
Momos ist im Olymp eine Randfigur. Nur ein einziges Mal, in einer berühmten Fabel des Äsop, hat der Gott der Krittelei einen großen Auftritt: als Richter der Werke von Zeus, Athene und Prometheus. An allem hat Momos was auszusetzen, an Zeus’ Stier (keine Augen auf den Hörnern) an Athenes Haus (keine Räder für den Umzug) und natürlich auch an Prometheus’ Mensch: Warum bloß trägt der kein Fenster auf der Brust, damit man einen prüfenden Blick in seine Seele werfen, seinen Charakter erkennen und seine Gedanken lesen kann? Es ist bekannt, dass Zeus den nervenden Nörgler des Olymps verwies. Momos’ Idee aber, einmal in der Welt, ließ sich nicht bannen. Sein Fenstermensch machte Karriere und fasziniert bis heute – als Transparenzversprechen und Horrorvorstellung.
Vor allem Aufklärer und Romantiker versprechen sich viel vom Fenstermenschen: politische Durchsichtigkeit und wissenschaftlichen Fortschritt, einen unmittelbaren Blick aufs Denken und Fühlen, einen direkten Zugriff auf Vernunft und Leidenschaft, kurz: die Überwindung von Falschheit, Aberglaube, Vorurteil.
Serie "Wirtschaftswelten 2025"
Nichts wird bleiben, wie es ist. Das Internet verändert unsere Wirtschaft, unsere Gesellschaft, das ganze Leben. Datenanalyse ersetzt Bauchgefühl (Big Data), Brillen sprechen mit Autos (Internet der Dinge). Unternehmen müssen sich neu erfinden, Märkte bilden sich neu (informationsökonomische Revolution). Was bedeutet das für Arbeit, Mobilität, Geld, medizinische Versorgung? Und was wird aus uns? In der Kurztextgalerie finden Sie alle im Rahmen der Serie erschienenen Artikel.
Lange waren denkende Computer nur Science-Fiction. Nun aber beantworten die smarten Maschinen schon E-Mails, planen unseren Urlaub und arbeiten als Dolmetscher. Bald sind sie klüger als wir - und können jeden Job übernehmen. Hier geht es zum Artikel.
Viele Menschen fürchten, im Zuge der Digitalisierung von Maschinen ersetzt zu werden. Doch diese Angst trübt den Blick für die Vorteile neuer Technologien, schreibt
Maschinen lernen aus Daten, und zwar sehr schnell. Wie gut, dass wir ihnen etwas Entscheidendes voraushaben, meint Viktor Mayer-Schönberger.
Intelligente Roboter-Autos chauffieren uns schon in wenigen Jahren durch die Städte – und machen dabei auch den eigenen Wagen überflüssig, meint WirtschaftsWoche-Redakteur Jürgen Rees.
Künstliche Intelligenz zu verbieten, ist sinnlos. Doch wenn sie nicht eingeschränkt wird, wird sie uns nicht nur gewaltige Vorteile bringen - sondern auch gewaltige Nachteile, schreibt Gary Marcus.
Intelligente Maschinen werden die Arbeitswelt verändern. Es könnte zu Revolten kommen. Aber nicht durch die Maschinen - sondern durch jene Menschen, die von den Maschinen ersetzt wurden, warnt Patrick Ehlen.
Wir werden auch in Zukunft die Kontrolle über Maschinen behalten – falls wir uns klug und menschlich verhalten. Das ist möglich. Aber keinesfalls sicher, schreibt David Gelernter.
Ist das Ende 40.000-jähriger, durch den Homo sapiens sapiens dominierter Geschichte in Sicht? Selbstlernende künstliche neuronale Netze erledigen manche Aufgabe schon heute besser als Menschen.
Wichtige ethische Fragen sind bislang nicht nur unbeantwortet. Sie sind nicht einmal gestellt, mahnt Bernhard Rohleder.
Die Maschinen nähern sich einem Punkt, an dem es kein Zurück mehr gibt. Als speicherprogrammierte Rechner die ersten Befehle ausführen konnten, begannen die Maschinen die Kontrolle zu übernehmen, schreibt George Dyson.
Roboter könnten uns eines Tages als Arbeitskollegen oder Gefährten unterstützen, glaubt der Wissenschaftler Guy Hoffman. Aber wie viel Kontrolle wollen wir den Maschinen überlassen?
Globale Vernetzung und immer billigere Waffen machen Kriege erschwinglich für alle. Wie sich Kriegsführung und -abwehr verändern, beschreibt das fiktive Protokoll einer Attacke aus dem Jahr 2025.
Maschinen entscheiden, Werkstücke erteilen Befehle: Die digitale Fabrik verspricht die Annäherung an das Extrem einer Produktion ohne den Menschen. Die deutschen Unternehmen müssen aufpassen, dass die USA nicht vor ihnen in der Zukunft ankommen. Lesen Sie hier wie es um die Industrie 4.0 in Deutschland steht.
Utopie einer harmonisch-moralischen Gesellschaft?
Der Fenstermensch versinnbildlicht die Utopie einer harmonisch-moralischen Gesellschaft, in der sich Individuen natürlich-unverstellt begegnen (Jean-Jacques Rousseau), introspektiv ihr Gewissen befragen (Immanuel Kant), sich geheimnisfrei die „Wahrheit“ zumuten (Jean-Paul Sartre). Und natürlich ist er die perfekte Metapher eines herrschaftsfreien Internets, in dem Information, Erkenntnis, Wissen – und der Glaube an eine bessere Weltordnung mit zerstreuter institutioneller Macht – zirkulieren.
Andererseits hat Momos’ Fenstermensch auch Observations-, Kontroll- und Allmachtsfantasien geweckt. Sie reichen von Jeremy Benthams panoptischen Gefängnissen und Armenhäusern im 19. Jahrhundert über die Anwendung von „Psychoskopen“ und „Gehirnspiegeln“ in fantastischen Romanen bis hin zu den modernen Big-Data-Visionen von Geheimdiensten und Datenunternehmen, die die Seelenlagen und Kauflaunen von Bürgern und Kunden auslesen. Dabei ist die Dechiffrierung der Subjekte, die vom Robespierre der französischen Revolution bis hin zu den Offizieren der Staatssicherheit in der DDR in der Hand von identifizierbaren (Staats-)Personen lag, zuletzt vor allem auf anonyme Maschinen in der Hand verschlossener Privatunternehmen übergegangen.
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Beute des Kapitalismus
Mit welchen Folgen? Wird nach dem Arbeits-Ich auch das Freizeit-Ich zur Beute des Kapitalismus? Nimmt die Totalität des Menschen warenförmigen Charakter an? Droht sich das transparente, subjekthafte Ich der Aufklärung – Ironie der Geschichte – in der objektiven Transparenz seiner Daten aufzulösen? Eine Antwort in drei Thesen:
Dass wir nicht Herr im eigenen Hause sind – geschenkt, darüber hat uns schon Sigmund Freud unterrichtet. Der entscheidende Unterschied besteht in einem veränderten Selbstverhältnis. Während ein entblößtes Unterbewusstsein uns neue Zugänge zu dem eröffnet, was wir für unser Ich halten, treffen wir uns im digitalen Echoraum als entäußerlichte Person an und werden auch als solche behandelt. Dadurch löst sich die Grenze zwischen Subjekt und Objekt auf.





Algorithmen oder selbstbestimmtes Leben?
Nicht mehr wir selbst entwerfen unsere Biografie und bestimmen unsere Entscheidungen, sondern Algorithmen sind es, die uns gemäß unserer Vorlieben durch das lotsen, was wir romantischerweise (noch) für unser selbstbestimmtes Leben halten. Der Grund dafür ist denkbar einfach: In der Post-Wissensgesellschaft sind Informationen für den Menschen kein ausbeutbarer Rohstoff mehr, sondern der Mensch selbst ist die Information (und damit der ausbeutbare Rohstoff). Niemand ist im digitalen Kapitalismus nur Datenkonsument; wir alle sind immer auch Datenproduzenten.
Intelligente Maschinen sammeln unaufhörlich Primärdaten (E-Mails, Skype-Gespräche, Bloginhalte et cetera) ein und werten laufend unsere Spuren aus (zum Beispiel Bewegungsprofile in vernetzten Autos, Sensoren in Wohnungen, Ortungsfunktionen in Smartphone-Applikationen). Sie fusionieren die Informationen zu Datenaggregaten, verarbeiten sie zu Annahmen und Prognosen und degradieren uns damit zu berechenbaren Größen – zu Objekten von Maschinen: Daten fressen Ich auf.