Was will man auch machen. Da stehen die Stewardessen und Stewards im Gang, heben die Arme und zeigen auf den Notausgang, sie pusten Luft in die Rettungswesten, die sie sich vorher in synchroner Anmut über den Kopf gezogen haben. Darauf folgt eine Durchsage: “Bitte schalten Sie bei Start und Landung ihre Mobiltelefone aus.” Hörig schauen alle noch einmal auf ihr Handy und kontrollieren, ob sie ihr Gerät aus oder den Flugmodus eingeschaltet haben. Geschäftsleute würgen ihre Gesprächspartner ab. Aber warum eigentlich?
Obwohl sich das Gerücht hartnäckig hält, ist bisher in keiner Form erwiesen worden, dass die Strahlung der Mobiltelefone eine negative Auswirkung auf die Bordelektronik hat und gar Flugzeuge abstürzen lassen könnte. Warum also diese konservative Vorsicht?
Die Gründe dafür finden sich in der Zeit kurz nach dem flächendeckenden Ausbau des ersten Mobilfunknetzes Ende der 80er Jahre. Anfangs war der Gebrauch von Handys in Flugzeugen strikt verboten. “Wir bitten Sie, die Mobiltelefone während des gesamten Flugs ausgeschaltet zu lassen, da es sonst zu technischen Störungen kommen könnte”, hieß es damals über die Lautsprecheranlagen. “Technische Störungen”, war der Begriff, den alle hörten. Das kleine aber wichtige Wort “könnte” schien bei den Fluggästen nicht anzukommen. Das Gerücht vom Handy, das ein Flugzeug abstürzen lässt, war lanciert.
Die Krux mit den Frequenzen
Wie Handystrahlung und Bordelektronik sich in die Quere kommen können, erklärt Stefan Frei, Professor an der Technischen Universität Dortmund im Arbeitsgebiet Bordsysteme: “Man hat an verschiedenen Stellen Probleme durch die gegenseitige Beeinflussung elektronischer Geräte. Die immer häufiger verwendeten Funksysteme können sich gegenseitig stören“, sagt er zunächst. Allerdings sei dies nicht durch Mobiltelefone in Flugzeugen möglich, da unterschiedliche Kategorien elektronischer Geräte unterschiedliche Sendefrequenzen benutzen.
Das war schon immer so. Über die niedrigsten Frequenzen werden Radiowellen gesendet, die nächsten gingen an Fernsehsender. Je höher die Frequenz, desto moderner das Medium. Bei jeder Vergabe von Frequenzen wurde darauf geachtet, dass diese nicht schon durch ein anderes Gerät belegt sind. Entsprechend funken auch Flugzeugelektronik und Mobiltelefone nicht auf den gleichen Wegen. “Es wird darauf geachtet, dass niemand Frequenzen benutzt, für die er keine Zulassung besitzt. Im Idealfall laufen die Systeme parallel und ungestört“, sagt Frei.
Trotzdem beliebt die Sorge, dass sich die Frequenzen durch technische Störungen doch überlagern könnten. „Das Problem kann man am besten so erklären: Wenn viele Menschen durcheinander reden, versteht man am Ende nichts mehr. Bei elektronischen Geräten ist das auch nicht anders, und davor hat man Angst”, erklärt Frei. Fällt zum Beispiel die Kommunikation zwischen Pilot und Tower aus, kann dies gefährlich werden.
Technischer Fortschritt bringt neue Regelungen
Aufgeschrieben wurden die ersten Verbote in einem Beschluss der Luftfahrzeug-Elektronik-Betriebsverordnung (Luft-EBV) 1999. Auf der Homepage des Luftfahrt-Bundesamtes begründete man das strikte Handyverbot lange Zeit offiziell wie folgt: “Es ist die Funktion des Handys, zu senden und damit elektromagnetische Energie abzustrahlen. Diese kann sich in die Flugzeugelektronik einkoppeln und Störungen verursachen, die eine Situation entstehen lassen, die Leib und Leben bedrohen.”
WLAN an Bord
Die erste Novelle der Luft-EBV folgte 2004, wodurch zumindest WLAN in Flugzeugen gebilligt wurde. Ein Schritt, der vor allem der Lufthansa in die Karten spielte. Das größte deutsche Luftfahrt-Unternehmen gehört zu den Pionieren in Sachen Internetzugänge im Flugzeug. Bereits 2003 testete das Unternehmen das Breitbandsystem “Flynet”. Zur Sicherheit ließ man damals Messsender durch die Kabinen fahren, um technische Störungen durch Handystrahlungen auszuschließen. Danach war klar, dass Handystrahlung die Technik der Lufthansa-Maschinen nicht negativ beeinflusst. Zunächst 69 Flugzeuge wurden daraufhin mit WLAN ausgestattet. Unter dem Markenzeichen Lufthansa betreibt der Konzern aktuell 373 Flugzeuge (Personenbeförderung und Fracht).
2008 war eine Neufassung der Luft-EBV in Kraft getreten, die Ausnahmen im Verbot der Handy-Nutzung besiegelte. Handys dürfen seitdem im Flugzeug benutzt werden, sofern die Fluggesellschaften die technischen Voraussetzungen dafür schaffen und die Unbedenklichkeit von Handystrahlung bescheinigen.
Zehn Tipps: Wie Sie ihr Smartphone schützen
Seien Sie vorsichtig bei der Weitergabe Ihrer Handynummer. Schreiben Sie diese nicht auf Ihre Visitenkarte.
Das Telefonieren über Mobilfunknetze mit dem GSM-Standard ist nicht abhörsicher. Führen Sie Gespräche mit vertraulichen Inhalt deshalb nicht über das Handy.
Nutzen Sie Tastatursperre und Gerätesperrcode und wechseln Sie diese Passwörter in regelmäßigen Abständen.
Deaktivieren Sie grundsätzlich alle drahtlosen Schnittstellen wie zum Beispiel WLAN oder Bluetooth-Zugänge, wenn diese nicht benötigt werden.
Nutzen Sie öffentliche Hotspots mit erhöhter Vorsicht. Vermeiden Sie sensitive Anwendungen wie Online-Banking in nicht vertrauenswürdigen Hotspots.
Lassen Sie Ihre mobilen Geräte nie aus den Augen und verleihen Sie Ihre Smartphones auch nicht. Manipulationen lassen sich in wenigen Sekunden vornehmen.
Installieren Sie Apps nur aus vertrauenswürdigen Quellen. Viele verlangen weitreichende Zugriffsrechte auf sensible Daten und Funktionen. Prüfen Sie, ob diese Zugriffsrechte zum Nutzen der App wirklich nötig sind.
Achten Sie darauf, dass es Sicherheits-Updates für Ihr Betriebssystem und die installierte Software gibt.
Lassen Sie bei Handy-Verlust Ihre SIM-Karte sofort sperren.
Normales Löschen vernichtet in der Regel nicht alle Daten. Die Speicher müssen vor einem Verkauf oder Entsorgung physikalisch überschrieben werden.
Die Lufthansa ist am Ball geblieben. “Einen WLAN-Internetzugang – auch per Mobiltelefon - bietet Lufthansa seit Dezember 2010 an”, sagt Lufthansasprecher Michael Lamberty. “Und gerade testen wir GSM-Funkzellen, um unseren Fluggästen bald auch diese Zugangsart während des Fluges anzubieten.” Zur Umsetzung dieser Technik arbeitet die Lufthansa unter anderem mit OnAir, einem Anbieter von Inflight-Kommunikationssystemen, zusammen. Unternehmen wie OnAir verhandeln mit den Providern einzelner Länder Konditionen für Sendelizenzen und Roaminggebühren aus, so dass die Mobiltelefone an Bord letztlich nur mit einer Art “OnAir-Box” an Bord kommunizieren. “OnAir fungiert für den Kunden quasi als Urlaubsland”, erklärt auch Lufthansasprecher Michael Lamberty. Auf diese Weise müssen die Fluggesellschaften nicht für jeden Provider die Konditionen mit dem Anbieter aus anderen Ländern aushandeln. Mit der neuen Technik können die Kunden dann auch SMS und MMS empfangen. Für die Lufthansa ist dieser Service auch ein Geschäftsmodell. Wie und wie viel das Unternehmen daran verdient, gibt der Konzern nicht preis.
Erste Airlines bieten Mobiltelefonie an
Lufthansa-Konkurrent Emirate Airlines ist da schon einen Schritt weiter. Die Fluggesellschaft hat Anfang Oktober 2012 zum ersten Mal in der Geschichte der zivilen Luftfahrt eine mobile Telefonverbindung an Bord im Angebot. Realisiert wurde das Projekt in einem Airbus A380. In Partnerschaft mit OnAir haben Passagiere die Möglichkeit, neben dem Internet auch die Telefonfunktion ihres Handys zu nutzen.
Bedingungen fürs Telefonieren im Flugzeug
Nach und nach sollen weitere Flugzeuge mit der neuen Technik ausgestattet werden. Genaue Angaben, wie schnell der Dient ausgebaut werden soll, gibt es derzeit nicht.
Die Technik funktioniert wie folgt: Auf der Erde sendet das Handy seine Signale an eine Basisstation, die dann wiederum meist via Kabel an den Empfänger, beziehungsweise eine weitere Basisstation weitergeleitet werden. Genauso wird das Signal im Flugzeug weiter gegeben. Allerdings muss dafür eine Basisstation im Flugzeug eingebaut sein, die dann ein verstärktes Signal über eine Außenantenne zur Erde schickt oder an einen Satelliten weiterleitet. Das Hindernis mit den hohen Roaming-Gebühren und Sendelizenzen, löst auch Emirates über externe Dienstleister wie OnAir und AreoMobile. Die Roaming-Gebühren werden über den jeweiligen Mobilfunk-Provider des einzelnen Fluggastes abgerechnet werden. Um an Bord telefonieren zu können, muss der Provider entsprechend eine Roaming-Vereinbarung mit den Anbietern des Bordservices, OnAir und AeroMobile, geschlossen haben.
Technischer Fortschritt und Gesetzeslage
Seit dem strikten Verbot von 1999 hat sich also einiges getan. Die Erfolgsgeschichte von Smartphones und Tablets hat auch die Flug-EVB zu Anpassungen gezwungen. Heute heißt es im Paragraph 27 Absatz 3 des Luft-Verkehrsgesetzes zwar, dass „der Betrieb von elektronischen Geräten, die nicht als Luftfahrtgerät zugelassen sind und Störungen der Bordelektronik verursachen können, in Luftfahrzeugen nicht zulässig [ist]“ – allerdings gibt es eine Ausnahmeregelung, die den Weg für Handys im Flugzeug frei macht. Danach ist der Betrieb elektronischer Geräte mit Sendefunktion einerseits erlaubt, solange das Flugzeug in einer Parkposition steht und die Triebwerke nicht in Betrieb sind. Andererseits dürfen die Telefone in der Luft wieder eingeschaltet werden, sofern das Unternehmen bestimmte Vorgaben des Luft-EVB beachtet hat. Danach muss der Flugzeughersteller oder ein Entwicklungsbetrieb dem Luftfahrzeughalter die Verträglichkeit der Geräte mit der Bordelektronik unter Berücksichtigung der verwendeten Frequenzen und Sendeleistungen nachweisen. Genau das ist im Fall von Emirate Airlines geschehen.
Laut Luftfahrtbundesamt ist das Flugzeug bei Start und Landung aufgrund der maximalen Triebwerksbelastung, der aerodynamischen Konfiguration sowie der Steuerbarkeit besonders belastet. Auch die Besatzung ist einer besonderen Anforderung ausgesetzt. Würden zum Beispiel Navigationsgeräte durch Handystrahlungen gestört, könnte es zu Problemen bei Präzisionsanflügen oder bei schlechter Sicht kommen. „Während des Rollens, des Starts, des Endanflugs und der Landung“ müssen daher grundsätzlich alle mitgebrachten elektronischen Geräte ausgeschaltet werden.
US-Luftfahrtbehörde FAA gibt Studie in Auftrag
Ob das so zulässig ist, will nun die amerikanische Luftfahrtbehörde FAA prüfen. Verkehrsminister Ray LaHood hat sich das Thema auf die Agenda geschrieben. Anfang September hatte die FAA in einer Studie herausgefunden, dass von Mobilfunk-Basisstationen an Bord von Verkehrsflugzeugen keine Beeinträchtigung der Flugsicherheit ausgeht. Bis dahin hatte die FAA stets Bedenken hinsichtlich des Handybetriebs an Bord wegen befürchteter technischer Störungen gehabt. Ausgehend auf diesem Befund arbeitet die Behörde nun einer großen Studie. In einem ersten Schritt wollen die Amerikaner Erfahrungen aus der Bevölkerung sammeln. Bis Ende Oktober darf jeder Bürger Stellungnahmen und Fragen zu Elektrogeräten im Flugzeug bei der Behörde einreichen.
Auf dieser Basis will die Arbeitsgruppe dann ein weiteres Vorgehen planen. Letztlich soll ein Bericht entstehen, auf dessen Grundlage darüber entschieden werden kann, inwieweit Handys auch bei Start und Landung benutzt werden dürfen. Wird die Gesetzeslage in den USA gelockert, ist davon auszugehen, dass dies früher oder später auch Einfluss auf Europa hat.
Restrisiko bleibt vorhanden
Stefan Frei von der TU Dortmund hält sich mit einer Tendenz, inwieweit das Gesetz gelockert werden sollte, zurück. „Die Wahrscheinlichkeit, dass etwas schief geht, ist sehr gering, und trotzdem kann man ein Restrisiko nicht ausschließen. Letztlich muss auch hier das Restrisiko gegen den Vorteil, den die Technik verschafft, abgewogen werden“, sagt er. Dabei beschränkt sich das Restrisiko nicht nur auf technische Störungen. Lufthansa-Sprecher Michael Lamberty begründet den Zwang, Handys bei Start und Landung auszuschalten so: “Der Gesetzgeber möchte, dass die Fluggäste bei Start und Landung für den Notfall nicht abgelenkt sind.“ Von technischen Aspekten ist hier also gar keine Rede.
Was will der Fluggast?
Bei all den wichtigen Fragen zur Technik, bleibt die Frage: Was will der Fluggast? Eine Bitkom-Studie von Anfang 2011 hat überraschend ergeben, dass 55 Prozent der Deutschen die Handynutzung in Flugzeugen ablehnen. Lediglich 19 Prozent waren damals für eine uneingeschränkte Handynutzung an Bord. “Die Menschen wollen über den Wolken ihre Ruhe haben”, kommentierte der damalige Bitkom-Präsident August-Wilhelm Scheer die Umfrage.
Das Ergebnis deckt sich mit Fluggästebefragungen der Lufthansa. „Auch unsere Bordumfragen haben ergeben, dass die überwiegende Mehrheit der Gäste nicht durch lautes Telefonieren oder Klingeln gestört werden will”, sagt Michael Lamberty. Deshalb bleibt das Telefonieren und Skypen bei der Lufthansa auch mit der neuen Technik vorerst untersagt.
Die Wahrscheinlichkeit, dass der Wunsch nach der Stille im Flugzeug anhält, ist allerdings gering. Bereits in der Bitkom-Befragung war auffällig, dass vor allem Menschen über 50 Jahren die Handy-Nutzung an Bord ablehnen.
Jüngere befürworten die Nutzung, wenn auch mit Einschränkungen. Früher oder später wird die letzte handyfreie Zone namens Flugzeug also auch Geschichte sein. Das ist zumindest zu vermuten. Dann kann abseits der Ruhezonen stundenlang telefoniert werden und – sollte die FAA-Studie erfolgreich sein – der Geschäftsmann sein Telefonat auch beim Start weiterführen können. Bis dahin bleibt der Flugmodus.