
Nicht dass Marion Kröger und ihre Tochter Michelle immer einer Meinung sind. Wäre ja noch schöner. Doch in einem sind sich die berufstätige Mutter und die Zehntklässlerin einig: Der Unterrichtsalltag ist viel einfacher und übersichtlicher geworden, seit ihn Manfred Wolff, Direktor der Kardinal-von-Galen-Realschule in Telgte bei Münster, per elektronischem Klassenbuch steuert.
Infozettel zu Ausflügen, Elternabenden und Beschlüssen des Kollegiums, unzuverlässige E-Mail-Ketten, wenn Stunden ausfallen, telefonische Krankmeldungen – mit all dem ist Schluss. Stattdessen tauschen sich Lehrer, Schüler und Eltern via Internet über eine Kommunikationsplattform des Essener Softwarehauses Comjell aus: unkompliziert, schnell und sicher.
Vieles hat sich geändert in Telgte. Schulleiter Wolff platzt jetzt nicht mehr in den Unterricht, um Briefe an die Erziehungsberechtigten seiner Zöglinge zu verteilen und das Geld für den Theaterbesuch anzumahnen. Er schreibt Mitteilungen nun nach Feierabend am heimischen Computer. „Bequem bei einem Glas Rotwein“, sagt er schmunzelnd. Sogar die komplizierten Stundenpläne kann er mit dem System aufstellen.





Das Beste aber: Die Lehrer haben deutlich mehr Zeit für den Unterricht. Sie tragen in das elektronische Klassenbuch Noten, Hausaufgaben, Tadel, Abwesenheiten und Verspätungen der Schüler ein. Ebenso die Termine der Klassenarbeiten und Schulfahrten. Und sie erstellen die Zeugnisse damit.
Eine Auswertung an Schulen mit dem digitalen Schulmanagementsystem ergab: Jeder Lehrer hat im Durchschnitt pro Schuljahr drei Wochen mehr Zeit für den Unterricht, weil die Administration des Schulalltags viel einfacher geworden ist. Das ist auch die Erfahrung von Rektor Wolff in Telgte. „Das bringt für kleines Geld einen enormen Qualitätssprung.“
Der Kniff der Technik besteht darin, dass die Nutzer alle Funktionen des Schulmanagementsystems einfach über gängige Internet-Browser abrufen und steuern können. Sie brauchen keine spezielle Software auf ihre PCs, Tablets oder Smartphones zu laden. Mit einem vergleichbar einfachen Zugriff auf solche – Cloud Computing genannten – Online-Angebote hat der US-Datengigant Google Millionen Kunden weltweit für seine Dienste gewonnen – von der elektronischen Post Gmail bis zu den Büroanwendungen Google Apps.
Für Comjell-Geschäftsführer und -Gründer Joachim Köhler, einen erfahrenen IT-Manager und studierten Chemiker, war klar: Mithilfe solcher Internet-Technologien müsste sich der Schulbetrieb weit effizienter managen lassen als bisher. Als Elternvertreter an einer Grundschule in Kempen am Niederrhein hat der dreifache alleinerziehende Vater erlebt, wie ineffektiv Schulen sein können.
Also gründete Köhler, der unter anderem bei einer Tochter des Reisekonzerns TUI eine Computerplattform für bessere Arbeitsabläufe aufgebaut hat, im Juni 2011 Comjell – zusammen mit der Steuerberaterin Beryl Krusche, die gleich vier Kinder großzieht. Die dokumentierten Zeitersparnisse und der Effizienzgewinn an den Schulen haben seine Thesen längst bestätigt.
Marion Kröger findet die Online-Funktionen schlicht „genial“. Wie sie sehen alle Eltern mit einem Klick in ihr persönliches digitales Comjell-Postfach im Netz, ob die Leistungen ihrer Kinder stimmen oder sie Probleme haben. Sie finden Informationen, was die Schule plant und wie die Hausaufgaben lauten. Seither sei sie vor bösen Überraschungen am Elternabend gefeit, lobt Kröger die neue Transparenz. Der Service kostet die Eltern gerade einmal einen Euro pro Monat und Kind. Das ist der generelle Tarif.





Die Schüler waren anfangs wenig begeistert davon, praktisch nichts mehr vor Vätern und Müttern geheim halten und im Notfall auch mal eine papierene Einladung zum Elterngespräch im Ranzen vermeintlich vergessen zu können. Inzwischen trösten sie sich mit den Vorteilen: Wer krank ist, kann Hausaufgaben und Unterrichtsmaterialien herunterladen. Sie stehen nicht mehr vor verschlossener Klassentür, weil ihr Lehrer in letzter Minute verhindert ist. Und weil sie ihre Noten – auch die mündlichen – jederzeit über ihre persönliche, passwortgeschützte Infoseite im Online-Portal abrufen können, erkennen sie laut Rektor Wolff früher als bisher, wann es Zeit ist, mal wieder intensiver zu lernen.
„Die meisten von uns empfinden die Kontrolle inzwischen als Ansporn“, sagt Marion Krögers Tochter Michelle. Zumal das Kollegium bewusst nicht jede kleine Verfehlung im internetgeführten Klassenbuch notiere, betont Wolff. „Wir wollen die Schüler nicht terrorisieren.“
Eigentlich sollte man meinen, dass die digitale Kommunikation gut 20 Jahre nach der Kommerzialisierung des globalen Datennetzes längst Standard ist an Deutschlands rund 35.000 öffentlichen Schulen. Doch weit gefehlt. Noch immer sind Mitteilungen auf Papier vielerorts der meistgenutzte Informationsweg, werden Nachrichten wie im 19. Jahrhundert übermittelt.