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Tauchsieder

#warum - Über die Trivialisierung des Mitgefühls

Zwischen der eiligen Bestürzung der Netzgemeinde und dem Trauerschock der Angehörigen klafft ein absurder Abgrund. Über die Trivialisierung des Mitgefühls in den sozialen Netzwerken, die Annahme des Unfassbaren und den Rationalitätsglauben der Moderne.

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Im Foyer des Lufthansa Aviation Center am Flughafen in Frankfurt/Main liegt ein Kondolenzbuch für Mitarbeiter der Lufthansa aus. Quelle: dpa

Viele Menschen tun das tatsächlich, als sie vom Absturz des Airbusses in den französischen Alpen erfahren: Sie greifen zum Smartphone und twittern „Trauer“. Sie posten „erschütternd“, favorisieren „grauenvoll“ und versehen „schlimm“ mit einem „Gefällt mir“. Sind das noch harmlos-wohlmeinende Gesten der vernetzten Hilf- und Sprachlosigkeit? Oder haben wir es schon mit einem Exhibitionismus teilnahmsloser Anteilnahme zu tun? Wenn es noch eines Beweises bedurfte, dass soziale Netzwerke Menschen einander in ihrem Menschsein nicht näher bringen können – die Timeline am Dienstag hat ihn erbracht.

Seither wissen wir: Facebook und Twitter sind Plattformen zur Verbreitung spontanemotionaler Dutzendware, Billigmärkte für den Austausch trivialisierter (Mit-)Gefühle – und damit der exakte Ausdruck dessen, was Menschen zu nichts verbindet. Zwischen der eiligen Bestürzung der Netzgemeinde und dem existenziellen Trauerschock der Angehörigen klafft ein absurder Abgrund, der so groß, so unüberbrückbar ist, dass eine 140-Zeichen-Kondolenz notwendig beides ist: eine Gedanken- und eine Taktlosigkeit.

Die Fakten zum Germanwings-Absturz

Im digitalen Leben der rheinland-pfälzischen CDU-Vorsitzenden Julia Klöckner zum Beispiel fügt sich die „schlimme Nachricht aus Südfrankreich“ fugenlos in den „Frühjahrsempfang der Tischler-Innung Simmern“ und den Besuch eines „Seniorenheimes in Kaisersesch“ ein.

Daran ist, für sich genommen, nichts auszusetzen. Wir alle halten nach Unglücksfällen, die uns nicht betreffen, kurz inne und gehen schnell zur Tagesordnung über. Wenn man aber um die Kluft zwischen persönlicher Unbetroffenheit und rhetorischem Beileid einerseits sowie der grenzenlosen Verzweiflung der Angehörigen andererseits weiß: Warum hält man dann nicht einfach „mal die Klappe“, so wie es der Schauspieler Jan Josef Liefers – sich selbst widersprechend – empfahl?

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