Seehofer vs. Altmaier Megahertz-Zoff: Muss die Politik zwischen Energiewende und Sicherheit entscheiden?

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Ein Netz für zwei?

Für derlei Anwendungen weiterhin die öffentlichen Mobilfunknetze zu nutzen, sei weder zuverlässig noch sicher genug, erklärte etwa Innenminister Seehofer bei einer Anhörung im Frühjahr in Berlin. Dass die Sicherheitsbehörden auch bei großen Einsatzlagen oder Katastrophen für den Datenfunk auf die gleichen privaten und ausfallgefährdeten Netzkapazitäten zugreifen müssten, wie die Durchschnittskunden, sei auf Dauer nicht akzeptabel.

Mit dem gleichen Argument ziehen auch die Energieversorger ins Feld: Es sei schlicht nicht vorstellbar, die im Zuge der Energiewende künftig radikal dezentral strukturierte Infrastruktur der Stromerzeuger und -verbraucher über öffentliche und störungsanfällige Kommunikationsnetze zu steuern. „Wenn wir die Energieversorgung sicher und stabil betreiben wollen, braucht es dafür ein eigenes Netz“, begründet es ein Branchenvertreter, „das 450-Megahertz-Netz.“

So verhärtet die Fronten auch sind, Mitte des Sommers schien sich zumindest zwischen den Ministerien ein Kompromiss abzuzeichnen: der Aufbau eines gemeinsamen Netzes, gebaut und gesteuert durch die Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben, kurz BDBOS. Die betreibt heute schon das digitale Behördenfunknetz für Polizei, Feuerwehren, Zoll und weitere Behörden, wäre nach den Vorstellungen von Innen- und Verteidigungsministerium auch fürs angestrebte 450-Megahertz-Netz der Sicherheitsbehörden zuständig und könnte Teile von dessen Kapazität auch der Energiewirtschaft abtreten.

„Die Sicherheit der Stromversorgung zu gewährleisten, ist im Grunde ja eine Aufgabe der staatlichen Grundversorgung, die nur durch Privatunternehmen erbracht wird“, sagt ein Netzexperte aus der Sicherheitsfraktion. „Diese Netzsteuerung also über ein behördliches Netz abzuwickeln sei sowohl technisch als auch rechtlich überhaupt kein Problem.“ Mehr noch, wenn die Stromwirtschaft dafür eine Infrastruktur nutzen könne, die den Ansprüchen deutscher Sicherheitsbehörden an Verfügbarkeit und Hackersicherheit genüge, sei das mehr, als für die Branche selbst wirtschaftlich vertretbar sei.

Geplatzter Kompromiss

Ein paar Wochen lang schien das ein gangbarer Kompromiss zu sein, auf den sich Seehofers, Kramp-Karrenbauers und Altmaiers Ministeriale hätten einigen können. Dann aber veröffentlichte die Bundesnetzagentur Ende Juli einen Beschlussentwurf, demzufolge die Frequenzen genutzt werden sollten, um damit ein flächendeckendes Funknetz für die Bereiche Strom, Gas, (Ab-)Wasser und Fernwärme aufzubauen. „Mit der Bereitstellung der 450-MHz-Frequenzen für kritische Infrastrukturen können die Weichen für die Digitalisierung der Energiewende gestellt werden.“ Die zum 31. Dezember 2020 auslaufenden Frequenzen sollten daher „für den drahtlosen Netzzugang vorrangig für Anwendungen kritischer Infrastrukturen bereitgestellt“ werden. Die Sicherheitsbehörden blieben damit außen vor.

Deren Vertreter wittern politische Einflussnahme. Denn die Bundesnetzagentur fällt in die Zuständigkeit des Bundeswirtschaftsministeriums; selbst, wenn die Agentur in ihren Beschlüssen formal nicht an Berliner Weisungen gebunden ist. Die Stromwirtschaft wiederum konnte einem gemeinsamen Netz ohnehin wenig abgewinnen. „Wir können doch die Steuerung unserer Infrastruktur nicht von Netzkapazitäten abhängig machen, die von der Einsatzlage der Polizei beeinflusst werden“, so ein Manager aus der Stromwirtschaft kürzlich auf einem Kongress für professionelle Kommunikationsnetze in Köln.

Möglicherweise aber liegt das Problem auch an ganz anderer Stelle. Und ein Verweis darauf findet sich bereits im ersten Satz des Beschlussentwurfs der Netzagentur.

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