"Sony will der Kompaktkassette zum Comeback verhelfen" hieß es kürzlich in etlichen Zeitungen. Wie früher der Musik-Fan vor dem Radio, soll künftig wieder die "Record"-Taste gedrückt werden. Denn ausgerechnet die scheinbar ausgediente Kassette ist in den Augen der Japaner besonders geeignet, um Daten zu speichern.
Ungewöhnlich? Absolut. Verrückt? Absolut nicht.
Auch wenn Hörspiele der "Drei Fragezeichen" inzwischen von der Kassette über die CD in die Cloud gewandert sind – als Speichermedium war die Kassette nie wegzudenken. Bis heute nutzen sie Unternehmen, Bibliotheken und Forschungseinrichtungen, um relevante Daten festzuhalten.
Die spezielle Magnetband-Kassette sieht genauso aus wie eine handelsübliche Audiokassette. Sie passt sogar in jeden mechanischen Kassettenrekorder. Doch weil auf den Magnetbändern nicht nur Audio-Files, sondern auch Computerdaten gespeichert werden, nennen Experten sie seit den Achtzigerjahren auch Datasette. Eingeführt hatte den Begriff das Unternehmen Commodore, verwendet wurde er später aber auch von Computerherstellern wie Atari und Apple.
Sonys echte Innovation ist die Datenmenge, die auf der Kassette Platz findet. Bis zu 185 Terabyte erfasst das Medium. Ein neuer Rekord, heißt es in einer Pressemeldung des Unternehmens. Möglich gemacht habe das die Zusammenarbeit mit dem IT-Unternehmen IBM. Dabei wurde an der Optimierung der "Aufzeichnungsdichte für Kassettenspeichermedien" gearbeitet. Mit Erfolg.
Der neu gewonnene Speicherplatz ist tatsächlich beeindruckend. Denn bisher umfasste die größte Kassette gerade einmal 2,5 Terabyte. Und selbst das ist für den Otto-Normal-Nutzer schon viel Platz. Ein einstündiger HD-Film mit zwei Tonspuren belegt knapp 2,5 Gigabyte.
Innovation für Unternehmen
Doch die Datasette der Japaner richtet sich nicht an Endkunden, sondern an Unternehmen. Der Grund: Viele Unterlagen liegen nur noch digital vor, müssen aber über einen langen Zeitraum auffindbar und abrufbar sein – zum Beispiel Baupläne von Flugzeugen, Schiffen oder Autos.
Und obwohl die Schreibgeschwindigkeit deutlich langsamer ist als beim Archivieren auf einer Festplatte, setzen etliche Konzerne auf die Magnetbandkassette. Sie gilt als robust, verträgt sie doch Hitze, Staub und Stöße deutlich besser als andere Speichermedien.
Sony könnte also mit seinem Produkt durchaus Erfolg haben. „Die Frage ist, wie teuer das Daten-Tape von Sony am Ende wird - der Preis bestimmt das Geschäft. Schließlich ist Speicherplatz in den vergangenen Jahren immer günstiger geworden“, heißt es beim Leibniz-Institut für Informationsinfrastruktur in Karlsruhe.
Technische Herausforderungen
Derzeit werden Daten vor allem auf Magnetbändern oder Festplatten gespeichert. Auf echte bezahlbare Alternativen bei der Hardware, die große Datenmengen sicher und ohne zusätzliche Aufwände lange speichern kann, warten die Experten schon lange. Mit dem richtigen Preis könnte Sony also durchaus eine Zielgruppe erreichen. Denn Daten sicher zu speichern, wird in Big-Data-Zeiten immer wichtiger.
Und weg sind die Rentendaten!
Sich mit Datenträgern zu beschäftigen, ist keine Lappalie. Elektronische Informationen müssen genauso sicher verstaut werden wie Bücher in einem Umzugskarton. Dabei macht die Hardware und ihre Überlebensdauer tatsächlich noch die geringsten Probleme. Laut einer Studie der Kroll Ontrack GmbH, die sich auf Datenrettung spezialisiert hat, gehen 59 Prozent der Daten aufgrund von Hardware- oder Systemfehlern verloren.
Wie tragisch so ein technischer Fehler werden kann, zeigt ein Beispiel aus Japan. Mitte 2007 war das Chaos in der japanischen Rentenverwaltung perfekt. Die Regierung musste „Probleme mit den Rentendaten“ einräumen. Rund 65 Millionen Datensätze konnten den Bürgern nicht mehr korrekt zugeordnet werden. Grund war eine schlecht programmierte Software, die alte Datei-Formate nicht mehr auslesen konnte. Die Beamten hatten versäumt, die Daten langfristig auslesbar zu machen.
Die Lebensdauer von Trägermedien
Mehrere tausend Jahre (gesichert)
Mehrere tausend Jahre (vermutet)
Mehrere hundert Jahre (gesichert)
70-100 Jahre
mehr als 100 Jahre (gesichert) und bis zu 400 Jahre (vermutet)
44 Jahre (gesichert)
Farbfilm bis zu 150 Jahre; S/W-Film bis zu 700 Jahre (vermutet)
* CD-R 5–10 Jahre
* CD-RW: ?
* DVD±R: ?
* DVD-RAM: 30 Jahre (vermutet)
* BD-R: bis zu 50 Jahre (laut Labortests)
* CD: unter Idealbedingungen etwa 50-80 Jahre
* DVD: min. 100 Jahre (vermutet)
* BD: 82 - 85 Jahre (vermutet)
5-10 Jahre
2-10 Jahre, je nach täglicher Betriebsdauer
min. 30 Jahre (gesichert)
bis zu 30 Jahre (vermutet)
3–10 Jahre
Die Überlebensdauer von Speichermedien ist klar begrenzt. Doch wie der Renten-Schlamassel zeigt, sind sie nicht das wesentliche Problem.
„Viel schlimmer ist der schnelle Technologiewechsel“, sagt Jens Ludwig von der niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen. Denn selbst wenn eine Kassette, Festplatte oder Disk ewig halten, muss das noch lange nicht für die darauf gespeicherten Daten gelten. Vor allem wegen zahlreicher technischer Herausforderungen.
Zum einen sind manche Wiedergabegeräte irgendwann einfach nicht mehr verfügbar. Das Problem kennt jeder, der noch eine große Plattensammlung im Schrank hat, aber keinen Plattenspieler mehr besitzt. So ähnlich ist es auch mit alten Dateiformaten. Irgendwann laufen die Geräte aus, die sie abspielen könnten. Sind entsprechende Technologien noch im Haus, ist es oft schwierig Ersatzteile zu beschaffen oder fachkundiges Personal zu bekommen. „Am Ende muss sich ein Unternehmen genau überlegen, ob es sich finanziell lohnt an einem alten Lesegerät festzuhalten“, sagt Jens Ludwig.
Das gleiche gilt für Betriebssysteme. Veralten diese, kann es zu Problemen kommen, weil sich nicht jede Datei von jedem Betriebssystem ausgelesen lässt.
Außerdem muss auch die richtige Software über Jahrzehnte verfügbar, da sie auf einem modernen Betriebssystem mitunter nicht mehr funktioniert - ebenso wie bestimmte Formate.
Die Dialektik des Fortschritts
Daher empfiehlt Jens Ludwig ein Vorgehen in konkreten Schritten. „Zum einen müssen die Nullen und Einsen, also die eigentliche Bytes, erhalten bleiben“, sagt er. Zum anderen müsse sichergestellt werden, dass noch Software vorhanden ist, um diese Daten auszulesen. Dabei kann auch eine künstliche Umgebung helfen.
Schön macht es das Computerspielemuseum in Berlin vor. Hier können dank angepasster technischer Umgebung alte C64-Spiele auf aktuellen Rechnern gespielt werden. Dabei tut der PC quasi so, als sei er ein Commodore aus dem Jahr 1982.
„Man muss ein Bewusstsein dafür schaffen, dass alte Technologie zum Erhalt von Daten entscheidend ist“, sagt Ludwig. „Je besser neue Software ist, desto mehr sträuben wir uns dagegen, eine alte, oft langsamere Variante zu verwenden.“
Er nennt das die Dialektik des Fortschritts: Dinge veralten nur dann, wenn wir Fortschritte machen.
Ohne Institutionen, die sich dieser Aufgabe langfristig widmen, wird von unserer Zeit viel verloren gehen. Wie die Mönche im Mittelalter Tausende Dokumente abgeschrieben, müssten auch wir uns in unserer schnelllebigen, digitalen Welt um den Wissensschatz unserer Zeit kümmern.
Das bestätigt auch eine aktuelle kanadische Studie. Danach sind bei modernen Forschungsprojekten bereits nach rund 20 Jahren zwei Drittel der Daten nicht mehr nutzbar. Gezeigt haben das die Kanadier anhand relativ simpler Datensätze über die Größe von Tieren. Die Informationen wurden binnen des Testzeitraums entweder gelöscht, waren unlesbar oder schlicht nicht mehr auffindbar.
Neben den technischen Dimensionen ist vor allem die gute Verschlagwortung im Datenwust der heutigen Zeit ein Problem. Allzu oft verschwinden Informationen, weil niemand mehr weiß, wo und wie sie eigentlich abgelegt wurden.
Besonders schief gegangen ist das Mitte der Neunzigerjahre bei der amerikanischen Raumfahrtbehörde Nasa. Die Daten aus 30 Jahren Viking-Mission waren nicht mehr zu gebrauchen. Ab 1976 hatte die Sonde 1,2 Millionen Magnetbänder mit etwa 2.300 detaillierten Fotografien vom Mars geschickt. Die gesamte Mission kostete rund eine Milliarden US-Dollar. Weil die Bänder jedoch nur notdürftig beschriftet wurden, herrschte schon nach wenigen Jahren Chaos. Fotografien konnten weder Orten noch Zeiträumen zugeordnet werden und eine solide wissenschaftliche Auswertung wurde damit unmöglich.
Wachsender Datenberg
Jens Ludwig empfiehlt daher: „Daten müssen gut dokumentiert werden, damit sie sich inhaltlich auch noch nutzen lassen.“
Die Speicherdebatte spielt vor dem Hintergrund stetig wachsender Datenmengen. Der technische Fortschritt hat dazu geführt, dass sich das sogenannte digitale Universum in den letzten zwei Jahren auf 2,8 Zettabyte verdoppelt hat. Das Volumen soll in den kommenden sieben Jahren auf 40 Zettabyte anwachsen.
Zur Einordnung: Ein Zettabyte ist eine Eins mit 21 Nullen.
Bei der Masse an Daten wird auch Cloud Computing eine immer größere Rolle spielen. Man geht davon aus, dass sich die Anzahl der Cloud-Server weltweit verzehnfachen wird. Die Datenmengen in Rechenzentren wachsen somit um den Faktor 14.
Ein riesiges, wichtiges Thema - bei dem die Kassette weiterhin eine Rolle spielt. Wenn auch nur eine kleine.