Netzneutralität Kämpferin fürs freie Internet

Barbara van Schewick ist einer der einflussreichsten Köpfe der Internetwelt. Nun will die deutsche Juristin Europas Netzregulierung beeinflussen.

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Barbara van Schewick Quelle: David Klammer für WirtschaftsWoche

Auch einer der größten Fans des Internets schaltet gern mal ab. Und eigentlich hatte Barbara van Schewick genau das jetzt vor. Aus dem glutheißen Südwesten der USA ist die deutsche Professorin, die an der Eliteuni Stanford das renommierte Center for Internet and Society leitet, ins sommerfeuchte Rheinland geflogen. Ausspannen auf dem Bauernhof der Tante vor den Toren Bonns; toben mit den Labrador-Retriever-Welpen, von denen einer die Familie nach Stanford begleiten soll. Eigentlich. Doch statt abzuschalten, hängt die 43-Jährige nun doch allzu oft am Computer. Statt mit ihren zehn und zwölf Jahre alten Söhnen durch die Obstplantagen der Voreifel zu bummeln, verzieht sie sich in den ersten Stock des Gehöfts, sichtet E-Mails, Referentenentwürfe, Positionspapiere. „Ich sollte nicht immer vor dem Rechner hängen“, sagt sie, „aber jetzt ist Hochkampfzeit.“

Anstieg des Datenverkehrs pro Gerät bis 2017

Van Schewick kämpft mal wieder. Sie kämpft für das, was sie die Freiheit im Internet nennt. Ihre Mission. Gut zwei Jahre hat die Prädikatsjuristin und Informatikerin zuletzt in den USA dagegen argumentiert, eine Zwei-Klassen-Gesellschaft im Internet zu schaffen: ein Netz für Internetriesen, die den Telekomkonzernen viel Geld zahlen können, damit die ihre Daten besonders schnell und zuverlässig übertragen. Daneben ein Netz für den Rest der digitalen Welt, all jene Inhalte und Dienste, für die kein Anbieter Expresszuschläge zahlen kann.

Genau das treibt van Schewick nun auch in Europa um: Sie will verhindern, dass sich die Telekommunikationsriesen mit ihrer Forderung nach einem Ende der Gleichheit aller Daten durchsetzen. „Netzneutralität“ nennen seine Protagonisten dieses Prinzip, das für sie einer der größten Innovationstreiber der Netzwirtschaft überhaupt ist. Bis Ende August wollen die Chefs der europäischen Regulierungsbehörden festlegen, wie ein EU-Grundsatzbeschluss aus dem Frühjahr umgesetzt werden soll. Der betont zwar das Prinzip der Datengleichheit, lässt aber Ausnahmen für Spezialdienste zu. Das soll garantieren, dass besonders kritische Anwendungen, wie Telemedizin oder Informationen selbstfahrender Autos, nicht im Datenstau stecken bleiben.

Nun geht es darum, zu definieren, welche Anwendungen eine Sonderbehandlung bekommen. Europas 17 größte Telekomkonzerne wollen, dass möglichst viele Dienste unter die Sonderregelung fallen: Sie könnten so an möglichst viele dieser Dienstanbieter Datenüberholspuren verkaufen. Deutsche-Telekom-Chef Tim Höttges etwa will auch Anbietern von Videotelefonie oder Onlinespielen gegen Gebühr bessere Übertragungsqualität anbieten.

Anfang Juli erst drohten die Konzernchefs in einem Manifest unter anderem, bei allzu rigider Auslegung der Sonderregelungen ihre Investitionen in die ultraschnellen Mobilfunknetze der nächsten Generation, 5G genannt, zu stoppen. Der heutige Rechtsrahmen biete kaum Chancen, die Milliardeninvestitionen zu refinanzieren.

Das Argument von Höttges und Co.: Sie stecken Milliarden in die Netze, doch den Löwenanteil der Erlöse streichen Inhalteanbieter wie Google, Apple oder Facebook ein. Wenn YouTube-Videos oder Musikdateien von Apple den Großteil des Datenverkehrs erzeugen, wieso sollen die Verursacher dann nicht auch dafür zahlen? Mit der Haltung haben die Konzernchefs auch Politiker wie EU-Digitalkommissar Günther Oettinger auf ihrer Seite. Er hofft, Europas Unternehmen im Wettbewerb mit den Digitalgiganten aus den USA zu stärken. Und van Schewick möchte das verhindern.

Sorge um die Innovationskraft im Netz

Gerade das sei ein fataler Irrtum, warnt van Schewick, die auch die EU-Regulierer berät und bei Anhörungen in Berlin und Brüssel als Expertin geladen ist: „Überholspuren im Internet zementieren die Marktmacht der großen US-Unternehmen“, sagt sie. Netflix oder Google könnten sich die Kosten leisten, kleine und mittlere Unternehmen nicht. „Versteht denn keiner, dass hier die Zukunft des Internets in Europa auf dem Spiel steht?“, wundert sich die Netzjuristin.

Van Schewick, die ihre beiden Staatsexamen mit „sehr gut“ abschloss und ihr paralleles Informatikstudium wegen seiner Rationalität als Ausgleich für die Paragrafenwelt schätzte („während die Informatik klare Antworten gibt, können sie in der Juristerei immer so oder so ausfallen“), ist im Grunde ein optimistischer Mensch. Sie schmunzelt viel, oft lächelt sie beim Sprechen verschmitzt in die Runde. Doch wenn sie die Diskussion um die Grundregeln fürs Netz diesseits des Atlantiks betrachtet, vergeht ihr das. Warum sich abseits der Netzzirkel so wenige für die Grundregeln des Netzes interessieren, versteht sie nicht.

„Es drohen Schäden für Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft“, warnt die Netzvordenkerin, von der Experten wie Marvin Ammori sagen, „ihr Einfluss auf die US-Netzregulierung kann nicht hoch genug eingeschätzt werden“. Der Anwalt hatte Apple und Google in Sachen Netzneutralität beraten.

Diese Länder haben das schnellste Internet
Breitband-Internet Quelle: REUTERS
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Riga Quelle: dpa
Platz 6: NiederlandeDen Sprung auf 14,2 Megabit pro Sekunde schaffen unsere niederländischen Nachbarn. Quelle: dpa
Schweiz Quelle: dpa

Zu mehr als 150 Treffen pendelte die Deutsche in den vergangenen beiden Jahren zwischen Kalifornien und Washington. Als Chefin einer der angesehensten amerikanischen Thinktanks zur Netzregulierung konferierte sie fast wöchentlich mit Politikern und Beamten im Weißen Haus, im Kongress und bei der US-Regulierungsbehörde; immer mit dem Ziel, die Gleichheit der Daten im Internet zu erhalten. Am Ende forderte selbst Präsident Barack Obama, es dürfe „auf der Datenautobahn keine Zollhäuschen“ geben. „Das Netz muss offen bleiben, damit auch das nächste Google und das nächste Facebook Erfolg haben können.“

Das geht zu großen Teilen auf die Arbeit der deutschen Netzjuristin zurück. Das US-Onlinemagazin „Slate“ nennt sie die „Frau, die die Netzneutralität gerettet hat“. Tatsächlich hat die Deutsche mit vielen Studien belegt, wie das Ende der Gleichheit von Bits und Bytes den Wettbewerb verzerrt. Über ihr Buch „Internet Architecture & Innovation“ sagt der US-Professor Tim Wu, der Erfinder des Begriffs Netzneutralität, es lege „die Grundlage für die Internetpolitik der nächsten Dekade“. Am Ende erließ die US-Regulierungsbehörde klare Regeln gegen ein Zwei-Klassen-Netz.

Das will die Frau, die so viel Einfluss auf die Geschäftschancen von Google, Facebook, Netflix und Co. hat wie kaum ein US-Jurist, nun in Europa wiederholen. Auch wenn sie sagt, „meine Rolle hier ist anders als in den USA“, ist die Expertise der Stanford-Professorin in den Spitzen der Brüsseler und Berliner Politik gefragt.

Im Frühjahr etwa hatte Wilhelm Eschweiler, Vizepräsident der Bundesnetzagentur, van Schewick als eine von vier internationalen Experten zur Sitzung des Gremiums der europäischen Regulierer in Rotterdam geladen. Wenig später war sie Gast der Medienanstalt Berlin Brandenburg (MABB). Auf einer Dachterrasse am Hackeschen Markt in Berlin wollten Bundestagsabgeordnete, Lobbyisten und Unternehmensvertreter aus erster Hand von den Erfahrungen in den USA hören. „Sie hat wichtige Impulse gegeben, die schließlich auch ins Positionspapier der Medienanstalten zur Netzneutralität eingeflossen sind“, sagt MABB-Direktorin Anja Zimmer.

Wer mehr Daten will, soll dafür zahlen

Gemeinsam mit WWW-Erfinder Tim Berners-Lee und dem bekanntesten US-Internetrechtler Lawrence Lessing verfasste sie einen offenen Brief mit der Forderung, „das offene Internet in Europa zu retten“, und fand eine halbe Million Unterstützer. Auch uf zwei großen Netzkonferenzen in diesem Jahr, der MediaConvention und der Republica in Berlin, gehörte die Deutsche zu den wichtigsten Sprechern.

Zwar beherrscht sie technischste Details, verzichtet aber in der Regel auf komplizierten und akademischen Jargon. Das ist ihre Stärke: das komplexe und abstrakte Thema der Wettbewerbsregeln im Netz einfach zu erklären.

Dann wird sie leidenschaftlich und kämpferisch, oft klingt sie wie eine Politaktivistin. Spricht vom „Wir“ und davon, wie wichtig es sei, „das Internet zu retten“. Das Manifest der Telekomkonzerne zur Netzneutralität bezeichnete sie schon mal als „Kriegserklärung“.

Dabei ist van Schewick viel weniger dogmatisch, als es in solchen Momenten scheint. Von Internetsozialismus keine Spur. Im Gegenteil, sie wirbt für Wettbewerb. Nur will sie verhindern, dass der aufseiten der Anbieter entschieden wird. Van Schewicks Mantra: „Die Nutzer sollen bestimmen, welche Angebote im Netz erfolgreich sind.“

Sei es bei innovativen Streaming- oder Kommunikationsdiensten – wer besonders datenhungrige Angebote mache, müsse halt die Kunden mit technischer Exzellenz oder komfortablen Funktionen überzeugen, dafür tiefer in die Tasche zu greifen. „Ich habe nichts dagegen, dass Menschen, die mehr Datenvolumen benötigen, mehr bezahlen“, sagt sie. Und auch wer besonders stabile und schnelle Verbindungen wolle, solle dafür zur Kasse gebeten werden.

Inhalte im Internet werden künftig unterschiedlich schnell übertragen. Davon profitieren die Nutzer. Denn das Ende der Netzneutralität fördert den Wettbewerb.
von Christian Schlesiger

Wenn aber reiche Konzerne unterlegene Technik oder schlechteren Service durch bessere, teurere Leitungen kompensieren und so innovativere Konkurrenten aus dem Markt drängen könnten, werde das zum Problem. „Das verzerrt den Wettbewerb, denn die Nutzer haben keine echte Wahl mehr“, sagt van Schewick.

Die will die 43-Jährige auch ihren Söhnen erhalten. Denen sind zwar die Weiten des Cyberspace bisher noch weit weniger wichtig als ihrer Mutter – „die haben nicht mal ein Smartphone“, sagt die Internetprofessorin. Aber wenn die Jungen ins Netz starten, sollen sie es möglichst so dynamisch und innovativ erleben, wie sie selbst es in seiner Entstehung erlebt habe. „Wir können nicht später unseren Kindern erzählen, das Internet war mal toll, und wir haben nichts getan, damit es so bleibt.“

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