Videotelefonie-App Duo Warum Google sich erneut auf den Messenger-Markt traut

Der Messenger-Markt gilt als gesättigt. Trotzdem bringt Google den Video-Dienst Duo auf den Markt. Warum er trotz WhatsApp erfolgsversprechend ist und welche Ziele der IT-Konzern damit verfolgt.

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Google Duo: Was taugt die Videotelefonie-App als Messenger. Quelle: Getty Images

Google erinnert an den unliebsamen Sitznachbarn in der Schulzeit: Bei neuen Aufgaben hat er keine eigenen Ideen für Lösungen. Wenn ein Test ansteht, bereitet er sich grundsätzlich zu spät vor. Und in der Prüfungssituation selbst schielt er die ganze Zeit auf das Blatt seines Sitznachbarn – in der Hoffnung, durch das Abschreiben doch noch versetzt zu werden. Doch was lehrt uns die eigene Schulzeit in der Regel? Die verhassten Abgucker sind nie Klassenbeste, allenfalls liegen sie mit ihrer Note im Durchschnitt. In vielen Fällen bleiben sie sitzen.

Obwohl diese Taktik also wenig erfolgsversprechend klingt, könnte sie bei dem IT-Riesen Google aufgehen. Mit seinem neuem Dienst Duo will der Internetkonzern aus Kalifornien stärker bei Videoanrufen mitmischen. Aber mit Duo hat sich der Internet-Konzern – wie der unbeliebte Mitschüler – mal wieder nichts Neues einfallen lassen und ist spät dran: Der Markt scheint nahezu gesättigt: Denn die neue Anwendung tritt gegen Videotelefonate im Facebook-Messenger oder Microsofts Skype an. Apple bietet schon seit 2011 den Dienst Facetime an – der allerdings nur auf iOS-Geräten funktioniert. Und in Googles eigener Anwendung Hangout ist ebenfalls schon eine Videotelefonie-Funktion integriert.

Trotz der vielen anderen Anbieter und des späten Timings von Google ist Wafa Moussavi-Amin, deutscher Geschäftsführer des US-Marktforschungsunternehmens IDC, der Meinung, dass Google mit der neuen Anwendung durchaus Chancen hat, auf dem Markt zu bestehen. Und auch Timm Lutter, Social-Media-Experte beim Digitalverband Bitkom, ist sich sicher, dass der Messaging-Markt noch Potenzial für andere Anbieter birgt: "Messaging-Dienste sind wie die gesamte Digitalbranche hoch innovativ. Ein neues Produkt auf den Markt zu bringen, erfordert keine hohen Investitionen. Die Marktführer können sich aber ganz sicher nicht auf dem Erreichten ausruhen."

Was an Whatsapp Kopfschmerzen bereitet

Dabei sind WhatsApp und der Facebook-Messenger momentan weltweit die unangefochtenen Spitzenreiter unter den Diensten: 2015 verzeichnete WhatsApp eine Milliarde Nutzer, in diesem Frühjahr dann Facebooks Kurznachrichtendienst. Und auch der unmittelbare Duo-Konkurrent Skype soll laut dem Finanzinstitut Trefis mittlerweile die eine-Milliarde-Nutzer-Hürde überwunden haben. Die Konkurrenz – beispielsweise Snapchat und Facetime – ist weit dahinter abgeschlagen.

Doch trotz des hart umkämpften Marktes verkündete Google-CEO Sundar Pichai eine Woche nach dem Start via Twitter, dass Duo bereits fünf Millionen mal heruntergeladen worden sei. "Die Downloadzahlen von Duo übertreffen momentan sogar die von Pokémon Go", sagt Moussavi-Amin.

Dabei hatte Google bisher nur mäßigen Erfolg damit, Produkte der Konkurrenz zu kopieren. 2004 gründete Mark Zuckerberg das mittlerweile größte soziale Netzwerk Facebook – erst acht Jahre später entwickelte Google die fast identische Plattform Google Plus, die laut Aussage des Unternehmens monatlich 360 Millionen aktive Nutzer und damit deutlich weniger als Rivale Facebook hat.

2009 schlief Google erneut: Zu diesem Zeitpunkt revolutionierte Jan Koum die weltweite Kommunikation mit dem Nachrichtendienst WhatsApp – erst 2013 lieferte Google die Konkurrenz-Anwendung Hangouts, über die laut dem Digitalverband Bitkom im Juni nur fünf Prozent der deutschen Internetnutzer kommunizierten. "Google Plus und Google Hangout haben sich auf dem Markt nicht durchgesetzt, weil das Unternehmen mit seinen Anwendungen zu spät dran war", Moussavi-Amin.

Warum Duo ein Erfolg werden kann

Nun ist Google mit Duo wieder spät dran. Auf der Entwicklerkonferenz I/O verkündete der Konzern sogar, noch in diesem Jahr einen Kurzmitteilungsdienst namens Alllo, ähnlich wie WhatsApp, herauszubringen – obwohl Hangouts bereits gescheitert ist.

Doch Google geht es nicht darum, Geld mit seinen Anwendungen zu verdienen, sagte Konzern-Manger Nick Fox kürzlich gegenüber der "Financial Times". Stattdessen verfolgt das Internet-Unternehmen durch die Kommunikationsdienste laut Moussavi-Amin das Ziel, sein Kerngeschäft weiter auszubauen – nämlich das Geschäft mit den Daten. "Die Informationsbeschaffung, die bei Google derzeit hauptsächlich über die Suchmaschine stattfindet, soll auf andere Kanäle wie Messenger ausgeweitet werden", sagt der IDC-Geschäftsführer. Der Internet-Riese braucht die Apps, um das Kommunikationsverhalten seiner Nutzer besser zu erforschen – und damit Marktführer in seinem Kerngeschäft zu bleiben.

Zwar versichert Google auf Anfrage von WirtschaftsWoche Online, dass alle Anrufe über Duo Ende-zu-Ende-verschlüsselt seien und der Konzern dadurch keine Möglichkeit habe, Audio- und Video-Dateien zu dekodieren.

Moussavi-Amin ist allerdings überzeugt, dass die Videos automatisch durch ein System gejagt werden, das bestimmte Schlüsselwörter aus den Gesprächen herausfiltert – das sei selbst bei einer Ende-zu-Ende-Verschlüsselung möglich. Die Verschlüsselung stelle nämlich nur sicher, dass keine Dritten Zugang zu den Inhalten bekommen – die jeweiligen Chatpartner und Google aber schon. "Anhand dieser Keywords erstellt Google dann Profile, um benutzerbezogen Werbung zu schalten und Geld zu verdienen."

Die beliebtesten Apps in Deutschland
Snapchat Quelle: dpa
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Mit Duo könnte Google die Informationsbeschaffung über einen Messenger diesmal sogar möglicherweise gelingen, glaubt Moussavi-Amin. Der Dienst habe gegenüber Google Plus und Hangouts entscheidende Vorteile. Im Gegensatz zu Hangout läuft die neue Anwendung sowohl auf iOS- als auch auf Android-Geräten – sodass Google mehr potenzielle Nutzer ansprechen kann. "Die größte Stärke von Duo ist, dass die Anwendung relativ simpel gehalten und deshalb einfach zu bedienen ist." Für die Anmeldung benötigt Google nur die Telefonnummer. Die App ermittelt wie bei WhatsApp automatisch, welche Kontakte aus der Telefonliste ebenfalls Duo nutzen. Die kann der Nutzer wie beim herkömmlichen Telefonieren mit dem Smartphone auswählen

Ein bisher einmaliges, aber nicht erfolgskritisches Gimmick: Durch die Funktion "Kuckuck" kann der Angerufene den Anrufer schon auf dem Display sehen, bevor er sich entscheidet, ob er das Videotelefonat entgegennimmt.

WhatsApp könnte Duo ausbremsen

Zwar ist die Videotelefonie nicht neu. Google hat allerdings erkannt, dass es sich dabei um eine Funktion handelt, die zukünftig an Bedeutung gewinnen wird. "Die Kosten für das benutzte Datenvolumen sinken, Breitbandinternet ist für immer mehr Menschen in immer höheren Geschwindigkeiten verfügbar. Entsprechend wird Videotelefonie immer häufiger nachgefragt", sagt Branchenkenner Lutter. Und selbst wenn die Verbindung mal schlecht ist, passt sich die Videoqualität bei Duo laut Google-Sprecherin den schwankenden Netzbedingungen an – oder es wird zumindest die Tonübertragung gehalten.

Ob diese Features aber reichen, um langfristig mehrere Millionen Nutzer an die App zu binden, wird sich laut Moussavi-Amin erst nach einiger Zeit herausstellen – wenn der erste Hype um das neue Google-Produkt vorüber ist. "Der Grund für die hohe Download-Rate in der ersten Woche ist in erster Linie sicherlich die Neugier der User nach dem Neuen." Viele würden die App nur herunterladen, um sie einmalig auszutesten. Die meisten würden sie danach deinstallieren, weil zu wenig Freunde und Bekannte sie nutzen.

Die sind nämlich in der Regel beim unmittelbaren Konkurrenten Skype oder WhatsApp. Der Messenger-Gigant testet derzeit auch die Videotelefonie mit ausgewählten Nutzern – was für Duo den Untergang bedeuten könnte. Schließlich würde WhatsApp dann zwei Funktionen – also den Chat und die Videotelefonie – in einer App anbieten, während der User bei Google für jede Funktion eine separate Anwendung nutzen müsste. Das ist den meisten zu umständlich.

Doch Moussavi-Amin ist sich sicher, dass Google auf den Vormarsch von WhatsApp im Bereich Videotelefonie schnell reagieren wird. "Duo ist auch deshalb so simpel programmiert, weil Google vor dem Videotelefonie-Start von WhatsApp möglichst viele Nutzer generieren wollte" sagt der Experte. Über den Messenger Allo sollen dann noch weitere User dazu kommen. Wenn WhatsApp seine neue Funktion dann einführt, hat Google bereits einen Nutzer-Stamm, für den er die Apps Duo und Allo zusammenführen könnte, so die Überlegung von Moussavi-Amin.

Schließlich geht der Trend laut den beiden Experten dahin, dass sich ein Messenger zu einer zentralen Anlaufstelle auf dem Smartphone entwickeln wird. Chatbots ermöglichen neuerdings die Informationsbeschaffung über den Messenger. Wenn es um das Kernthema Kommunikation geht, sind Messenger zumindest jetzt schon der Mittelpunkt. "Wir stehen aber noch am Anfang, wenn es darum geht, über Nachrichten Blumen und Tickets zu bestellen oder sich über das aktuelle politische Geschehen zu informieren", sagt Lutter. Ein neuer Markt, auf dem ebenfalls Schnelligkeit und Einfachheit der Anwendung ausschlaggebend für den Erfolg der Anbieter sein dürften.

Für Google bedeuten diese Trends: weitere Informationen über die Nutzer, detaillierte Profile, noch passgenauere Werbung – und höhere Einnahmen. Selbst wenn der Konzern kein Geld mit der App an sich verdient.

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