Techkapitalismus „Handeln wir nicht schnell, ist das Spiel verloren“

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Arbeitsmarkt

Die meisten Auguren prophezeien uns am Arbeitsmarkt „a great displacement“.
Auch ich sehe gravierende Konsequenzen der Automatisierung. Die Disruption am Arbeitsmarkt betrifft nicht nur einfache Tätigkeiten und wird auch nicht nur Busfahrer überflüssig machen. Sondern sie erstreckt sich auch auf die routinehafte, diagnostische, datenbasierte Büroarbeit. Alles, was Computer auf der Grundlage gesammelten Wissens besser durchforsten können – Gerichtsakten, Krankheitsbilder oder auch die ökonomischen Eckdaten eines Unternehmens –, werden sie auch durchforsten.

Wir bekommen es mit einer großen Welle der Arbeitslosigkeit zu tun?
Ich kann jedenfalls nicht erkennen, wie durch den technologischen Fortschritt ausreichend neue Jobs entstehen sollen. Und selbst wenn sie entstünden: Die neuen Dienstleistungsjobs werden unsicher und prekär sein – in etwa so prekär, wie es schon heute die Jobs der Uber-Fahrer sind. Es sind Jobs, die ihrerseits zu verschwinden drohen in den nächsten fünf Jahren durch den Vormarsch selbstfahrender Autos.

Im Valley selbst macht daher schon der Vorschlag eines bedingungslosen Grundeinkommens die Runde.
Als Venture Capitalist würde ich das vielleicht auch vorschlagen. Sehen Sie: Viele Digitalunternehmen gehen bereits dazu über, ihre Nutzer für bestimmte Dienste bezahlen zu lassen, etwa für Datenpakete in der Cloud oder Cyberversicherungen zum Schutz der Privatsphäre, ganz zu schweigen von Gebühren für Mobilitäts- oder Streamingdienste. Das heißt, die Digitalökonomie züchtet Nutzer heran, die einen großen Teil ihres Grundeinkommens darauf verwenden, Nutzer sein zu können. Klar also, dass Investoren die Idee ganz prima finden. Sie haben viel Geld in smarte Städte, saubere Energie und das „Internet der Dinge“ gesteckt – und brauchen Konsumenten, die einen return on investment garantieren.

Diese Jobs sind durch die Digitalisierung entstanden

Was schlagen Sie stattdessen vor? Eine Maschinensteuer?
Das wäre im Moment die falsche Antwort. Nein, um zu verhindern, dass vier, fünf Firmen aus dem Valley uns diktieren, wie wir unsere Gesellschaft zu organisieren haben, braucht es was anderes: eine Agenda von Regierungen, Städten und Vor-Ort-Unternehmern – für einen alternativen, sozusagen schonenden Umgang mit unseren Datenressourcen. Diese Daten gehören nicht dem Silicon Valley. Sondern sie gehören in die Hand regionaler, gemeinschaftlich definierter Interessen.

Dazu bräuchte es einen starken politischen Willen ...
... und eine ambitionierte, paneuropäische Gesamtstrategie. Eine Strategie, die kein „kontinentales Google“ zum Ziel hat, keinen Datenkonzern, der in Brüssel geboren wird und Facebook nacheifern soll wie einst Airbus dem Boeing-Konzern. Nein, was wir brauchen, sind dezentrale Lösungen auf der Basis einer gemeinschaftlich genutzten Dateninfrastruktur. Ist eine Welt, in der jeder Gründer auf der Basis desselben Zugangs zu künstlicher Intelligenz Ideen entwickeln und Innovationen vorantreiben kann. Wir dürfen nicht zulassen, dass drei, vier Konzerne eigene Systeme der Datenausbeutung aufbauen – und Innovation monopolisieren.

Wie soll das gehen?
Mit traditionellen Mitteln. Eine Infrastruktur ist für alle da – warum soll das nicht auch für die Dateninfrastruktur gelten? Wir erlauben doch auch keinem Autobauer einen exklusiven Zugang zu unseren Straßen. Mal ganz abgesehen also von der Frage, wem die Daten gehören: Künstliche Intelligenz ist eine moderne, universelle Infrastruktur, zu der jeder Zugang haben muss, um produktiv sein zu können.

Wie viel Zeit bleibt der Politik und den gesellschaftlichen Akteuren, sich ihrer Daten und Infrastrukturen zu bemächtigen?
Nicht viel. Google beschäftigt mehr Lobbyisten als Goldman Sachs, unterhält eigene Denkfabriken, produziert jeden Tag mehr Wissen – Mehrwert. Man kann daher davon ausgehen, dass die Digitalkonzerne die Dezentralisierung der Systeme für künstliche Intelligenz heftig bekämpfen werden. Was es braucht, sind einschneidende politische Interventionen auf der Basis eines Denkens, das sich nicht in der Forderung nach einem „freien Datenverkehr“ nach dem Vorbild des „freien Welthandels“ erschöpft. Sondern das im Interesse der Menschen an dezentralen Lösungen bei der Gewinnung und Verarbeitung von Daten arbeitet. In 10, 15 Jahren sind die Ressourcen weitgehend ausgebeutet. Jedenfalls wird Google dann mehr als genug über uns wissen – und auf der Basis von Daten Entscheidungen darüber treffen, was wir uns wünschen sollen. Anders gesagt: Handeln wir nicht in den nächsten fünf oder zehn Jahren, ist das Spiel verloren.

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