Ein Getränkehalter kostet Thilo Knoop und seine Kollegen mehr als 100 Euro. Der ist weder blattgoldbezogen noch aus Titan: Er besitzt nur die „Lufttauglichkeit“, wie sie das bei der Lufthansa Technik in Hamburg nennen. Flugzeugersatzteile sind teuer, weil sie extrem aufwendige Tests und Dokumentationsverfahren durchlaufen. Die gleichen Lager, Manschetten und Schrauben kosten schnell zehnmal so viel, als wenn sie in einem Auto oder Haus verbaut werden. Die Komponenten werden deshalb besonders oft gefälscht.
Seit eineinhalb Jahren nun experimentieren Knoop und seine Kollegen mit der Blockchain, die bisher vor allem als Technologie hinter der Kryptowährung Bitcoin bekannt ist. Sie soll Knoop und seinen Kollegen helfen, Originale und Fälschungen schnell und unmissverständlich zu identifizieren. „Die Blockchain ist gerade dabei, die Finanzbranche zu verlassen und sich in fast allen anderen Branchen auszubreiten“, sagt Konstantin Graf, Experte für neue digitale Konzepte bei der Beratungsgesellschaft Altran. Immer mehr Unternehmen suchen seinen Rat: Modelabels, TV-Sender, Logistiker, Energieversorger. Fast jeder Dax-Konzern hat inzwischen ein Projekt zur Blockchain; in Stellenanzeigen für IT-Experten taucht sie immer öfter im Anforderungsprofil auf.
Eine Endloskette für die Ewigkeit
Wo die Blockchain genutzt wird
Die Bitnation ist wohl die verrückteste Idee für die Anwendung der Blockchain. Die Erfinder wollen eine Weltnation gründen, die unabhängig von Staaten und Regierungen ist. Tatsächlich aber arbeiten die Macher auch daran, Staatszugehörigkeiten in der Blockchain festzuschreiben. Estland etwa nutzt diesen digitalen Notarservice der Bitnation-Macher bereits.
Ist die Kühlkette beim Transport wohlmöglich einmal unterbrochen worden? Auf welchem Weg sind die Güter transportiert worden? Sind die zugelassenen Fahrzeiten eingehalten worden? – In der Logistik gibt es zahlreiche Daten, die bislang nicht zentral gesichert werden. Das Unternehmen Kouvola Innovation will künftig alle relevanten Daten in der Blockchain speichern.
Auch der Hafen von Rotterdam arbeitet bereits an einer Blockchain-Lösung für Container. Damit sollen vertragliche und logistische Informationen gespeichert und Frachtinhalte rund um die Welt getrackt werden. Etwa das teure Ausstellen von Frachtpapieren könnte damit überflüssig werden.
Wo kommt mein Kaffee her und wer hat ihn angebaut? Fragen wie diese stellen die Konsumenten von heute immer häufiger. Mithilfe der Blockchain könnten Fair Trade-Siegel irgendwann überflüssig sein, da in der Blockchain festgeschrieben wäre, wer den Kaffee wann wo abgebaut hat und wer ihn transportiert hat. Dies könnte die Produktionsbedingungen von Lebensmitteln aber auch von Textilien transparenter machen.
Die Regierungsbehörde in Schweden nutzt die Blockchain, um Eigentumsverhältnisse etwa von Ländereien und Wäldern festzuschreiben. Besonders Potenzial sehen die Macher des im vergangenen Jahr gestarteten Projektes, um Bürger etwa vor Willkür von Diktatoren und möglichen Enteignungen zu schützen.
Die Banken waren die Ersten, die sich mit der Blockchain-Technologie auseinandergesetzt haben. Führte der Bitcoin ihnen vor Augen, wie obsolet ihr Geschäftsmodell in Zukunft sein könnte. Die Geldtransfer-App Abra etwa bot den gleichen Service an wie Western Union– bloß deutlich günstiger.
Für Wohnungsbesichtigungen oder die Vermietung über Plattformen wie Airbnb ideal: Das Start-up Slock.it entwickelt intelligente Schlösser, die sich mit Hilfe von Smart Contracts nur von denjenigen öffnen lassen, die zuvor dazu autorisiert wurden. Zum Beispiel weil sie ihre Unterkunft bereits mit der Kreditkarte bezahlt haben. Die Blockchain eignet sich sehr gut, um diverse Smart Home-Geräte sicher miteinander zu vernetzen.
Die Vereinten Nationen (UN) nutzen die Ethereum-Blockchain, um in jordanischen Flüchtlingscamps Gutscheine zu verteilen, die gegen Hilfsgüter wie Lebensmittel oder Decken eingetauscht werden können. Die 10.000 Testteilnehmer identifizieren sich über einen Augenscanner, so kann sichergestellt werden, dass niemand mehrfach Hilfsgüter erhält. Ziel ist es, irgendwann überall dort zum Einsatz zu kommen, wo die UN Ernährungshilfe leistet.
Blockchains sind Datenbanken, in denen Datensätze über Transaktionen festgehalten werden. Zum Beispiel: Käufe, Verkäufe oder Lieferungen. Diese Datenkette liegt aber nicht – wie herkömmliche Datenbanken – auf einem großen Server; sie gehört auch niemandem – im Falle der Flugzeugteile weder dem Zulieferer noch der Lufthansa. Stattdessen sind die Daten dezentral auf den Rechnern aller abgelegt: Hersteller, Kunden, Spediteure, Reparaturbetriebe. Alle Teilnehmer der Blockchain haben stets dieselbe aktuelle Kopie. Und jeder kann die Kette jederzeit bis zu ihrem Anfang zurückverfolgen. Er muss nicht, wie bei einer traditionellen Datenbank, bei deren Besitzer nachfragen, um die Daten einsehen zu können.
„So schafft die Blockchain maximale Transparenz“, sagt Jamie Skella, „sie hat aber noch weit mehr Vorteile.“ Der Australier ist einer der wenigen vollberuflichen Blockchain-Berater; die Technologie ist noch neu. Skella erklärt sie seinen Kunden mit einem einfachen Bild: „John gibt Sue Geld. Tausende Menschen sehen zu. Sie bestätigen, dass John Sue das Geld gegeben hat. Sobald die Mehrheit der Mitglieder bestätigt hat, wird die Transaktion in einem Datenblock abgelegt und ist dann nicht mehr veränderbar; sie liegt so lange in der Blockchain, wie das Internet existiert.“ Würde einer der beiden später etwas anderes behaupten, wüsste die Kette, dass er lügt.
Was die Blockchain für eine immer digitalere Wirtschaft bedeutet, versteht, wer sich die Funktionsweise des Internets klarmacht: Bislang, erklärt Rik Kirkland, Partner bei der Unternehmensberatung McKinsey, nutzten wir das Netz immer nur in eine Richtung: Wir stellen etwas online. Sobald aber etwas hinausgeschickt ist in die Weiten des Netzes, können wir es nicht mehr kontrollieren. „Wenn es um digitale Dinge geht, die monetären Wert haben, etwa Geld, Aktien, Patente, technische Zeichnungen, Landrechte oder Musiklizenzen, ist es eine ganz miserable Idee, diese einfach ins Netz zu senden, wo jeder sie nutzen und vervielfältigen kann, ohne dass wir es merken“, sagt Kirkland. „Das ist der große Webfehler des Internets, den die Blockchain beheben kann.“