Die Spiele heißen Jelly Splash, Diamand Dash und Pearl’s Peril, und sie haben Jens Begemann zu einem der erfolgreichsten App-Unternehmer der Welt gemacht. Millionen Menschen vertreiben sich mit den Sortier- und Puzzlespielen seines Berliner Start-ups Wooga die Zeit. „Wir hatten in den vergangenen sechs Jahren fünf Spiele, die jeweils mindestens zweistellige Millionenbeträge an Umsatz eingespielt haben“, sagt der 39-Jährige. Dieser Serienerfolg ist nahezu einmalig im App-Business – hat aber seinen Preis: Das heiß umkämpfte Geschäft mit den Handyspielen, die laut US-Beratung App Annie 85 Prozent des weltweiten Umsatzes mit Apps ausmachen, ist teuer geworden.
Besonders das Marketing verschlingt mittlerweile hohe Summen. Die Ausgaben, um einen Nutzer zu gewinnen, sind Begemann zufolge in den vergangenen zwei Jahren im Schnitt um 50 Prozent gestiegen, auf bis zu zehn Euro pro Download. Der Wooga-Mann hat den Vorteil eines großen Kundenstamms, kann in älteren Spielen für neue werben. Wer seine Kunden erst noch gewinnen muss, ist klar im Nachteil: „Heute ist es sehr schwer für neue Firmen, in den Markt zu kommen“, sagt er.
Es ist erst acht Jahre her, dass Apple seinen App Store startete, mit 552 Anwendungen, über 400 davon kostenpflichtig. Doch schon steht das Geschäft mit den kleinen Mobilprogrammen vor einem gewaltigen Umbruch: Übersättigte und schnell gelangweilte Kunden, rasch kopierte und verramschte Produkte sowie knallharter Wettbewerb mit übermächtigen Branchengrößen – all das macht den klassischen, kleinen Entwicklern das Leben schwer. Immerhin soll es weltweit 450.000 von ihnen geben. Doch 75 Prozent des Branchenumsatzes fahren laut Experten nur etwa 100 Unternehmen ein. Und alle müssen auch noch für das Duopol Apple und Google bis zu 30 Prozent Provision abzwacken. Beide Konzerne kontrollieren mit ihren jeweiligen Betriebssystemen iOS und Android den Markt.
Apps: Strategien für mehr Umsatz
Intensives Marketing, um eine möglichst hohe Verbreitung von Apps auf den Smartphones zu erreichen.
Mehr kostenpflichtige Zusatzangebote in einer App statt in vielen Spezial-Apps.
Die Verweildauer der Nutzer steigern, dadurch höhere Werbeeinnahmen.
Die Welt der mobilen Anwendungen ist ein Milliardengeschäft. Die auf Apps basierenden Weltunternehmen wie der Fahrdienst Uber, der Kurznachrichtendienst WhatsApp, für den Facebook fast 20 Milliarden Dollar bezahlte, oder der Flirtdienst Tinder, angeblich drei Milliarden Dollar wert, zeugen davon. Und diese Großen der Branche werden nun immer größer: Gerade hat der chinesische Internetgigant Tencent für 8,6 Milliarden Dollar die Mehrheit an der finnischen Supercell übernommen, Anbieter des Kultspiels Clash of Clans. Bereits im November hatte der Spielekonzern Activision für 5,9 Milliarden Dollar King Digital gekauft, den schwedisch-britischen Schöpfer des Bestsellers Candy Crush Saga. Die etablierten Anbieter kaufen zu, um ihre Marketinggelder effektiver einsetzen zu können und um in einem nutzermäßig gesehen stagnierenden Markt noch zu wachsen: Tatsächlich sind Symptome einer Sättigung zu beobachten. So sanken erstmals die Downloads der beliebtesten Apps wie WhatsApp oder dem Facebook Messenger.
Auf und App
Für manche, wie Microsoft-Chef Satya Nadella, ist bereits „das App-Modell am Ende“. Er will das lästige Suchen nach passenden Apps, das ständige Updaten, das umständliche Hin- und Herwechseln zwischen den Anwendungen durch intelligente Softwareagenten, die Chatbots, ersetzen.
Die App-Ökonomie gleich ganz zu beerdigen ist aber verfrüht. Denn aus den bereits installierten Anwendungen lässt sich noch einiges herausholen: durch kostenpflichtige Zusatzdienste etwa und geschickte Werbung. Laut App Annie sollen 2016 weltweit insgesamt 51 Milliarden Dollar mit Apps umgesetzt werden, knapp ein Viertel mehr als im Vorjahr. Und bis 2020 soll sogar eine Verdoppelung drin sein.
Der Goldrausch der Anfangsjahre aber ist vorbei – als unabhängige Entwickler wie Joel Comm aus dem Stand mit der simplen Furz-App iFart für 99 Cent bis zu 10.000 Dollar am Tag umsetzten. Heute muss das Gros der Entwickler darum kämpfen, im Meer der Anwendungen überhaupt wahrgenommen zu werden.
Asien boomt noch
Apples App Store hat rund 1,5 Millionen Titel, Wettbewerber Google etwa 1,8 Millionen. Der Markt wird daher von Konzernen dominiert, die entweder Hunderte Millionen Dollar für Werbung und Mitgliedergewinnung ausgeben können, wie Spotify, Marktführer beim Musikstreaming. Oder aber über einen gewachsenen Kundenstamm verfügen wie der Pay-TV-Kanal HBO von Time Warner, das Internetradio Pandora, Google oder Spielegrößen wie Activision oder Electronic Arts.
Keiner reicht aber an die Ausnahmestellung des sozialen Netzwerks Facebook heran. Dessen Chef Mark Zuckerberg hat seine 1,6 Milliarden Nutzer so geschickt vom Desktop auf Smartphones und Tablets gelotst, dass er mit seinen Apps für Facebook, WhatsApp und Messenger die ersten drei Plätze der Weltrangliste der populärsten Angebote belegt.
Was auch daran liegt, dass Facebooks Apps kostenlos sind. So wie beim Gros der Anbieter. Heute hat sich das Freemium-Modell durchgesetzt, bei dem der Kunde einen Service – etwa Wetterberichte – gratis bekommt und dann für weitere Funktionen oder Nutzung – wie ein detailliertes Regenradar – Geld berappen muss. Doch auch beim Facebook-App-Reigen ist das ganz große Wachstum vorbei. In den Kernmärkten haben die meisten Nutzer die Apps aus dem Zuckerberg-Imperium bereits installiert.
Die beliebtesten Instant Messenger im Überblick
...mit 1 Milliarde User.
...mit 900 Millionen User.
...mit 853 Millionen User.
...mit 697 Millionen User.
In Asien dagegen steigen die Download-Zahlen noch, dort ist der Handymarkt noch nicht gesättigt. China hat nach Schätzungen von App-Annie-Analystin Danielle Levitas im ersten Halbjahr erstmals die USA beim Umsatz mit Apps überholt. Doch ausgerechnet dort blockiert die Regierung Facebook.
Dafür hat das Netzwerk im Mutterland USA den großen Vorteil, dass seine Apps auch tatsächlich genutzt werden. Die Kunden für neue Anwendungen zu begeistern ist dagegen schwierig. Laut US-Marktforschung Comscore laden inzwischen 70 Prozent von ihnen erschreckend wenige Apps pro Monat herunter: nämlich null. Auch in Deutschland soll im zweiten Quartal nur ein Drittel der Smartphone-Besitzer überhaupt eine neue Anwendung installiert haben.
Die meisten US-Verbraucher haben drei Lieblingsprogramme, mit denen sie 80 Prozent ihrer Zeit verbringen. Ein Grund: Viele empfinden das ständige Updaten der Apps als lästig. Das will Google daher abschaffen. Der Konzern arbeitet an Instant Apps, kleinen Programmen, die sich über den Browser wie Webseiten ansteuern lassen. Laut Android-Manager Dave Burke aber „Komfort und Funktionen einer App“ bieten. Statt den Dienst auf dem Gerät installieren zu müssen, werden im Hintergrund nur die nötigen Bestandteile für gewünschte Funktionen – das Abrufen einer Restaurantkritik oder ein Bezahlvorgang – geladen. Im Grunde ist es eine Rückkehr zum mobilen Browser. Netter Nebeneffekt: Infos liegen nicht mehr abgeschottet in Apps, sondern frei zugänglich im Web. Damit kann Google sie vermarkten – immer noch wichtigster Quell seiner Milliardenprofite.
Butler sind noch zu teuer
Facebook und Microsoft haben mit dem Abschotten kein Problem. Facebook besitzt kein eigenes mobiles Betriebssystem, das von Microsoft nutzt kaum jemand. Beide wollen daher möglichst viele Funktionen in Super-Apps zusammenfassen, in denen Chatbots mittels künstlicher Intelligenz Jobs für die Nutzer erledigen. Etwa Blumen ordern oder Nachrichten zusammentragen. So sollen sie etwa Facebooks Messenger-App nicht mehr verlassen müssen. Auch externe Entwickler können ihre Programme dort einklinken.
Wie klug sind die Sprachassistenten im Vergleich?
Quiz für Cybersekretäre: Stone Temple Consulting hat untersucht, wie viele Wissensfragen die Assistenzdienste Siri, Cortana und Google Now ausführlich und korrekt beantworten.
Quelle: Stone Temple Consulting; insgesamt 3086 Fragen, Stand 2014
Ausführlich beantwortet: 58 Prozent
Korrekt beantwortet: 51 Prozent
Ausführlich beantwortet: 29 Prozent
Korrekt beantwortet: 16 Prozent
Ausführlich beantwortet: 20 Prozent
Korrekt beantwortet: 8 Prozent
Ob das Konzept der mit Chatbots aufgepeppten Universal-Apps funktioniert, steht noch in den Sternen. Die ersten Versuche sind alles andere als Erfolg versprechend, bei komplexen Anfragen müssen immer noch Menschen einspringen. Was auch der deutsche Gründer Navid Hadzaad erfahren musste. Der hatte schon länger erkannt, dass der Großteil der Apps ungenutzt bleibt. „Im Gehirn ist kein Platz für 100 Anwendungen“, sagt der gebürtige Berliner. Mit GoButler entwickelte er im Februar 2015 eine Alternative: Per SMS konnten Nutzer Aufträge schicken, von der Hotelbuchung über die Pizzabestellung bis zu ausgefallenen Wünschen.
Doch das Geschäftsmodell ging nicht auf: GoButler wollte an der Vermittlung der Dienstleistungen mitverdienen, doch die Provisionen deckten nicht einmal im Ansatz die hohen Personalkosten. Die meisten Anfragen waren zu komplex, um sie automatisiert zu erledigen. Hadzaad und Wettbewerber wie Sixtyoneminutes oder James, bitte stoppten ihre Concierge-Dienste.
An die Grundidee glaubt Hadzaad weiter: „Wir werden in zehn Jahren keine Apps für Geschäfte und Dienstleistungen mehr nutzen.“ Er entwickelt nun unter dem Namen Angel.ai eine Software, um für Dritte Aufträge der Nutzer so zu übersetzen, dass sie sich doch automatisiert bearbeiten lassen. Vor allem für Flug- und Hotelbuchungen funktioniere das schon gut. Vorteil für die Nutzer: Sie müssen keine Formulare mehr ausfüllen, sondern können einfach drauflosreden.
US-Konkurrent Magic lässt die Anfragen dagegen weiter von Menschen beantworten – die von den Philippinen aus arbeiten. In Asien entwickelt sich die App-Ökonomie eben immer noch am stürmischsten: was die Umsätze und was neue Dienste angeht.