Seehofer vs. Altmaier Megahertz-Zoff: Muss die Politik zwischen Energiewende und Sicherheit entscheiden?

Zusätzlich zu den Digitalfunknetzen von Telekom, Vodafone und O2 wollen Sicherheitsbehörden und Energiewirtschaft weitere neue, besonders abgesicherte Funknetze aufbauen. Doch die verfügbaren Frequenzen reichen nur für einen Anbieter. Die Stimmung in Politik und Wirtschaft ist düster. Quelle: dpa

Ein heftiger Streit tobt bis ins Bundeskabinett. Es geht um neun Megahertz Mobilfunkspektrum – und die Frage, wer damit ein neues Netz bauen darf: Energiewirtschaft oder Sicherheitsbehörden? Schon jetzt ist klar, für einen geordneten Start reicht die Zeit nicht mehr.

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Diese Entscheidung klingt wie die Wahl zwischen Pest und Cholera: Entweder sie gefährdet Deutschlands Energiewende – oder die innere Sicherheit der Republik. Das zumindest behaupten die Kontrahenten. Auf der einen Seite Unternehmen der deutschen Energiewirtschaft, auf der anderen deutsche Sicherheits- und Katastrophenschutzbehörden.

Seit bald zwei Jahren streiten sie öffentlich zwar weitgehend unbemerkt, hinter den Kulissen dafür umso vehementer darum, wer von ihnen ein neues bundesweites, besonders ausfall- und abhörsicheres Kommunikationsnetz aufbauen darf.

Technisch geht es um die Nutzung von Frequenzen, in denen früher einmal die Deutsche Bundespost ihr analoges C-Netz für den Mobilfunk betrieb. Die Zeit drängt: Die Lizenzen dafür laufen Ende des Jahres aus. Bis dahin muss also die Entscheidung her, wer sie danach nutzen darf. 

Hackersicher und katastrophenfest

Wie bedeutsam und zugleich verfahren der Frequenzstreit ist, zeigt sich auch daran, dass er sogar Teile des Bundeskabinetts erfasst hat. Auf der einen Seite stehen Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) und Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), auf der anderen Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, ebenfalls CDU.

Erstere beanspruchen die Frequenzen für die Sicherheitsbehörden und die Bundeswehr. Altmaier wirft sich mit Schwung für die Energiewirtschaft in die Bresche. Nicht ohne Grund: Der Ruf des Wirtschaftsministers als Macher hängt auch davon ab, dass die Energiewende zu einem Erfolg wird. Andreas Scheuer (CSU), als Minister für digitale Infrastruktur laviert irgendwo dazwischen und versucht sich bisher erfolglos als Mediator. 

Einigkeit besteht nur insoweit, als die umstrittenen zweimal knapp fünf Megahertz Bandbreite Grundlage eines neuen, bundesweiten Mobilfunknetzes werden könnten: Zusätzlich zu den bestehenden Handynetzen der Mobilfunker, hackergeschützt und idealerweise katastrophenfest abgesichert. 

Bisher hatten die Deutsche Telekom und das Unternehmen 450connect, eine Tochter des niederländischen Energienetzbetreibers Alliander, auf den Frequenzen lokale und regionale Daten- und Betriebsfunknetze für Firmenkunden unterhalten. Doch deren Technik ist überaltert und sollte Ende 2020 abgeschaltet werden.

Geht es nach den Plänen der Stromwirtschaft, sollen die Frequenzen künftig dazu dienen, in Zeiten der Energiewende die zunehmend dezentrale Infrastruktur zu steuern und Millionen von Erzeugern und Verbrauchern – private Solaranlagen, Windparks, Kleinkraftwerke, Umspann- oder Ladestationen – zu vernetzen. Die deutschen Sicherheitsbehörden wiederum wollen mithilfe der Frequenzen ein eigenes, abhörsicheres LTE-Netz für Datenübertragungen aufbauen – eine Funktion, die dem digitalen Polizeifunknetz bis heute schmerzhaft fehlt. Um Fotos von Tatorten in die Zentrale, oder Patientendaten aus dem Rettungswagen ans Krankenhaus zu schicken, greifen die Einsatzkräfte heute notgedrungen aufs Handy zurück; nicht selten aufs private, wenn die dienstliche Technik mal wieder streikt.

Angesichts der Tatsache, dass sich der Streit um gerade einmal gut neun Megahertz dreht, überrascht die Vehemenz, mit der die Ressorts um die elektromagnetischen Wellen feilschen. Bei der großen Frequenzauktion im Sommer 2019, als Deutschlands Mobilfunker Kapazitäten für den Aufbau der neuen 5G-Netze ersteigerten, wurde das 50-fache Frequenzvolumen vergeben: 410 Megahertz Bandbreite.

Durch Wände und Decken

Doch die Tücke liegt im Detail. Während die sehr kurzwelligen 5G-Frequenzen zwar besonders schnelle Datenübertragungen erlauben, aber teils nur wenige hundert Meter weit reichen, ist das strittige Spektrum im sogenannten 450-Megahertz-Band zwar „langsamer“, eignet sich aber besonders gut für flächendeckende Funknetze. Zum einen, weil die 450-Megahertz-Wellen besonders große Funkzellen erlauben und deshalb wenige Sendestandorte benötigen. Zum anderen, weil sie auch Wände und Decken sehr gut durchdringen und damit auch weit in Gebäude und Keller hineinreichen.

Eigentlich hätte die für die Frequenzvergabe zuständige Bundesnetzagentur spätestens Mitte 2019 über die zukünftigen Nutzer entscheiden müssen, damit die neue Technik zum Jahresanfang 2021 an den Start gehen kann. Doch die Entscheidung liegt seit Monaten auf Eis, weil sich die Bundesministerien über die beiden Optionen nicht einigen können.

Während sich die drei Kabinettsmitglieder zumindest öffentlich um Zurückhaltung bemühen, herrscht auf Ebene der Referate in den Ministerien giftige Bissigkeit. „Die stellen die sichere Stromversorgung zur Disposition“, werfen Altmaiers Beamte den Befürwortern eines Polizeifunkausbaus vor. „Im Grunde geht es denen nicht ums sichere Management der Stromnetze, sondern darum, der Energiewirtschaft ein neues Geschäftsmodell für Smart-Home-Angebote zuzuschanzen“, schimpft es aus den Gängen des Innenministeriums zurück.

Tatsächlich ist wohl an beiden Vorwürfen was dran. Die Sicherheitsbehörden sehen in dem neuen Funknetz eine Chance, ihr inzwischen zwar weitgehend flächendeckendes, technologisch aber angejahrtes digitales Behördennetz wenigstens etwas an die Leistungsfähigkeit aktueller Mobilfunknetze anzunähern. Was die Datenkommunikation angeht, so muss sich der Behördenfunk bisher im Grunde mit SMS-Kommunikation begnügen. Die Datenübertragungsfähigkeiten ähneln denen analoger Modems aus prähistorischen Internet-Zeiten. Ein zusätzliches 450-Megahertz-Netz auf LTE-Basis könnte Datenabfragen deutlich beschleunigen und auch mal die Übertragung von Fotos oder kurzen Videos erlauben.

Ein Netz für zwei?

Für derlei Anwendungen weiterhin die öffentlichen Mobilfunknetze zu nutzen, sei weder zuverlässig noch sicher genug, erklärte etwa Innenminister Seehofer bei einer Anhörung im Frühjahr in Berlin. Dass die Sicherheitsbehörden auch bei großen Einsatzlagen oder Katastrophen für den Datenfunk auf die gleichen privaten und ausfallgefährdeten Netzkapazitäten zugreifen müssten, wie die Durchschnittskunden, sei auf Dauer nicht akzeptabel.

Mit dem gleichen Argument ziehen auch die Energieversorger ins Feld: Es sei schlicht nicht vorstellbar, die im Zuge der Energiewende künftig radikal dezentral strukturierte Infrastruktur der Stromerzeuger und -verbraucher über öffentliche und störungsanfällige Kommunikationsnetze zu steuern. „Wenn wir die Energieversorgung sicher und stabil betreiben wollen, braucht es dafür ein eigenes Netz“, begründet es ein Branchenvertreter, „das 450-Megahertz-Netz.“

So verhärtet die Fronten auch sind, Mitte des Sommers schien sich zumindest zwischen den Ministerien ein Kompromiss abzuzeichnen: der Aufbau eines gemeinsamen Netzes, gebaut und gesteuert durch die Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben, kurz BDBOS. Die betreibt heute schon das digitale Behördenfunknetz für Polizei, Feuerwehren, Zoll und weitere Behörden, wäre nach den Vorstellungen von Innen- und Verteidigungsministerium auch fürs angestrebte 450-Megahertz-Netz der Sicherheitsbehörden zuständig und könnte Teile von dessen Kapazität auch der Energiewirtschaft abtreten.

„Die Sicherheit der Stromversorgung zu gewährleisten, ist im Grunde ja eine Aufgabe der staatlichen Grundversorgung, die nur durch Privatunternehmen erbracht wird“, sagt ein Netzexperte aus der Sicherheitsfraktion. „Diese Netzsteuerung also über ein behördliches Netz abzuwickeln sei sowohl technisch als auch rechtlich überhaupt kein Problem.“ Mehr noch, wenn die Stromwirtschaft dafür eine Infrastruktur nutzen könne, die den Ansprüchen deutscher Sicherheitsbehörden an Verfügbarkeit und Hackersicherheit genüge, sei das mehr, als für die Branche selbst wirtschaftlich vertretbar sei.

Geplatzter Kompromiss

Ein paar Wochen lang schien das ein gangbarer Kompromiss zu sein, auf den sich Seehofers, Kramp-Karrenbauers und Altmaiers Ministeriale hätten einigen können. Dann aber veröffentlichte die Bundesnetzagentur Ende Juli einen Beschlussentwurf, demzufolge die Frequenzen genutzt werden sollten, um damit ein flächendeckendes Funknetz für die Bereiche Strom, Gas, (Ab-)Wasser und Fernwärme aufzubauen. „Mit der Bereitstellung der 450-MHz-Frequenzen für kritische Infrastrukturen können die Weichen für die Digitalisierung der Energiewende gestellt werden.“ Die zum 31. Dezember 2020 auslaufenden Frequenzen sollten daher „für den drahtlosen Netzzugang vorrangig für Anwendungen kritischer Infrastrukturen bereitgestellt“ werden. Die Sicherheitsbehörden blieben damit außen vor.

Deren Vertreter wittern politische Einflussnahme. Denn die Bundesnetzagentur fällt in die Zuständigkeit des Bundeswirtschaftsministeriums; selbst, wenn die Agentur in ihren Beschlüssen formal nicht an Berliner Weisungen gebunden ist. Die Stromwirtschaft wiederum konnte einem gemeinsamen Netz ohnehin wenig abgewinnen. „Wir können doch die Steuerung unserer Infrastruktur nicht von Netzkapazitäten abhängig machen, die von der Einsatzlage der Polizei beeinflusst werden“, so ein Manager aus der Stromwirtschaft kürzlich auf einem Kongress für professionelle Kommunikationsnetze in Köln.

Möglicherweise aber liegt das Problem auch an ganz anderer Stelle. Und ein Verweis darauf findet sich bereits im ersten Satz des Beschlussentwurfs der Netzagentur.

Was will die Energiebranche wirklich?

Demnach sollen die Frequenzen „vorrangig für Anwendungen kritischer Infrastrukturen bereitgestellt“ werden. „Vorrangig“, das lässt ausdrücklich auch andere Nutzungen zu. Und tatsächlich könnte es den Stromunternehmen beim Aufbau des eigenen Netzes gar nicht allein darum gehen, ihre Versorgungsinfrastruktur schnell und zuverlässig zu steuern (und damit dem staatlichen Versorgungsauftrag zu sichern). 

„Vorrangig“ bietet Raum auch für kommerzielle Anwendungen, wie den Aufbau neuer, gewinnträchtiger, funkgestützter Geschäftsmodelles – etwa für Smart-Home- oder Sicherheitsdienste. Denn auch der drahtlose Anschluss von Alarmanlagen oder Angebote zur Gebäudeautomation – von der Heizungs- bis zur Rollladenüberwachung oder -steuerung aus der Ferne – ließen sich über die weit in die Gebäude dringenden 450-Megahertz-Frequenzen bestens realisieren. 


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Derlei eindeutig privatwirtschaftliches Geschäft allerdings ließe sich, anders als die Sicherung der kritischen Stromversorgung, nicht mehr mit dem hoheitlichen Auftrag vereinbaren, mit dem die BDBOS ein behördliches LTE-Netz betriebe. Eine Kooperation beider Kontrahenten im gemeinsamen Netz wäre damit ausgeschlossen. Und ist möglicherweise genau deshalb auch von der Stromwirtschaft nicht gewünscht.

Mobilfunker sind alarmiert

Das Szenario der privatwirtschaftlichen Mitnutzung eines eigenen Mobilfunknetzes hat inzwischen auch die Deutsche Telekom aufgeschreckt – bisher ja Co-Lizenznehmer neben dem Energiedienstleister Alliander für die 450-Megahertz-Frequenzen. Lange hat sich der Bonner Kommunikationskonzern in dem Disput weitgehend geräuschlos verhalten. Nun aber haben die Bonner öffentlich die Seiten gewechselt. 

Die Bedürfnisse der Sicherheitsbehörden würden in dem Entwurf der Netzagentur „in völlig unzureichendem Maße“ erwähnt, monieren die Hausjuristen der Telekom in ihrer Stellungnahme zum Vergabeentwurf der Netzagentur. Mehr noch, der Begriff „vorrangig“ sei nicht präzise genug definiert, und erlaube der Versorgungswirtschaft auch Anwendungen, die nicht dem Betrieb kritischer Infrastrukturen zuzurechnen sei. Konkret gehe es dabei um kommerzielle Dienste, die bisher schon heute mit „technischen Lösungen durch die Mobilfunkbetreiber angeboten“ werden. 

Die geplante Vergabe der Frequenzen an die Versorgungswirtschaft berge damit das Risiko von Wettbewerbsverzerrungen gegenüber kommerziellen Anwendungen aus dem Mobilfunkmarkt, für deren Betrieb die Netzbetreiber teure Frequenzen hätten ersteigern müssen. Ähnlich deutlich wird auch der Telekom-Konkurrent Vodafone. Durch die Pläne der Netzagentur seien bei drahtlosen Netzzugängen „nennenswerte Wettbewerbsverzerrungen […] insbesondere im Geschäft mit Industrie- und Dienstleistungsunternehmen, verbunden“.



Der heftige Widerspruch aus der Kommunikationsbranche habe, so heißt es aus der Szene, in Altmaiers – traditionell Telekom-freundlichen – Ministerium neues Nachdenken ausgelöst. Inzwischen, berichten Insider, sollen die Fachreferate daher nochmals Kompromisslinien ausloten. Womöglich laufe es doch noch auf eine gemeinsame Netzgesellschaft hinaus.

Noch aber ist weiter ungewiss, wie der Streit ausgeht. Nur eines ist schon klar: Wer auch immer das künftige 450-Megahertznetz aufbaut, mit dem angepeilten Start Anfang 2021 wird es nichts mehr. „Selbst wenn wir heute anfingen, die neue Technik aufzubauen“, sagt einer der beteiligten Netzexperten, „wären sie frühestens im ersten Halbjahr 2022 einsatzbereit.“ 

Schlechte Aussichten also bis auf Weiteres für die Energiewende – und die innere Sicherheit.

Mehr zum Thema: Die deutschen Netzbetreiber liefern sich einen Wettlauf um den Ausbau ihrer 5G-Mobilfunknetze. Doch ihre Strategie hat entscheidende Schwächen.

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