Pornografie im Internet Camerons Kampf für das Netz ohne Sex

Großbritanniens Premier David Cameron sagt der Kinderpornografie im Netz den Kampf an. Das ist grundsätzlich gut so. Doch mit dem geplanten obligatorischen "familienfreundlichen Filter" ist die Grenze zur Bevormundung überschritten.

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Auf Verbrecherjagd im Netz unterwegs: Der britische Premierminister David Cameron mit einem Polizeibeamten im südenglischen Cheshunt. Quelle: Reuters

Wenn die Briten derzeit über Netzpolitik diskutieren, geht es im Gegensatz zu Deutschland nicht in erster Linie um die Abhöraktivitäten ihres Geheimdienstes GHCQ. Es geht um Sex. Der britische Premierminister David Cameron hat ein Maßnahmenpaket vorgestellt, um Kinderpornografie und auch „extreme“  Pornografie zwischen Erwachsenen - vor allem Darstellungen von Vergewaltigungen - im Netz zu bekämpfen. Cameron will „den Markt austrocknen“ für Anbieter und Nutzer von Bildern, die Kindermissbrauch zeigen.

Google und andere Internetkonzerne werden aufgefordert, bis Oktober Mechanismen einzurichten, die illegale Pornografie in ihren Suchergebnissen blockieren. Sollten die Unternehmen nicht kooperieren will Cameron bei anderen Regierungen, gemeint ist wohl vor allem Washington, um Unterstützung werben. Eine Sonderorganisation der britischen Polizei soll ein Fahndungssystem für einschlägige Suchbegriffe entwickeln, um die Nutzer von Kinderpornografie zu identifizieren.

Cameron gilt im Gegensatz zu seiner kürzlich verstorbenen Vorgängerin Margaret Thatcher nicht als Mann unumstößlicher Überzeugungen. Eher wird er als Getriebener wahrgenommen, der zwischen der EU-Gegnerschaft  in seiner eigenen Konservativen Partei und der UK-Independance-Party und den an der EU orientierten Wirtschaftsinteressen seines Landes laviert. Bei einem „weichen“ Thema ist das anders. Dass Cameron die Verteidigung der Familie und Kinderschutz am Herzen liegt, nehmen ihm auch seine Gegner ab. Als Camerons schwerkranker Sohn Evan 2009 im Alter von sechs Jahren starb, nahm die gesamte Nation inklusive der politischen Klasse Anteil. Camerons EU-Politik mag rein machttaktisch motiviert sein, aber den "compassionate conservativism", den neuen mitleidenden Konservativismus, nimmt man Cameron ab. Dass dem Premier seine jetzt verkündete Kampfansage an die Kinder- und „extreme“ Pornografie im Netz nicht nur eine Vorzeigeaktion ist, bestreiten daher auch die Kritiker nicht.

Problematisch wird Camerons Anti-Porno-Paket da, wo es nicht mehr um Kindesmissbrauch, also  um eindeutig Verbrecherisches geht, sondern um die „familienfreundliche“ Nutzung des Netzes. Denn auch das gehört zu Camerons Plan: Ab 2014 sollen Provider verpflichtet sein, ihre Nutzer in Großbritannien zu fragen, ob sie einen „familienfreundlichen Filter“ installieren wollen, der pornografische Inhalte automatisch blockiert.   

Cameron sagte in einem Interview, er wolle nicht „moralisieren“. Doch so einfach ist der Verdacht nicht von der Hand zu weisen, dass er es doch tut. Pornografie an sich ist nicht illegal und ihr Konsum ist - für Erwachsene - Privatsache. Das Problem ist die Umkehr des Aufwandes: Auch wer nur harmlose, völlig legale Pornos sehen will, muss nun bei seinem Provider aktiv werden. Dass das manch einem Nutzer bei der Installation seines Anschlusses große Hemmungen verursachen wird  - gerade wenn er Familie hat oder bei der Installation auf Hilfe angewiesen ist -, ist sicher im Sinne des Erfinders dieser Regelung. Doch die Brandmarkung von Nutzern normaler legaler Pornografie ist nicht Aufgabe eines freiheitlichen Staates. Er kann kein Interesse daran haben, dass bei jedem Provider alle Nutzer in „Familienfreunde“ und Porno-Gucker eingeteilt werden.

Der beste Jugendschutz sind verantwortungsvolle Eltern

Der Kampf gegen verbrecherische Kinderpornografie ist eine polizeiliche Aufgabe. Die Maßnahmen, die Großbritannien jetzt ergriffen hat, könnten hier auch für andere Länder Vorbild sein. Etwas völlig anderes ist der Schutz von Kindern vor den seelischen Gefahren, die ihnen drohen, wenn sie zu früh mit sexuellen (für Erwachsene aber legalen) Inhalten im Netz in Berührung kommen. Die sexuelle Verwahrlosung vieler junger Menschen durch die Allverfügbarkeit von Pornografie und vor allem gewalttätige Computerspiele ist ohne Frage ein gesellschaftliches Problem. Aber es ist keines, das mit Polizeigewalt und Verboten zu bekämpfen ist, sondern ein erzieherisches. Der Staat sollte hier wie auch in anderen Erziehungsfragen nicht diejenigen bevormunden, die in aller Regel selbst der beste Vormund der Kinder sind: die Eltern.

Mütter, Väter und andere Bezugspersonen von Kindern sollten wissen, was ihre Kinder am Computer treiben und den Zugang kontrollieren. Porno-Filter gibt es auch jetzt schon in jedem gängigen Browser. Der beste familienfreundliche Internet-Filter aber sind verantwortungsbewusste Eltern, die ihren vorpubertären Kindern keinen unbegrenzten Zugang zum Computer erlauben. Den Umgang ihrer Kinder mit dem Internet zu beaufsichtigen, gehört heute zur Fürsorgepflicht für Mütter und Väter. Aufgabe staatlicher Stellen ist allenfalls die Aufklärung über Kontrollmöglichkeiten für Eltern, nicht eine mehr oder weniger obligatorische Porno-Sperre für alle.

Wer heute minderjährige Kinder hat, ist in aller Regel mit dem Internet und auch den seelischen Gefahren, die Kindern dort drohen, durchaus vertraut. Und der Staat sollte ihnen zutrauen, ihre Kinder davor selbst zu schützen, so wie er auch davon ausgeht, dass Eltern ihre Kinder nicht bei Rot über die Fußgängerampel laufen lassen und im Winter nicht in Sandalen raus schicken.

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