Tauchsieder

Das Gift der asozialen Medien

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Das Bestialische und das Banale

Aber doch nur, um den Leser sogleich wieder einzustimmen auf den Reigen der eilig hochgeladenen Skandale, das „Bombardement unverdauter Neuigkeiten“, die Konnektivität der vernetzten Vielen und die „verstörende Gleichzeitigkeit des Seins“. Wirklich spannend ist die treffliche Kompilation daher nur an den Stellen, in denen Pörksen zu Stichworten geronnene Diagnosen hinterfragt: Die Relevanz  der „Filter Bubble“ etwa sei unbedingt zu ergänzen durch die Relevanz des „Filter Clashs“: Denn so sehr sich Facebook-Nutzer, die auf Zeitungs- und Fernsehnachrichten verzichten, algorithmisch einweisen lassen in einen Tunnel der (Selbst-)Bestätigung ihrer Meinungen und Vorlieben - so sehr stimmt auch, dass uns die schiere Gleichzeitigkeit des Unvereinbaren auf Twitter oder Facebook stresst, das unverbundene Nebeneinander von Syrienkrieg und Katzenfoto, des Bestialischen und Banalen. 

An dieser Stelle hätte wäre man dann aber doch gern mit vertiefenden Gedanken vertraut gemacht worden: Welche Folgen hat die Einebnung aller Sinnhierarchien, die Nivellierung alles Bedeutenden, die Egalisierung von Politik, Kultur, Privatleben? Wie verändert sich unsere Weltwahrnehmung, wenn wir in kurzer Folge auf ein und derselben Plattform Nachrichten, Satiren, philosophischen Essays und Falschmeldungen begegnen? Und welchen Profit können Regierungen und Firmen wie Facebook daraus ziehen, uns Nutzer im „Present Shock“ einer dauernden Erregtheit gefangen zu halten? 

Denn im stillen Bündnis von Politik und asozialen Medien liegt doch wohl die eigentliche Gefahr: Donald Trump und Mark Zuckerberg kommt es eben nicht auf Virilität und Mobilisierung an, auf die Kraft von Worten, Kriterien und Argumenten, sondern auf Zerstreuung und Entpolitisierung - auf die Entkräftung der Gesellschaft durch die Bewirtschaftung von Emotionen. Man muss Zuckerberg bei seinem Weltfriedensprojekt schon beim Wort nehmen, um es wirklich fürchten zu lernen: Er und Trump bringen die Menschen durch die systematische Trivialisierung der Welt einander näher - indem sie Nutzern und Wählern die Denk- und Diskursfähigkeit abtrainieren. Für beide, Zuckerberg wie Trump, zählt der Trend, nicht die Bedeutsamkeit. Das „Gefällt mir“, nicht dessen Grund. Der Präsenzerfolg, nicht die Arbeit an einem Ziel. 

Auch Pörksen wittert die Gefahr - und bringt die „konkrete Utopie einer redaktionellen Gesellschaft“ ins Spiel, in der die „Prinzipien eines ideal gedachten Journalismus zum Bestandteil der Allgemeinbildung“ gehören. Das heißt, der Mensch in der Empörungsdemokratie soll darin geschult werden, zweite Meinungen einzuholen und seinem Urteil zu misstrauen, eine gesunde Skepsis zu pflegen und die Transparenz seiner Quellen offenzulegen - schließlich geht es „darum, den Geist im Entscheidungskampf um Klarheit zu bewaffnen“, zitiert Pörksen den Philosophen Edgar Morin. Anders gesagt: Pörksen will praxisjournalistisch dahin, wo Habermas philosophisch herkommt - will „Prozesse der Wissensentstehung“ anstoßen und „kollaborative Intelligenzleistungen“ ermöglichen. Aber was, wenn Trump am Ende nicht nur von Habermas unbeeindruckt wäre - sondern auch von Pörksen?

*Bernhard Pörksen, Die große Gereiztheit. Wege aus der kollektiven Erregung. Hanser Verlag, 22 Euro

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