Pro und Contra Wikileaks - Gefahr oder Gewinn für die Meinungsfreiheit?

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Wikileaks ist ein Gewinn für die Meinungsfreiheit

Wikileaks wird zu Unrecht kriminalisiert. Wir haben auch im internet-Zeitalter nicht zuviel, sondern zu wenig Transparenz.

von Oliver Voß 

Ausgaben des Quelle: dapd

Die Meinungs- und Pressefreiheit ist in demokratischen Staaten ein hohes Gut. In den Vereinigten Staaten sind diese Grundrechte durch den ersten Verfassungszusatz noch einmal besonders geschützt und decken damit auch manche Äußerung, die hierzulande schon als verfassungsfeindlich eingestuft wird.

Vor diesem Hintergrund ist das massive Vorgehen gegen Wikileaks so bedenklich. Deren Betreiber werden kriminalisiert und mit islamistischen Terroristen gleichgesetzt. Große Konzerne agieren wie willige Erfüllungsgehilfen der US-Politik.   

Hätte Wikileaks solche Dokumente aus russischen oder chinesischen Botschaften in die Finger bekommen und diese Länder würden ähnlich rabiat vorgehen, wäre der Aufschrei groß.   

Gleichzeitig betonen viele Politiker, die Diplomaten-Depeschen seien vor allem belangloses Geschwätz und Charakterisierungen, die so auch tagtäglich in den Leitartikeln diverser Medien stünden. Warum also die Aufregung um Informationen, auf die zuvor schon 2,5 Millionen Menschen im internen US-Behördennetz Zugriff hatten?

Bürger, Kunden und Aktionäre haben ein Recht auf mehr Informationen

Weil neben allerlei Tratsch und politischen Binsenweisheiten in den Kabeln eben doch viele Informationen stehen, die weltweit für viele Bürger von Interesse sind. Ob Bulgarien Waffen in den Irak liefert, Saudi-Arabien einen Angriff auf den Iran fordert oder hochrangige Politiker in Afghanistan oder Argentinien von US-Diplomaten als korrupt eingeschätzt werden – bei solchen Dingen ist es das gute Recht der Bürger in den betroffenen Staaten, zu erfahren, was ihre Volksvertreter tagtäglich so treiben.

Kriegsverbrechen, Korruption und andere kriminelle Machenschaften sind Missstände, die aufgeklärt werden müssen. Bislang war das vor allem Aufgabe der Medien, die ja auch in der Cablegate-Affäre die eigentliche Aufarbeitung und Analyse der Datenflut übernehmen.

Doch im Internet-Zeitalter gibt es viel größere Möglichkeiten sich mit Hilfe verschiedener Quellen und Originalunterlagen ein eigenes Bild zu machen. Neue Akteure tragen ihren Teil dazu bei – ob es Blogger sind, Bürger die Videos von Stuttgart-21-Demonstrationen auf Youtube veröffentlichen oder die Aktivisten von Wikileaks. Diese neue Vielfalt ist ein Gewinn für alle interessierten Menschen.     

Genauso haben Aktionäre und Kunden ein Recht darauf, über gesetzeswidrige Aktivitäten von Unternehmen aufgeklärt zu werden. Ob Finanzkrise oder Überwachungsskandale bei Lidl, Telekom & Co.; Korruption bei Siemens oder der FIFA – es gibt mehr als genug Fälle, in denen das Problem nicht zuviel, sondern zu wenig Transparenz ist. Eine frühzeitige Veröffentlichung mancher Interna auf Wikileaks hätte viele Probleme früher stoppen können.

Besonders skandalös ist daher die Rolle, die große Unternehmen wie Mastercard, Amazon oder die Ebay-Tochter Paypal derzeit spielen. Unglaublich schnell wurden Dienstleistungen für Wikileaks gestoppt, ohne dass es dafür einen Gerichtsbeschluss oder eine andere eine juristische Grundlage gäbe.

Der Verweis auf einen Verstoß gegen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen wirkt dabei  scheinheilig. Besonders dreist ist die Begründung des Unternehmens EveryDNS, dass die Adresse wikileaks.org mit der eigentlichen IP-Adresse und den Serverdaten verknüpft. Der Dienstleister erklärte, wegen Attacken auf Wikileaks wäre die Sicherheit der anderen Kunden gefährdet. Dann müssten nun aber auch die Websites von Mastercard oder Visa abgeschaltet werden, da diese unter genau derselben Form von Angriffen leiden.

Genauso, wie die fraglichen Unternehmen konsequenterweise auch ihre Geschäftsbeziehungen mit dem Spiegel, dem Guardian oder der New York Times stoppen müssten, die ebenfalls die vermeintlich „illegalen“ Inhalte publik machen. Doch soweit will doch keiner gehen.

Wikileaks dagegen lässt sich dagegen einfach abstempeln: gefährliche Hacker und Internetextremisten, die alles veröffentlichen wollen, was sie in die Finger bekommen.

Dabei hat die Plattform den klaren Grundsatz, nur Informationen von politischer und historischer Relevanz zu veröffentlichen. Sie ist ein neuartiges Medium, dass selbst keine Daten stiehlt sondern nach vorheriger Sichtung (Irak-Kriegsverbrechen ja, UFO-Sichtungen nein) Inhalte publiziert, die der Seite zugespielt werden.

Wer Angst um seine persönlichen Daten hat, sollte sich eher darüber Sorgen machen, welche Informationen Unternehmen wie Google, Apple und Facebook aber auch Ebay und Amazon über uns sammeln. Vielleicht finden sich entsprechende Unterlagen ja irgendwann auf Wikileaks.

Doch das eigentliche Problem mit Wikileaks ist derzeit nicht, dass dort zuviel veröffentlicht wird, sondern durch die personelle und technische Überlastung mit den Botschaftsdepeschen andere brisante Informationen nicht publiziert und neue leaks gar nicht erst eingestellt werden können.

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