Hausrat, Leben, Haftpflicht: Mit Versicherungen kennt Axel Schwiersch sich aus. Jahrelang hat der Hamburger Makler seinen Kunden Policen verschiedener Anbieter verkauft. Ein lukratives, aber mitunter zähes Geschäft, erinnert sich der 45-Jährige an die Zeiten des Klingelputzens. Heute rennen ihm seine Kunden die virtuelle Tür ein für seine neue Dienstleistung: Schwiersch organisiert die Jagd nach neuen, lukrativen Internet-Domains. Sein Verkaufsschlager sind Adressen mit den Endungen .versicherung, .immobilie und .reise. 18 000 Vorbestellungen hat Schwiersch bereits eingesammelt, allein um sich die Adresse www.rente.versicherung zu reservieren, zahlte ein Interessent 150 000 Euro.
Die neuen Internet-Endungen, sogenannte Top Level Domains, sind eine der größten Veränderungen, die das Internet in den vergangenen Jahren erlebt hat. Denn die für die Regulierung des Datennetzes zuständige Behörde Icann (Internet Corporation for Assigned Names and Numbers) lässt künftig fast jede Endung zu.
Zu den bisher geläufigen Länderkürzeln wie .de für Seiten aus Deutschland sowie den 21 sogenannten generischen Top Level Domains wie .com oder .org könnten Hunderte neue Endungen dazukommen, die auf einzelne Marken, Regionen oder Rechtsformen hinweisen. Also Adressen-Endungen wie .gmbh oder .merkel, .hanuta oder .wiwo, .shop oder .berlin.
Die wichtigsten Fragen zu den neuen Internet-Endungen
Mit neuen Top Level Domains (TLD) wird der Namensraum im Internet ausgeweitet. Neben den Länderkürzeln (wie .de) und 21 generischen Top Level Domains (wie .org, .net, .com) wird es hunderte neuer Adress-Endungen geben. Die zuständige Behörde Icann hat jahrelang über die Ausweitung beraten.
Folgende Dax-Unternehmen haben sich beworben: Bayerische Motorenwerke AG mit .bmw oder .mini, Linde AG mit .linde, MAN SE mit .man, Merck KGaA mit .merck, RWE AG mit .rwe, SAP AG mit .sap, Deutsche
Post AG mit .deutschepost oder .trust und Volkswagen mit .volkswagen und .audi
Internationale Bewerber sind unter anderem: Amazon, AOL, Apple, Calvin Klein, Canon, Cartier, Chrysler, Cisco, Dell, Deloitte, Fiat, Google, Honda, Intel, Microsoft, Mitsubishi, Ricoh, Samsung, Sanofi, SAS, Seat, Sony, Suzuki, Symantec, Toshiba, Verisign, Yahoo, Zara
Dazu gibt es geografische Top Level Domains wie Afrika (.africa), Amsterdam, Bayern, Berlin, Hamburg, Kapstadt (.capetown), NRW, Paris, Sydney, Stockholm, Tokio (.tokyo), Zürich (.zuerich).
Von den deutschen Bundesländern sind Bayern mit .bayern, Berlin mit .berlin, Hamburg mit .hamburg, Nordrhein-Westfalen mit .nrw und das Saarland mit .saarland vertreten. Als einzige deutsche Stadt neben Berlin tritt Köln an, gleich sowohl mit .koeln, als auch mit .cologne.
Das Bewerbungsverfahren begann am 12. Januar 2012. Bis Ende des Jahres prüft die ICANN nun die Anträge und muss vor allem über konkurrierende Bewerbungen entscheiden. Frühestens 2013 werden die ersten neuen Top Level Domains im Netz sein.
1998 wurde die ICANN (Internet Corporation for Assigned Names and Numbers), mit Sitz in Kalifornien, von einem Zusammenschluss verschiedener Interessenverbände gegründet. Die privatrechtliche aber nicht-kommerzielle Organisation verwaltet die Top Level Domains, entscheidet über Erweiterungen und technische Änderungen - sie wird daher auch manchmal als "Internet-Regierung" bezeichnet. Das Board of Directors der ICANN besteht aus 21 Mitgliedern aus aller Welt. Bekannte deutsche Mitglieder waren unter anderem Helmut Schink (Siemens AG), Andy Müller-Maguhn (Stellvertretender Vorsitzender des Chaos Computer Club Berlin e. V.) und Hagen Hultzsch (ehemaliges Vorstandsmitglied der Deutsche Telekom AG).
Bei konkurrierenden Bewerbungen haben Markeninhaber Vorrang. Allerdings könnte es trotzdem zu Streitfällen kommen sein, beispielsweise wenn sich um .bounty der Schokoriegelhersteller und der Küchenrollenproduzent bewerben. Können sich beide nicht auf eine gemeinsame Nutzung einigen, kommt es zu einer Auktion.
Als weiterer Schutzmechanismus soll ein Trademark Clearinghouse eingerichtet werden – bei diesem Zentralregister können Marken registriert werden. Das genaue Prozedere ist jedoch noch unklar.
Allein die Bewerbungsgebühr bei der Icann beträgt 185.000 Dollar. Zudem sind die technischen und juristischen Anforderungen hoch: Jeder der eine der neuen Topleveldomains betreibt, hat ähnliche Rechte und Pflichten, wie die DENIC, die jetzt die .de-Adressen verwaltet. Daher können sich auch keine Privatpersonen bei der ICANN für die neuen Endungen bewerben, sondern nur Firmen und Organisationen, die bestimmte Anforderungen erfüllen. Dazu gehört ein Nachweis der technischen Befähigung. Experten schätzen den Aufwand im ersten Jahr auf mindestens 500.000 eher eine Million Euro.
Schon jetzt kann man sich Domains mit den neuen Adressen reservieren, teils direkt bei den Bewerberinitiativen, teils bei den üblichen Registraren die auch bisherige Adressen vermitteln. Die Kosten dürften später ähnlich wie bei bisherigen Domains liegen: Von zweistelligen Eurobeträgen für normale, wenig gefragte Adressen bis zu sechs- und siebenstelligen Summen bei besonders attraktiven Begriffen.
Befürworter hoffen auf neue Marketingmöglichkeiten und ein besseres Ranking in Suchmaschinen, wenn die gefragten Begriffe Teil der Domain sind. Zudem steigt die Zahl der Kombinationsmöglichkeiten und neuer, noch freier Domains immens. Die große Frage ist jedoch, ob und welche TLD sich durchsetzen. Denn einerseits lassen sich sehr eindeutige und attraktive Adressen bilden, andererseits wird das Netz dadurch viel unübersichtlicher. Entscheidend für den Erfolg wird es sein, ob und wie große Unternehmen die Adressen nutzen und vermarkten.
Der Vorteil: Wer ein Unternehmen gründet, hat mit den neuen Endungen bessere Chancen auf eine unverwechselbare Internet-Adresse. Unternehmen können direkter auf ihre Marken hinweisen – und werden von Suchmaschinen wie Google schneller gefunden. „Reise und Versicherung zählen zu den häufigsten Suchbegriffen“, sagt Schwiersch. Adressen mit populären Suchbegriffen sind Millionen wert.
Viele potenzielle Streitfälle
Wer sich eine der neuen Endungen sichern will, kann sich ab dem 12. Januar drei Monate lang bei der Icann darum bewerben. Gibt es mehrere Interessenten fürs gleiche Kürzel, kann es zu einer Auktion kommen. Potenzielle Streitfälle gibt es viele: Tui heißt neben dem Reisekonzern auch ein neuseeländisches Bier. Und um .metro könnte sich neben dem Düsseldorfer Handelsriesen die Pariser U-Bahn genauso bewerben wie die gleichnamige schwedische Gratiszeitung oder der kanadische Lebensmittelhändler Metro Inc. Im Extremfall wird es eine Auktion geben, was den Preis noch einmal nach oben treibt. Doch ein Wettbewerber fällt schon mal weg: „Die Metro Group hat bislang keine Pläne zum Erwerb einer neuen Top Level Domain“, heißt es in Düsseldorf.
Auch andere große Unternehmen sind skeptisch. „Die Vorteile der Nutzung wiegen zurzeit die Kosten nicht auf“, erklärt der Stahlriese Salzgitter. Denn das Verfahren ist komplex und teuer. Allein als Bewerbungsgebühr verlangt Icann einmalig 185 000 Dollar, dazu kommt hoher juristischer und technischer Aufwand beim Betreiben der Endungen.
„Eine Million Euro im ersten Jahr muss man mindestens kalkulieren“, sagt Thorsten Troge, Markenrechtler bei der Anwaltskanzlei TaylorWessing. Will ein Unternehmen wie Henkel neben dem Konzern auch Marken wie Persil, Pril oder Pritt mit neuen Endungen versehen, wird es umso teurer.