WirtschaftsWoche: Herr Markowetz, zusammen mit einem Team aus Computerwissenschaftlern und Psychologen erforschen Sie unsere Smartphone-Nutzung. Über die App „Menthal“ können sie sehen, wie oft und wofür jemand sein Handy nutzt. Was haben Sie in Erfahrung gebracht?
Alexander Markowetz: Bis dato haben etwa 200.000 Leute die App einmal installiert gehabt. Aktiv genutzt wird sie etwa von 50.000 Menschen. Diese Resonanz ist unglaublich. Das heißt, unsere erste Erkenntnis ist, dass sich in der Gesellschaft offenbar ein gewaltiger Redebedarf aufgestaut hat, der aus einem Unwohlsein im Umgang mit Smartphones resultiert. Jetzt sind wir hergegangen und haben uns aus diesem Pool, einmal 5.000 App-Nutzer herausgegriffen, um uns anzusehen, wie oft und wofür die ihr Smartphone nutzen. Das sind vorläufige Ergebnisse.
Was ist dabei herausgekommen?
Das Erste, was wir sehen: Die Teilnehmer telefonieren überhaupt nicht. Die Telefonfunktion wird täglich im Schnitt nicht mal zehn Minuten genutzt. Da wird einem sofort klar, warum die Mobilfunkanbieter großzügig Flatrates anbieten können. Denn diesen Service will ja gar keiner. Wir interagieren aber massiv mit unseren Smartphones. Etwa drei Stunden pro Tag. Interagieren heißt: Screen anschalten und dann noch irgendetwas klicken.
Was klicken wir an?
35 Minuten gehen für WhatsApp drauf, 15 Minuten für Facebook, 3-4 Minuten für Instagram. Wenn ich das zusammenzähle, komme ich alleine für Social Media auf mehr als eine Stunde.
Zur Person
Alexander Markowetz ist Juniorprofessor für Informatik an der Universität Bonn. Er studierte Informatik in Marburg, Riverside und New York und promovierte an der Hong Kong University of Science and Technology. Markowetz arbeitet an dem Transfer von Big Data Technologien in die Medizin und Psychologie. Im Rahmen des Menthal-Projektes erforscht er das Smartphone-Verhalten von 200.000 Studien-Teilnehmern.
Was machen wir in den anderen beiden Stunden?
Spiele wie Candy-Crush machen etwa 25 Minuten pro Tag aus. Ein weiterer Teil geht für Youtube-Videos und Nachrichten-Apps drauf. Und dann gibt es noch eine Kategorie, in der alles andere zusammengefasst wird. Da steckt im Grunde alles drin, womit wir im Nachhinein meinen, unseren Handykonsum rechtfertigen zu können. Also die App der Deutschen Bahn, Parkplatz-Apps, E-Mails oder Online-Banking.
Was ist so schlimm daran, täglich drei Stunden mit dem Smartphone zu verdaddeln?
Prinzipiell nichts. Ich bin kein Kulturkritiker. Wie wir unsere Zeit verschwenden, bleibt jedem selbst überlassen. Aber um die Dauer der Nutzung geht es mir gar nicht. Nachdenklich stimmt mich etwas anderes.
Und zwar?
Wirklich interessant ist nicht die Summe der Zeit, die wir für das Smartphone aufwenden, sondern wie oft wir mit dem Handy interagieren. Und da zeigt sich: Im Laufe eines Tages entsperren wir das Telefon 55 Mal pro Tag. Umso jünger die Leute sind, umso häufiger entsperren sie. Etwa zwölf Prozent der Leute tun dies sogar 96-mal pro Tag. Alle zehn Minuten tippen diese Menschen auf ihr Handy. Das ist krass.
Können wir uns überhaupt noch konzentrieren, wenn wir alle zehn Minuten aufs Handy gucken?
Nein. Ich glaube diese ständigen Unterbrechungen lähmen uns völlig. Die Flow-Theorie des Glücksforschers Mihály Csíkszentmihályi besagt, man braucht etwa 15 Minuten, um sich in einen Zustand zu versetzen, in dem man glücklich ist und optimal arbeiten kann. Das ist ein Zustand, bei dem man weder unterfordert noch überlastet ist, sondern sich genau im richtigen Bereich bewegt, im Flow. Wenn wir alle paar Minuten aufs Handy starren, kommen wir aber überhaupt nie in so einen Zustand. Die Folge ist: Wir sitzen zwar vor unserer Arbeit, bewegen aber effektiv nichts, weil wir da noch mal kurz unsere E-Mails checken oder dort nochmal den neuesten Facebook-Eintrag lesen.
Das Smartphone hält uns also von der Arbeit ab?
Ja, wenn wir es so exzessiv nutzen definitiv.
"Das Handy ist wie ein Glücksspielautomat"
Warum unterbrechen wir uns dann ständig?
Das Handy lässt sich am ehesten mit einem Glücksspielautomaten vergleichen. Wenn ich auf eine App klicke, kommt manchmal etwas Tolles, viel häufiger jedoch nicht. Aber weil vielleicht in der nächsten Sekunde wieder etwas Spektakuläres passieren könnte, klicken wir wieder und wieder. Nehmen Sie zum Beispiel die Dating-App Tinder. Da soll ich auf der Basis des Profilfotos entscheiden, ob ich interessiert wäre, eine Person näher kennenzulernen. Finde ich die Person hübsch und sympathisch, wische ich das Foto nach rechts. Finde ich die Person unattraktiv, schiebe ich das Foto nach links. Das ist der klassische Glücksspielautomat. Unterschwellig läuft da immer die Botschaft: Aber die nächste könnte doch die Traumfrau oder der Traummann sein. Und man klickt und wischt und schiebt. Dieser Überraschungsmoment, nicht zu wissen, was gleich kommt, löst die Ausschüttung von Dopamin bei uns aus. Dopamin ist zwar kein Glückshormon, aber es motiviert uns und verspricht uns somit Glück. Das ist der zentrale Mechanismus in jedem Glücksspielautomaten und der kleinste gemeinsame Nenner von 99 Prozent der Interaktionen mit unserem Telefon.
Macht uns das Smartphone also nicht smarter, sondern dümmer?
Wenn jemand 90-mal am Tag sein Telefon entsperrt und herumklickt, sind das sicher keine 90 rationalen Entscheidungen. Das sind reflexartige Handlungen. Ich würde nicht sagen, dass uns Smartphones dümmer machen, aber eine übermäßige Handy-Benutzung reduziert sicher unsere intellektuelle Produktivität. Auch Langzeitfolgen sind nicht auszuschließen. Wir begeben uns in orthopädisch absurde Haltungen, und zerstreuen uns maximal schnell. Das ist eine Art kollektiven Anti-Yogas. So ähnlich wie im richtigen Yoga, stellen sich die Effekte erst im Laufe der Jahre ein.
Sie übertreiben. In Zeiten als es noch keine Smartphones gab, haben wir doch auch ständig nach Zerstreuung gesucht.
Stimmt. Nur waren diese Methoden nicht halb so effektiv, und im Allgemeinen nicht portabel. Ich kann ja nur solange Fernsehen solange ich auf der Couch sitze. Das ist mit dem Handy anders. Immer mehr Menschen erkennen nun, was sie vernachlässigen. Bei Scheidungen wird das Handy mittlerweile häufiger als Grund genannt als Untreue. Laut Umfragen ist inzwischen jeder vierte Deutsche eifersüchtiger auf das Handy des Partners als auf einen möglichen Nebenbuhler. Eltern machen sich Schuldgefühle, weil sie ihrem Smartphone teils mehr Aufmerksamkeit widmen als ihren Kindern. Und hey, spätestens ab diesem Punkt ist die Sache nicht mehr lustig.
Was für Auswirkungen hat der exzessive Smartphone-Konsum auf die Arbeitswelt?
Das hat dramatische Auswirkungen auf die Arbeitswelt. Wir leben in einer Wissensgesellschaft. Wir verdienen unser Geld mit unserem Kopf, nicht mit unseren Armen und Beinen. Werte werden mit unserer geistigen Ressource geschaffen. Das heißt: Es werden sich jene Unternehmen durchsetzen, die am cleversten mit den geistigen Ressourcen ihrer Mitarbeiter umgehen.
Was heißt das konkret für Firmen. Werden wir künftig alle unsere Smartphones am Eingang abgeben müssen?
Nein, wir reden ja hier über Wissensarbeiter. Das sind Leute, die ihr Telefon auch zum Arbeiten benötigen. Auch sind wir Deutschen etwas zu schnell dabei, neue Gesetze und Regeln zu erlassen. Volkswagen schaltet seit einiger Zeit nach Arbeitsende die E-Mail-Server ab. Solche Restriktionen sind fehlgeleitet, Flexibilität hat ja auch etwas Positives. Andere heben sämtliche Regelungen auf, man kann arbeiten wann man will, und wo. Da landen wir wieder im Kommunikationsdesaster. Beide Ansätze wollen aufrichtig das Beste für ihre Angestellten, laufen aber in völlig unterschiedliche Richtungen. Dies zeigt zunächst die Hilflosigkeit der Unternehmen. Die wahren Herausforderungen der Digitalisierung sind in Brisanz, Umfang und Komplexität in den Personalabteilungen noch nicht angekommen. Die sollten mal ganz dringend mit uns reden.
"Das Handy sollte mich glücklich machen"
Was wäre Ihr Lösungsansatz?
Zunächst muss man mal erheben, wie sich der digitale Arbeitsalltag tatsächlich gestaltet. Wie viele Mails schreibt man? Mit wie vielen Menschen kommuniziert man? Wie oft wird man unterbrochen? Wie viel Multitasking mutet man sich zu? Das ist bislang alles nur anekdotisch belegt, nicht wissenschaftlich. Beispiel: Jeder „weiß“ von der Vermischung zwischen Berufs- und Arbeitsleben. VW dreht dann die Mail Server aus, um Burnouts vorzubeugen. Aber unter Umständen ziehen sich die Unternehmen diesen Schuh zu früh an. Überspitzt gesagt: Es kann sein, dass VW seinen Betrieb einstellt und die Angestellten trotzdem ein Burnout bekommen. Das könnte beispielweise daran liegen, dass die Angestellten ihre kleinen Erholungspausen im Lauf des Tages mit Handygebrauch zukleistern. Zunächst müssen wird das Problem also überhaupt erst erfassen und die Interaktionen mit dem Handy, Laptop und Telefon messen. Diese Studien ermöglichen dann die Entwicklung einer nachhaltige Kommunikationskultur und persönlicher Informations-Diäten. Und, sie bilden die Grundlage für die nächste Generation an Smartphones; solche die man auch mal liegen lassen kann.
Welches Interesse sollten die Smartphone-Hersteller daran haben, dass wir ihre Geräte seltener benutzen?
Handy-Hersteller sind nette Menschen. Sie wollen uns alle zwölf Monate ein neues Gerät für 750 Euro verkaufen. Wie viel Zeit wir mit diesen Dingern dann verbringen, ist ihnen dann erst einmal egal. Apple und Co. haben nichts davon, dass wir uns mit deren Smartphones kirre machen. Im Gegenteil. Sie möchten, dass wir gute Erfahrungen machen und auch im kommenden Jahr wieder Geld ausgeben. Aktuell machen wir aber viele schlechte Erfahrungen. Wir fühlen uns überwältigt, handeln irrational, tun Dinge, die uns abträglich sind und unglücklich machen. Aus Konsumentensicht sage ich: Wenn ich als Kunde schlechte Erfahrungen mit einem Gerät mache, dann ist das Gerät schuld. Das Handy sollte mich glücklich machen. Die nächste Handygeneration muss für kognitive Entlastung sorgen. Das wird ein zentrales Feature. Handyhersteller werden sich dann rühmen die entspannendsten Geräte herzustellen, für die erfolgreichsten Manager und die innovativsten Kreativen.
Wie sieht so ein kognitiv entlastendes Handy-Feature aus?
Wenn sie nach Las Vegas zu den echten Glücksspielautomaten fahren, dann werden sie sehen: Dort gibt es weder Fenster noch Uhren an der Wand. Der Verlust des Zeitgefühls ist dort aktiv gewollt. Ein Ansatz wäre also, dass mir das Handy alle fünf Minuten sagt, dass schon wieder fünf Minuten vergangen sind. Noch besser wäre, den Leuten schon beim Entsperren des Handys vor Augen zu führen, wann sie das letzte Mal auf ihr Handy geguckt haben. Dadurch würden wir uns unseren übermäßigen Konsum selbst vor Augen führen. Denn aus Befragungen wissen wir, dass wir unseren Smartphone-Konsum völlig falsch einschätzen. Wir überschätzen die Nutzungsdauer, unterschätzen aber massiv die Häufigkeit der Nutzung. Das sind natürlich zunächst naive Vorschläge. Erfolgreiche Lösungen werden sich deutlich komplexer darstellen. Daran zerbrechen wir uns aktuell den Kopf.
Wie sieht die optimale Smartphone-Nutzung in Zukunft aus?
Wir müssen es schaffen, Smartphones überlegt einzusetzen. Also die Dinger nur dann zu nutzen, wenn es wirklich etwas bringt. Wir müssen uns eine digitale Diät verordnen – uns schlank halten. Exzessiver Smartphone-Konsum ist das neue Fett, das wir bekämpfen müssen. Und wir müssen eine vernünftige Kommunikationskultur mit diesen Geräten entwickeln. Das Problem kann niemand für sich alleine lösen.
Warum nicht?
Wir beide haben uns auf einen Interviewtermin geeinigt. Was wäre aber, wenn mir kurzfristig etwas dazwischen gekommen wäre und ich Ihnen per E-Mail abgesagt hätte? Allein die reine Möglichkeit, dass ich das per E-Mail tun könnte, zwingt Sie dazu, bis zehn Minuten vor dem Telefonat nochmals Ihre E-Mails zu checken. Das heißt: Das ist nichts, was Sie als Einzelner bestimmen können. Es bringt Ihnen nichts zu sagen. „Ich checke nur noch zwei Mal pro Tag meine E-Mails, um meinen Arbeitstag nicht zu fragmentieren“. Denn der Mangel an Etikette zwingt Sie mitunter dazu, öfter in ihre E-Mails zu schauen. Wir müssen eine nachhaltige Kommunikationskultur entwickeln, als Gesellschaft und innerhalb der Unternehmen. Zentrale These: Ich trage Verantwortung für die geistige Gesundheit meines Kommunikationspartners. Beispielsweise sollten Dinge mit einem Zeithorizont von unter 90 Minuten per Telefonat oder Instant Messenger kommuniziert werden. Dann können Sie zumindest das Tool E-Mail liegen lassen.