Netflix-Serie „Biohackers“ Was die Serie über die Biotechbranche in Deutschland verrät

Schauspielerin Jessica Schwarz als Professorin Tanja Lorenz in einer Szene aus

In der populären Netflix-Serie „Biohackers“ spielen Biologen Gott. Wie realistisch das ist und wie schillernd die deutsche Biotech-Welt tatsächlich ist, erklärt der Forscher Ole Pless, der die  Drehbuchautoren beraten hat. 

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Ole Pless ist Forscher am Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie IME in Hamburg. Er hat die Macher der Netflix-Serie „Biohackers“ wissenschaftlich beraten.

WirtschaftsWoche: Herr Pless, in der Netflix-Serie „Biohackers“, die Sie wissenschaftlich beraten haben, spielen Forscher und Studenten mit DNA herum wie mit Legosteinen, züchten leuchtende Mäuse und völlig neue Medikamente. Wie viel echte Wissenschaft steckt in dem Thriller?
Ole Pless: Einige Teile der Serie sind längst Wirklichkeit – schon in den Neunzigerjahren haben Forscher Mäuse mit einem Gen aus Quallen ausgestattet, mit dem sie ein fluoreszierendes Protein herstellen können. An anderen Technologien arbeiten Forscher gerade, etwa an Gentherapien, mit denen sie Erbkrankheiten heilen wollen. 

Die „Biohackers”-Professorin Tanja Lorenz, gespielt von Jessica Schwarz, nennt das alles „synthetische Biologie“. Was hat es damit auf sich?
Biologen verstehen darunter Verfahren, mit denen sie das Leben selbst neu konstruieren können. Entscheidend sind für mich die Technologien zum „Genome Engineering“, also der gezielten Veränderung des Erbguts. Diese Forschung macht aktuell gewaltige Fortschritte, mit enormen Chancen etwa für die Medizin. Biologie wird eine Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts.

Warum sind diese Entwicklungen nun möglich?
Ein Grund ist: Wir können DNA, den Code des Lebens, sehr schnell in beliebiger Kombination herstellen. Zwar nicht riesige Stränge mit Milliarden Bausteinen, aber kleinere Stücke mit Tausenden Basenpaaren. Das ist heute Alltag. Es heißt, die DNA in den Zellen eines Menschen habe so viel Speicherkapazität, um alle Spielfilme des 21. Jahrhunderts drei Milliarden mal dort abzulegen. Als Marketing-Gag haben Forscher an der ETH Zürich gerade eine ganze Episode von „Biohackers“ in DNA gespeichert.     

Schauspielerin Luna Wedler spielt in der Netflix-Serie „Biohackers“ Studentin Mia Akerlund. Quelle: PR

In der Serie spielen Studenten ganz alltäglich mit DNA herum, etwa mit Hilfe der DNA-Schere CRISPR-Cas. Die Studentin Emma programmiert Bakterien um, damit sie bunt leuchten – gleich in ihrer ersten Studienwoche. Ist das nicht stark übertrieben?
CRISPR-Cas ist tatsächlich im Laboralltag angekommen – etwa, um Gene gezielt auszuschalten und damit herauszufinden, welche Funktion sie in einer Zelle haben. Das machen auch viele Studenten. Es ist in der Serie überspitzt dargestellt, dass das gleich im ersten Semester passiert, aber im Masterstudium oder bei der Doktorarbeit geschieht das schon.

In der Serie halten zwei Biohacker ihre WG mit ihren Experimenten auf Trab, einer davon trägt wohl nicht ganz zufällig Ihren Vornamen Ole. Der pflanzt sich daheim Chips unter die Haut und dreht Pillen, mit denen er länger unter Wasser die Luft anhalten will. Kennen Forscher wie Sie solche Hacker im echten Leben?
Ich selbst bin dafür zu akademisch verhaftet – aber es gibt eine weltweite Szene von Biohackern, die solche Dinge zu Hause in der Küche tun. Die nötigen Reagenzien können sich Privatleute relativ leicht beschaffen – für das Biohacking etwa Chemikalien, Enzyme oder Bausteine, um DNA herzustellen.

Die Doppelhelix der DNA ist die Informationstechnik der Zukunft. Wie Wissenschaftler die Gesetze der Natur umschreiben – und Investoren Milliarden in das Big Business mit den Genen packen.
von Andreas Menn

Klingt alles nicht ganz legal.
Der Einkauf der Materialien ist weitgehend rechtens. Sobald Sie aber versuchen, Therapien an sich selbst auszuprobieren, wie es in der Serie gezeigt wird, ist das illegal. Und zwar zu Recht. Einen Arzneistoff zu entwickeln, der in den Handel gelangt, kann sich über zehn, 15 Jahre hinziehen und mehr als eine Milliarde Euro kosten. Manche Biohacker sind schon an ihren Experimenten gestorben, weil sie sich selber solche vermeintlichen Therapeutika zugeführt haben. Sie bekamen schweres Fieber, Entzündungsreaktionen – und überlebten nicht.

In der Serie retten die Biohacker Leben, in dem sie in ein paar Minuten einen Antikörper herstellen. Ein Märchen?
Die Szene ist tatsächlich rein fiktiv. Wir sehen ja aktuell wie schwer es ist, neutralisierende Antikörper gegen SARS-CoV-2 zu entwickeln. Manche Teile der Handlung mussten einfach in den Zeitrahmen der Erzählung passen. 

Die extrem ehrgeizige Professorin Lorenz will gleich alle Erbkrankheiten ausmerzen, Biologen sollen Götter werden. 
Forscher arbeiten tatsächlich daran, Genscheren mit Hilfe spezieller Viren oder anderer Transportsysteme ins Gewebe lebender Menschen einzuschleusen. Damit wollen sie krankmachende Gene reparieren und so bisher unheilbare, bisweilen tödliche Erbkrankheiten besiegen, etwa die Sichelzellenanämie, Muskelschwäche oder Chorea Huntington…

...eine unheilbare Hirnerkrankung, an der die Serienfigur Jasper leidet. Er führt einen Kampf gegen die Zeit.
Natürlich sind diese Verfahren noch lange nicht in der klinischen Reife, und natürlich sind noch sehr viele Jahre lang viele Hürden aus dem Weg zu räumen. Aber das Potenzial, das viele dieser neuen möglichen Therapieformen bieten, ist gigantisch. Wer den Durchbruch schafft, kann sehr vielen Patienten helfen – und auch sehr viel Geld damit verdienen.

„Wahnsinnig interessante Zukunftsaussichten“

Die Professorin in „Biohackers“ geht dafür auch über Leichen und macht nicht einmal vor Manipulationen an Embryonen halt. Gruselkino oder echte Gefahr? 
Es gibt durchaus Parallelen – wie etwa den chinesischen Forscher He Jiankui, der vor zwei Jahren heimlich die ersten per CRISPR-Cas genmanipulierten Babys erschaffen hat. Solche Eingriffe in die menschliche Keimbahn – also in Eizellen oder Spermien – sind in den meisten Ländern schlichtweg nicht erlaubt – und werfen ethisch ganz massive Fragen auf.   

Wie groß ist Verführung für Biotech-Forscher, die Grenzen des ethisch Akzeptablen auszutesten?
Der Erfolgsdruck ist da. Wir beobachten das auch in der Stammzell-Szene, wo Therapie-Tourismus betrieben wird und Menschen ins Ausland reisen, um sich mit zweifelhaften Methoden behandeln zu lassen. Skandale wie beim Medikament Contergan, das bei Neugeborenen Fehlbildungen auslöste, haben gezeigt, wie gefährlich unausgereifte Medikamente sein können – und wie wichtig die strengen Kontrollmechanismen sind, die wir in der Europäischen Union haben.

Auch Bioterrorismus, eine Attacke mit einem im Biolabor erzeugten Kampfmittel, spielt in „Biohackers“ eine Rolle - eine reelle Gefahr?
Ich halte die Gefahr für vergleichsweise gering. Unter Laborbedingungen funktioniert vieles ganz gut – designte Krankheitserreger in der freien Wildbahn zu verbreiten, ist eine viel größere Herausforderung. Darum halte ich auch Gerüchte, das Coronavirus stamme aus einem Labor, für haltlos.

Manchmal reichen für Gänsehaut auch schon die Szenen in der Serie, in denen die Forscher DNA-Daten auswerten und Menschen gläsern werden lassen. Aus Emmas Genprobe entsteht da sogar ein Phantombild. Wie viel davon existiert schon?
Es gibt viele Merkmale, die man an einzelnen Genen festmachen kann – etwa ein spitzer Haaransatz und auch Sommersprossen, wie die Serienfigur Emma sie hat. Forscher arbeiten tatsächlich auch daran, die Gesichtszüge einer Person basierend auf den DNA-Daten nachzubilden.  

Die Professorin behauptet, sie könne vorhersagen, in welchem Alter jemand sterben werde. Das ist aber doch wissenschaftlich schwer zu belegen.
Auch für das menschliche Altern lassen sich bestimmte Hotspots im Genom identifizieren. Zudem existieren bestimmte Merkmale – wir sprechen von Risiko-Allelen – die eine Neigung für Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Alzheimer bedeuten. Das gibt aber immer nur eine statistische Wahrscheinlichkeit an, und viele Gene spielen zusammen, was die Vorhersage kompliziert macht. Es kommt auch immer auf die Lebensumstände an, beispielsweise auf Ernährung und Stress. Wie groß jemand wird, hängt sowohl von den Genen ab – als auch von der täglichen Nährstoffversorgung, die in Deutschland meist anders ist als etwa in Bangladesch. Und bei sehr vielen Genen wissen wir noch gar nicht, welche Funktion sie haben.

Wir stehen am Anfang des Superbiozeitalters: Forscher schalten die Evolution aus und starten eine neue industrielle Revolution. Bald gibt es Plastik ohne Öl und Schuhe aus Spiderman-Garn.
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Die Netflix-Serie zeigt eine glänzende Welt von Hightech-Laboren und Top-Talenten, alles in Freiburg. Hand aufs Herz: Die deutsche Biotech-Szene ist doch nicht wirklich so schillernd?
Das Wissen haben wir durchaus in Deutschland – auch wenn es weitgehend akademisch ist. Es gibt auch tolle Biotech-Start-ups, die etwa gerade an weltweit bahnbrechenden Impfstoffen gegen das Coronavirus arbeiten. Die deutsche Biotech-Szene ist aber nicht zu vergleichen mit der in Boston oder auch in manchen Standorten in China, wo sehr viel Geld in junge Unternehmen fließt.

Manche Computer-Hacker wurden in den vergangenen zwei Jahrzehnten mit ihren Internet-Start-ups zu den erfolgreichsten Unternehmern der Welt. Werden Biohacker jetzt die nächsten Tech-Milliardäre?
Die Hürden sind viel höher als im Internet-Geschäft, denn die Spielregeln in der pharmazeutischen Industrie sind andere. Sie brauchen unglaublich viel Kapital und eine riesige Organisation, um etwa klinische Studien durchzuführen. Darum werden Start-ups, die eine gute Idee haben, meist aufgekauft von großen Pharmakonzernen. Mit Biotech das neue Amazon oder Facebook zu gründen – das ist eher unwahrscheinlich.

Welche Probleme können die Biohacker von morgen lösen?
Sie können zum Beispiel personalisierte Therapien entwickeln, die die Ursachen von Krankheiten auf Molekül-Ebene angehen – etwa CAR-T-Zell-Therapien, die vielleicht Krebs heilen können. Das sind wahnsinnig interessante Zukunftsaussichten. Aber es braucht langen Atem – die meisten Ansätze sind zum Scheitern verurteilt, die wenigsten enden in einem neuen Therapeutikum.


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Als ich 1997 angefangen habe, Biologie zu studieren, kam oft die Frage auf: Was willst du denn damit machen? Aber ich glaube, es ist immer falsch, markt- oder bedarfsgerecht zu studieren. Man muss von einer Leidenschaft für das Fach getrieben sein. Dieser Impuls ist nicht zu ersetzen. Und wenn die Serie jetzt mehr junge Leute dafür begeistert, Medizin, Pharmazie oder naturwissenschaftliche Disziplinen zu studieren, weil das tolle Berufsbilder ermöglicht – dann finde ich das klasse.

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