Auch Mark Zuckerberg hat diese Entwicklung und das daraus resultierende Potenzial des aufstrebenden Rivalen frühzeitig erkannt. Schon vor drei Jahren wollte er – nach Instagram – auch Snapchat übernehmen.
Drei Milliarden Dollar hat Facebook den Gründern Evan Spiegel und Bobby Murphy geboten, zu diesem Zeitpunkt eine enorme Summe. Jeder der beiden Gründer hätte dabei rund 750 Millionen Dollar eingesackt. Das Duo entschied sich dagegen.
Und der Erfolg gibt ihnen recht: So schauen die Snapchat-Nutzer, erzählen Insider, inzwischen täglich sieben Milliarden Videos an. Bei Facebook sind es mit acht Milliarden zwar noch etwas mehr – allerdings hat das Netzwerk auch acht Mal so viele Nutzer (siehe Grafik Seite 56). Zudem spielt Facebook seine Videos automatisch ab – Snapchat-Nutzer starten sie gezielt.
Kein Wunder, dass Zuckerberg laut Snapchat-Chef Spiegel sogar gedroht haben soll, den Konkurrenten aus dem Markt zu drängen. Tatsächlich startete Facebook Ende 2012 einen Frontalangriff und kopierte kurzerhand die Kernfunktion von Snapchat. Mit Poke entwickelte es eine App, die wie Snapchat Nachrichten nach dem Konsum automatisch löschte.
Doch hier erlebte Zuckerberg zum ersten Mal die Grenzen seines Wachstumspotenzials: Mangels Erfolgs stellt Facebook Poke nach nur 15 Monaten still und leise wieder ein.
Die Erfahrung bestärkte Zuckerberg darin, im Februar 2014 lieber knapp 20 Milliarden Dollar für den Kurznachrichtendienst WhatsApp zu berappen, als noch eine Pleite mit einer Kopie zu riskieren.
Twitters letzter Anlauf
Die Strategie, aufstrebende Konkurrenten zu kaufen oder zu kopieren, bedroht nun auch Twitter. Denn Dorseys größter Hoffnungsträger heißt Periscope. Mit der App, die Twitter im vergangenen Jahr kaufte, können Nutzer Videos live ins Netz übertragen. Zuschauer können die Aufnahmen sofort kommentieren und weiterempfehlen. Er setzt große Hoffnungen in das Jedermann-Fernsehen. „Wir werden kräftig investieren, um der Marktführer bei Livevideos zu sein“, verspricht Dorsey.
Allerdings hält Facebook mit einem eigenen Angebot namens Facebook Live dagegen. Der Vorteil ist, dass für die Funktion nicht wie bei Periscope eine eigene App heruntergeladen werden muss, sondern sie bereits in die Facebook-Anwendung integriert ist. Bislang konnten zwar nur ausgewählte Prominente den Livedienst nutzen. Doch Facebook will die Funktion für alle Nutzer seines Netzwerkes freischalten. Dann stünden den etwa 20 Millionen Nutzern von Twitters Videoangebot Periscope auf einen Schlag potenzielle 1,5 Milliarden gegenüber.
Es wird also keinen Deut leichter für Dorsey. Womöglich verhindert derzeit vor allem das Interesse potenzieller Aufkäufer, dass die Twitter-Aktie noch stärker abstürzt. Facebook selbst kommt zwar kaum infrage, weil das die Kartellbehörden auf den Plan rufen würde. Doch die von Larry Page geführte Google-Mutter Alphabet soll Interesse haben, wenn der Preis stimmt.
Oder Dorsey findet noch die zündende Idee zum Überleben. Denn – auch das lehrt das Beispiel Apple – für den zweiten Akt, den Wiederaufstieg, braucht es mehr als Politur fürs Kernprodukt: Jobs gelang die Trendwende erst mit einem ganz neuen Produkt: Der iPod verlieh Apple 2001 den Rückenwind, um neu durchzustarten.
Will Dorsey wie einst Jobs die Magie in sein Unternehmen zurückbringen, muss er vermutlich Twitter ganz neu erfinden.