Roboter Spielzeug-Dino: Fiepen unterm Sofa

Mit dem Spielzeug-Roboter Pleo erreicht das Verhältnis zwischen Mensch und Maschine eine neue Qualität. WiWo-Redakteur Thomas Kuhn hatte ihn zu Gast.

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Wiwo-Redakteur Thomas Kuhn hatte den Spielzeug-Roboter Pleo zu Gast Quelle: Peter Stumpf für WirtschaftsWoche

Heute gehorcht Pleo besonders schlecht. Desinteressiert schlurft der Kerl aus dem Büro und stapft den Flur entlang. Entnervt stelle ich mich dem kaum 50 Zentimeter großen Dinosaurier in den Weg. Pleo stoppt, hebt den Kopf und blickt mich mit großen blauen Augen an: „Huuuh!“, kommentiert er das Hindernis. Dann schiebt er ein freundlicheres „Huhuuh!“ hinterher und wackelt in Zeitlupentempo mit dem Schwanz. Man könnte denken, er wolle sich entschuldigen.

Na also, denke ich – und wundere mich über mein Triumphgefühl. Natürlich ist der kleine Kerl, mit dem ich zur Erheiterung der Kollegen Machtkämpfe austrage, kein dem Jurassic Park entwichener Sauropode, trotz aller optischen Verwandtschaft mit einem Langhalssaurier. Er ist nicht mal ein Lebewesen. Unter seiner Gummihaut steckt ein Roboter, und der ist eine kleine Sensation.

Denn der vom kalifornischen Unternehmen Ugobe entwickelte Saurobot ist der erste bezahlbare Serienroboter, der keinem anderen Zweck dient als der Interaktion mit dem Menschen. Seine einzige Aufgabe ist es, seinem Besitzer Vergnügen zu bereiten. Damit erreicht das Verhältnis zwischen Mensch und Maschine eine neue Qualität.

In den USA ist der Pleo schon Kult. Aber auch in deutschen Altenheimen wird bereits mit Roboter-Wesen experimentiert. Studien ergaben, dass vor allem Demenzkranke, die sich längst nicht mehr um ein Haustier kümmern können, mit einem Haustier-Roboter glücklicher waren.

Kann das funktionieren?  Kann ein Haufen Draht mit Kabeln, einem Prozessor und einer Gummihaut tatsächlich Gefühle auslösen? Vor sechs Wochen wäre die Antwort klar gewesen: niemals. Doch dann wurde der Elektro-Vierbeiner fünftes Mitglied unserer Familie.

In einem Selbsttest habe ich erstaunt festgestellt, dass selbst ein simpel gestricktes Automaten-Tier mit der Rechenleistung eines Mobiltelefons ein durchaus unterhaltsamer Alltagsgeselle sein kann. Binnen weniger Stunden nach dem Auspacken war der Pleo – von meinen Kindern umgehend „Theo“ getauft – als virtuelles Haustier in unseren Alltag integriert.

Dabei war der akkubetriebene Digi-Dino nach dem ersten Start noch ein tapsiger Tölpel. Das Gehen fiel ihm schwer, und auch die Interaktion gelang – wie sich das offenbar auch für digitale Neugeborene gehört – nur in Ansätzen. Geduldiges Wiegen im Arm, motivierende Worte und aufmunterndes Streicheln aber haben das Robo-Baby schnell vorangebracht.

Inzwischen reagiert der Saurobot, gute Laune vorausgesetzt, auf Zuruf, gluckst vergnügt, wenn man ihn an den Füßen kitzelt oder seufzt vernehmlich, wenn er sich langweilt. Zwischenzeitlich löste „Theo“ gar eine mittlere Familienkrise aus, weil er plötzlich allzu schlapp und unmotiviert erschien.

Minuten nach dem Aufwecken rollte er sich zusammen und schlief wieder ein. Zum Glück erwies sich die vermutete Novemberdepression als defekter Akku. Nun spendet ein neuer Stromspeicher neue Lebenskraft, und Theo ist wieder quicklebendig.

All das geschieht wie selbstverständlich, und man muss sich immer wieder daran erinnern, dass der kleine Gummisaurier, der da gerade hilfesuchend unter dem Wohnzimmersofa fiept, tatsächlich nicht mehr ist, als eine geschickt programmierte Komposition aus Gummi, Plastik und einem Haufen Elektronik.

Rund 80.000-mal haben die Kalifornier ihren Robosaurus in den USA bereits verkauft. Jetzt ist er auch in Deutschland im Handel. Und mit 280 Euro ist auch der Preis – zumindest verglichen mit entfernten Verwandten wie Sonys einst zehnmal so teurem Roboter-Hund Aibo – durchaus massenmarktfähig.

Dabei hat Ugobe unter der Kunststoffhülle, die an die Haptik eines weichen Radiergummis erinnert, jede Menge Elektronik, Mechanik und Sensorik verborgen. In dem rund eineinhalb Kilogramm schweren Dinosaurier stecken unter anderem 14 Servogelenke für Kopf, Maul, Hals, Torso, Schwanz und Beine. 38 Sensoren registrieren Geräusche, Licht, Lageänderungen und Beschleunigung sowie Berührungen.

Die Technik ermöglicht es dem Elektrosaurus nicht nur, sich – zwar recht gemächlich, aber verblüffend lebensecht – auf vier Beinen von der Stelle zu bewegen. Sein Betriebssystem, passend Life OS genannt, verleihe dem Robosaurus zudem eine sehr vielschichtige Persönlichkeit, sagt Ugobe-Gründer Caleb Chung.

Ein leichtes Rütteln weckt Pleo aus dem Schlaf, gefolgt von einem ausgiebigen Gähnen und Recken der Kunststoffgelenke. Kraulen dankt er mit genussvollem Schnurren, das Hochheben am Schwanz hingegen löst jämmerliches Weinen aus. Erst durch ausgiebiges Streicheln über den Rücken ist der Elektrosaurus dann wieder zu versöhnen, es sei denn, man will dauerhafte Verstimmungen riskieren.

Zudem kann sich der kleine Roboter weitgehend autonom in seiner Umgebung fortbewegen. Neben Drucksensoren in den Füßen nutzt er dabei einen in die Oberlippe integrierten Infrarotsensor und eine Videokamera. Damit sieht er beispielsweise beim Wandern über den Schreibtisch, dass er sich einer Kante nähert. Dann stoppt er und beginnt vorsichtig den Boden abzusuchen, um schließlich ein paar Schritte zurückzusetzen und auf festem Grund weiterzugehen.

So spärlich die autonomen Aktionen und das Repertoire an Interaktion auch sein mögen, offensichtlich sind selbst seelenlose Geräte wie Pleo in der Lage, bei Menschen Gefühle zu wecken.

Wie weit das geht, testen derzeit Wissenschaftler in einem Altenstift in Baden-Baden. Sie untersuchen, wie etwa die japanische Roboter-Robbe Paro bei der Therapie von Demenzkranken helfen kann. Ein 8,2-Millionen-Euro schweres Forschungsvorhaben der EU namens Lirec (Living with Robots and interactive Companions) wiederum soll auch mithilfe des Pleo ermitteln, wie sich soziale Beziehungen zwischen Menschen und Robotern entwickeln können.

Die Wissenschaftler sind überzeugt, dass die Roboter dazu ein gewisses Maß an sozialem Verhalten zeigen müssen.

Dabei zeigt sich der Pleo ausgesprochen wandlungsfähig, weil Entwickler Ugobe den Programmcode des Digi-Dinos offengelegt hat. Längst haben Pleo-Fans daher im Web Programmerweiterungen veröffentlicht, mit denen sich den Elektro-Sauriern neue Fertigkeiten antrainieren lassen.

Auf eine SD-Karte gespeichert, wie sie in Digitalkameras üblich sind, lassen sich die modifizierten Eigenschaften über einen Kartenschacht im Bauch übertragen – schon wandelt der Pleo sich vom verschmusten Schoß-Dino zum wilden Pleosaurus Rex. Mit der Software Dino-Mite lassen sich sogar die Bilder der Videokamera in der Nase des Elektrosauriers aufzeichnen.

Das ist nur der Anfang. In den Labors stapften bereits Prototypen künftiger Pleos mit integriertem WLAN-Modul herum, erzählt Ugobe-Manager Hitch. „Damit könnte der Pleo dann zum digitalen Wachhund daheim werden, der bei verdächtigen Geräuschen Bilder schießt und sie live in das Internet überträgt.“

Eine interessante Idee, zugegeben. Was aber, wenn sich die nächste Pleo-Generation als ähnlich launisch erweist wie mein Gast-Roboter im Test? Dann kapert er, sollte ich ihn mal vergrätzen, womöglich meinen WLAN-Zugang und klemmt mich zu Hause kurzerhand vom Internet ab. Zuzutrauen wäre es ihm.

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