt der Streaming-Dienste Fuß zu fassen. Beflügelt durch viel Werbung auf den TV-Kanälen des Medienunternehmens zählt Ampya zu den bekanntesten Diensten in Deutschland. 2014 wurde Ampya von Deezer mit dem Ziel übernommen, in Europa noch weiter zu wachsen. Preis: kostenlos bis 9,99 Euro monatlich Quelle: Screenshot
Seit 2012 ist WiMP aus der Bethaphase heraus. Gegründet wurde der Musikstreamingdienst in Norwegen, wo sein Mutterkonzern "Aspiro" sitzt. WiMP gibt es bis jetzt in fünf Ländern zu hören: Deutschland, Norwegen, Dänemark, Schweden und Polen. "Aspiro" spielt schon mit dem Gedanken WiMP auch in Finnland, Portugal, Österreich und der Schweiz zu etablieren. Mit einer hohen Sound-Qualität (gegen Aufpreis) und einem eigenen Redaktionsteam, das Musik empfiehlt, will sich WiMP von der Konkurrenz abheben. Preis: 4,99 bis 19,90 Euro monatlich
Napster startete als Musiktauschbörse und wurde schnell zur Plattform für illegale Raubkopien. Auf rechtlichen Druck der Musik-Industrie wurde die Plattform 2001 geschlossen. Der legale Streaming-Dienst gleichen Namens bietet mehr als 25 Millionen Songs und ist damit einer der größten überhaupt. Nach einer kostenlosen Testphase gibt es den Dienst allerdings nur noch gegen Geld. Preis: 7,95 bis 9,95 Euro monatlich Quelle: AP

Mit Kinofilmen, ungewöhnlichen Programmen und einem Bildungsprojekt für junge Leute strecken die Philharmoniker seitdem ihre Fühler nach den Zuhörern von morgen aus. Sie geben damit den Takt an.

Mittlerweile kommt kaum ein Orchester ohne ein „Education Programm“ aus. Auch mit der Digital Concert Hall setzten sie Maßstäbe: Zuhörer können sich weltweit gegen Bezahlung per Livestream einloggen, wenn das Orchester aus der Philharmonie spielt.

Große digitale Herausforderungen

Ob Mahler oder Verdi: Wer klassische Musik hören und sehen will, ist vielerorts nicht mehr auf ein Konzert- oder Opernhaus angewiesen. New Yorks Metropolitan Opera und Londons Opernhaus Covent Garden übertragen ihre Aufführungen in Hunderte Kinos - „La Traviata“ live zu Popcorn und Cola. Was Puristen ein Graus sein mag, könnte für die Elefanten der Branche die Rettung sein. Die New Yorker „Met“, zur Finanzierung auf - nachlassende - Sponsorengelder angewiesen, erwirtschaftet mittlerweile mehr als 10 Prozent ihres Budgets von 310 Millionen US-Dollar (etwa 250 Millionen Euro) mit den weltweiten HD-Übertragungen.

Berlins Kulturstaatssekretär Tim Renner, der aus der Musikbranche kommt und Manager beim Plattenkonzern Universal war, rief jüngst die Opernhäuser der Hauptstadt auf, sich mit den neuen technischen Möglichkeiten anzufreunden.

Doch die Beispiele aus London oder New York sind nicht unbedingt übertragbar. Deutschland genießt noch immer ein dichtes Musikangebot zu erschwinglichen Preisen, argumentieren die Opernhäuser. Dazu kämen enorme technischen Kosten, die sich kein Haus ohne Sponsoren leisten kann.

Neue Darbietungsformen

Die Klassik-Branche hinkt dem Trend hinterher. Zwar stieg ihr Umsatz 2013 mit CDs und Videos um 6,4 Prozent auf 90 Millionen Euro. Doch der Download-Anteil lag bei nur fünf Prozent. Die Klassik habe „die großen digitalen Herausforderungen nach wie vor noch vor sich“, befand der Bundesverband Musikindustrie.

Zu den Vorreitern gehört Daniel Barenboim. Der Dirigent und Pianist hat unter dem Namen „Peral Music“ ein eigenes Internet-Musiklabel gestartet. Ein Konzert mit der Pianistin Martha Argerich und eine Einspielung mit Bruckner-Sinfonien stehen bereits zur Verfügung. Er wolle vor allem junge Leute erreichen, die der Klassik fernstehen, aber in der digitalen Welt zu Hause seien.

Technik hin oder her - Maren Borchers, die in Berlin eine PR-Agentur für Klassik leitet, sieht vor allem die Konzertveranstalter am Zug. „Wir müssen neue Darbietungsformen finden“, sagt Borchers, die früher Managerin beim Plattenkonzern EMI war.

Ob ein altes Wasserwerk oder ein Club - mit neuen Aufführungsorten, weg von der starren Struktur des Abendkonzerts, ließen sich auch junge Zuhörer ansprechen - „selbst wenn beim Kammerkonzert dann mal eine Flasche Bier klirrt“.

Die Musiker der Smartphone-Generation seien durchaus für Experimente offen, sagt Borchers. Zwar könnten Crossover-Versuche, wie sie etwa der Deutsch-Brite Max Richter mit Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ unternimmt, als „Türöffner“ funktionieren.

Am Ende zähle aber das persönliche Hörerlebnis, jener magische Moment, wenn Klang erzeugt werde. Letztendlich, sagt Borchers und zitiert dabei den jungen Pianisten Igor Levit, sei „jede Musik Gegenwartsmusik“.

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