Renaissance des Fernsehers Gut vernetzt am heimischen Lagerfeuer

Der immer wieder beschworene Kampf zwischen Multimedia-PC und TV-Gerät um die Vorherrschaft im Wohnzimmer ist längst entschieden. Die gute alte Glotze in Form eines modernen, riesigen und hochauflösenden Flachbildschirms hat haushoch gewonnen. Der Fernseher erlebt eine Renaissance - als riesiges Fenster in die große weite Welt der Internetangebote.

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Flachbildschirm auf der IFA. Die Flimmerkiste ist längst jenseits von ZDF und ARD angelangt. Quelle: dpa

DÜSSELDORF. Und dieses Jahr bekommt der noch eine Dosis Cloud-Computing injeziert. Die Fernbedienung frisst die Maus, und die Tage des Teletexts sind gezählt. Die Zukunft gehört TV-optimierten Internetangeboten mit Rich-Media-Diensten, vom Online-Shop bis zu Musiksendungen, die das Programm individuell am Musikgeschmack ausrichten, den sie zuvor aus der Musikbibliothek auf der Festplatte der Couchpotato 2.0 herausgelesen haben.

Auf der Straße werden Smartphone und Netbook den Weg ins immer verfügbare World Wide Web ebnen, im Wohnzimmer werden sich die Familien 2009 um den breitbandig ans Heimnetz angeschlossenen Flachfernseher versammeln, so wie ihre Vorfahren einst in der Höhle ums anheimelnde Lagerfeuer. Die großen Verlierer: teure PCs, Macs und Nobel-Laptops. Denn mit zunehmender Durchdringung der Konsumelektronik durch das Internet und Verlagerung rechenintensiver Aufgaben in das Web ("Cloud-Computing") wird immer mehr Käufern klar werden, dass der PC nur noch erforderlich ist, wenn man eine Tastatur braucht. Die Produktivität wandert ins Netz - und für die Unterhaltung braucht man keinen Quad-Core-PC mit Super-High-End-Grafikkarte und stromfressendem 1 000- Watt-Netzteil. Die Digitaltechnik des PC hält Einzug, aber für den Rechenknecht selber heißt es: Ich muss leider draußen bleiben. Im besten Falle darf er noch als dummer "Server" aus der Abstellkammer Fotos und Musik hereinreichen. Aber als Medienzentrale fungieren Boxen unter dem TV-Gerät, die Fernsehsignal, eigene Dateien und Internet zusammenmixen.

Der folgerichtige nächste Schritt heißt dann "Cloud-Entertainment". Die völlige Verlagerung der Rechenleistung ins Internet. So wie es Activevideo (www.activevideo.com) kommende Woche auf der Leitmesse CES in Las Vegas vorstellen wird. Das Unternehmen aus dem kalifornischen San Jose bündelt TV-Programme, Webinhalte und Video-On-Demand-Dienste auf Servern im Internet zu einem für jeden Kunden individuell zugeschnittenen MPEG-Datenstrom. Der wird dann - so wie ein einfaches Webvideo - auf die Set-Top-Box der Kabelanbieter und den TV-Schirm geschickt. Eine Software erkennt Befehlseingaben mit der Fernbedienung und schickt die Wünsche des Zuschauers zurück ins Web. In Sekundenbruchteilen wird das Programm dann in der Cloud so umgebaut, wie der Kunde es will, oder er wird auf Wunsch direkt mit einem Onlineshop verbunden.

Heute kommt das Webprogramm immer über einen Kabelnetzbetreiber, aber 2009 will sich Activevideo freischwimmen und direkt mit Geräteherstellern arbeiten. Ein Computerchip, für wenige Cent integriert, und jedes TV-Gerät wird dank simplem Webanschluss zum Cloud-Entertainer. "Das wird die Art verändern, wie mit TV Geschäft gemacht wird", ist Edgar Vilapando von Activevideo überzeugt. "Es wird Werbetreibende, Programm- und Kabelanbieter gleichermaßen berühren."

Die TV-Kabelanbieter werden es als Erste spüren, wenn TV- oder Internetsender ihre Webstreams direkt in der Cloud zusammenbauen und auf den Fernseher beamen lassen. Ihre Macht beruht ganz auf speziell geschützten Set-Top-Boxen, die der Kunde freischalten lassen muss, um Programme zu genießen, die Dritte herstellen. Ein Geschäftsmodell von gestern.

Webpionier Yahoo ist auch dabei. Seit Mitte 2008 wird die "Widget Engine" in Samsung-Fernseher mit Ethernet-Anschluss eingebaut. Sie zaubert per hochintegriertem Intel-Chipsatz kleine Zusatzprogramme vom Wetterbericht bis zum Onlineshop auf den Bildschirm. Nur das, was der Zuschauer will, so individuell, wie er es von PC oder Mac kennt.

Oder vom iPhone. Denn die Schockwellen, die Apples Kulttelefon in den Mobilfunkmarkt ausgesendet hat, haben den Elektronikmarkt erreicht. Das Konzept des "AppStore" - eine Internetplattform für Softwaredownload speziell für das Mobiltelefon - hält Einzug auf dem Fernseher.

Dem wird sich Steve Ballmer stellen müssen, wenn der Microsoft-Chef am 7. Januar die Bühne des großen Ballsaals im Venetian Hotel in Las Vegas betritt. Zur Eröffnung der Konsumelektronikmesse CES wird er pflichtgemäß dem neuen Windows 7 als Multimedia-Plattform die Hauptrolle einräumen. Aber der Held in Warteposition ist längst die Spielekonsole Xbox360. Im November hat sie eine neue, auf Unterhaltung und Internet ausgerichtete Bedienoberfläche erhalten. Neben DVD, Musik, Bildern und Spielen gibt es gemeinsame Onlinespiele und Video-Downloads über den Online-Service Netflix. Was noch stört, ist der laufende Mediacenter-PC im Hintergrund, wenn man TV-Programme sehen will. Drei stromfressende Geräte, nur um eine Fernsehsendung zu sehen? "Warten Sie?s mal ab", erklärt ein gut gelaunter Microsoft-Entertainment-Chef Robbie Bach auf Nachfrage, ohne ins Detail gehen zu wollen. Doch längst geht in der Branche die Kunde um, dass die Xbox360 bald auch ohne PC empfangsbereit sein wird.

Das passt gut in eine Zeit, in der die Elektronikbranche ihr grünes Herz für stromsparende Elektronik entdeckt hat. Denn nichts ist grüner und stromsparender als ein weiteres Elektronikgerät, das man gar nicht erst einschalten muss.

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