Seehofer vs. Altmaier Megahertz-Zoff: Muss die Politik zwischen Energiewende und Sicherheit entscheiden?

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Was will die Energiebranche wirklich?

Demnach sollen die Frequenzen „vorrangig für Anwendungen kritischer Infrastrukturen bereitgestellt“ werden. „Vorrangig“, das lässt ausdrücklich auch andere Nutzungen zu. Und tatsächlich könnte es den Stromunternehmen beim Aufbau des eigenen Netzes gar nicht allein darum gehen, ihre Versorgungsinfrastruktur schnell und zuverlässig zu steuern (und damit dem staatlichen Versorgungsauftrag zu sichern). 

„Vorrangig“ bietet Raum auch für kommerzielle Anwendungen, wie den Aufbau neuer, gewinnträchtiger, funkgestützter Geschäftsmodelles – etwa für Smart-Home- oder Sicherheitsdienste. Denn auch der drahtlose Anschluss von Alarmanlagen oder Angebote zur Gebäudeautomation – von der Heizungs- bis zur Rollladenüberwachung oder -steuerung aus der Ferne – ließen sich über die weit in die Gebäude dringenden 450-Megahertz-Frequenzen bestens realisieren. 


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Derlei eindeutig privatwirtschaftliches Geschäft allerdings ließe sich, anders als die Sicherung der kritischen Stromversorgung, nicht mehr mit dem hoheitlichen Auftrag vereinbaren, mit dem die BDBOS ein behördliches LTE-Netz betriebe. Eine Kooperation beider Kontrahenten im gemeinsamen Netz wäre damit ausgeschlossen. Und ist möglicherweise genau deshalb auch von der Stromwirtschaft nicht gewünscht.

Mobilfunker sind alarmiert

Das Szenario der privatwirtschaftlichen Mitnutzung eines eigenen Mobilfunknetzes hat inzwischen auch die Deutsche Telekom aufgeschreckt – bisher ja Co-Lizenznehmer neben dem Energiedienstleister Alliander für die 450-Megahertz-Frequenzen. Lange hat sich der Bonner Kommunikationskonzern in dem Disput weitgehend geräuschlos verhalten. Nun aber haben die Bonner öffentlich die Seiten gewechselt. 

Die Bedürfnisse der Sicherheitsbehörden würden in dem Entwurf der Netzagentur „in völlig unzureichendem Maße“ erwähnt, monieren die Hausjuristen der Telekom in ihrer Stellungnahme zum Vergabeentwurf der Netzagentur. Mehr noch, der Begriff „vorrangig“ sei nicht präzise genug definiert, und erlaube der Versorgungswirtschaft auch Anwendungen, die nicht dem Betrieb kritischer Infrastrukturen zuzurechnen sei. Konkret gehe es dabei um kommerzielle Dienste, die bisher schon heute mit „technischen Lösungen durch die Mobilfunkbetreiber angeboten“ werden. 

Die geplante Vergabe der Frequenzen an die Versorgungswirtschaft berge damit das Risiko von Wettbewerbsverzerrungen gegenüber kommerziellen Anwendungen aus dem Mobilfunkmarkt, für deren Betrieb die Netzbetreiber teure Frequenzen hätten ersteigern müssen. Ähnlich deutlich wird auch der Telekom-Konkurrent Vodafone. Durch die Pläne der Netzagentur seien bei drahtlosen Netzzugängen „nennenswerte Wettbewerbsverzerrungen […] insbesondere im Geschäft mit Industrie- und Dienstleistungsunternehmen, verbunden“.



Der heftige Widerspruch aus der Kommunikationsbranche habe, so heißt es aus der Szene, in Altmaiers – traditionell Telekom-freundlichen – Ministerium neues Nachdenken ausgelöst. Inzwischen, berichten Insider, sollen die Fachreferate daher nochmals Kompromisslinien ausloten. Womöglich laufe es doch noch auf eine gemeinsame Netzgesellschaft hinaus.

Noch aber ist weiter ungewiss, wie der Streit ausgeht. Nur eines ist schon klar: Wer auch immer das künftige 450-Megahertznetz aufbaut, mit dem angepeilten Start Anfang 2021 wird es nichts mehr. „Selbst wenn wir heute anfingen, die neue Technik aufzubauen“, sagt einer der beteiligten Netzexperten, „wären sie frühestens im ersten Halbjahr 2022 einsatzbereit.“ 

Schlechte Aussichten also bis auf Weiteres für die Energiewende – und die innere Sicherheit.

Mehr zum Thema: Die deutschen Netzbetreiber liefern sich einen Wettlauf um den Ausbau ihrer 5G-Mobilfunknetze. Doch ihre Strategie hat entscheidende Schwächen.

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