Virtual Reality in Kino und Fitnessstudio Diese sechs Pioniere entführen uns in Parallelwelten

Mittendrin statt nur dabei: Per Datenbrille fühlen sich Computeranimationen fast so natürlich an wie das echte Leben. Sechs kühnen Ideen für die virtuelle Realität.

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Kino, Fitness und Shopping: Die Virtual-Reality-Brille erobert die Freizeit-Branchen.g Quelle: Andreas Menn für WirtschaftsWoche

Durch eine Brille schauen und Dinge sehen, die aus dem Computer stammen - ein alter Traum von Technik-Visionären soll jetzt wahr werden. Denn Unternehmen wie Facebook und Samsung haben Datenbrillen auf den Markt gebracht, die ihre Nutzer in andere Welten versetzen. Auch Apple und die Google-Mutter Alphabet bauen angeblich eigene Modelle

Die Geräte erweitern die reale Welt mithilfe von Computergrafiken - Augmented Reality genannt - oder schaffen gleich eine virtuelle Realität, in der nichts mehr echt ist. Sie versetzen Menschen mitten hinein in Computerspiele - wer sich umdreht, sieht, was hinter ihm ist. Und bald beamen sie uns sogar in komplett virtuelle Städte, in denen Menschen sich treffen, wo sie lernen und konsumieren. Das Fernziel: die perfekte Illusion, in der wir digitale Dinge fühlen, riechen, schmecken.

Computerbrillen, glaubt Facebook-Chef Mark Zuckerberg, könnten "die nächste große Plattform" nach dem Smartphone werden. Das Internet hat die Welt vernetzt - die virtuelle Realität lässt ganz neue Welten entstehen. Die Technik, glaubt Zuckerberg, werde den Menschen "die Macht geben, alles zu erleben". Ein Internet nicht nur für den Kopf, sondern für alle Sinne.

Im Jahr 2015 steckten Investoren 700 Millionen Dollar in Start-ups, die Datenbrillen und Co. entwickeln; im Januar und Februar 2016 flossen gar 1,1 Milliarden Dollar Wagniskapital. Allen ist klar: Im Netz wird ein Paralleluniversum geschaffen. Die Entwicklung der neuen virtuellen Welten steht erst am Anfang, aber sie werden unser Leben tief greifend verändern.

Kinofilme zum Hineinsetzen, Flugsimulatoren, virtuelle Häuser: Wir stellen sechs Ideen vor aus Deutschland, den Niederlanden und Österreich - von Unternehmern, die ein neues virtuelles Universum erschaffen wollen.

 

Der Kinogründer

Die Kinopremiere hat gerade begonnen, da verliert Zühre Oraon den Boden unter ihren Füßen. Irritiert schaut die Studentin hinab, auf Hochhäuser, auf Straßenschluchten. “Ich fliege”, ruft sie, “mitten über Manhattan.” Blick nach rechts, da steht das One World Trade Center. Blick nach links, da fließt der Hudson River. Unten schieben sich Taxis über die Fifth Avenue.

Virtual-Reality-Brillen

In ihrer virtuellen Welt ist Zühre ein Vogel über New York, in Wirklichkeit sitzt sie auf einem Drehstuhl in einem brandneuen Filmtheater, dem Virtual Reality Cinema in Amsterdam. Der Vorführraum ist taghell, durch die bodentiefen Fenster spähen vom Bürgersteig aus Spaziergänger hinein, aber davon bekommen Zühre und die anderen Zuschauer nichts mit.

Die Studentin trägt einen Kopfhörer auf den Ohren und eine Videobrille im Gesicht, genau wie die anderen fünfzig Gäste. Sie recken die Hälse, schauen um sich, zucken zurück, als jage sie ein Phantom. Fünfzig Menschen wie auf einem Drogentrip: Der Körper noch auf Erden, der Geist längst in anderen Sphären.

Jip Samhoud, der Mann, der das neuartige Kino gegründet hat, steht zwischen seinen entrückten Gästen und lächelt zufrieden: Ein Magier, dem ein Zaubertrick gelungen ist. “In anderen Kinos schaust Du einen Film”, sagt er, “bei uns wirst Du Teil des Films.” Samhoud teleportiert sein Publikum mühelos in den Himmel über Afrika, dann auf einen Asteroiden, bald mitten auf eine Bühne, auf der Akrobaten ein Seil hinaufklettern.

Schon bald will der Niederländer weitere Kinos eröffnen, unter anderem in Berlin. Hollywoodstudios haben den Trend erkannt, angeblich plant etwa Starregisseur Steven Spielberg ein Virtual-Reality-Projekt. Wer mit Raumschiff Enterprise durchs All fliegen will, könnte per Datenbrille das Filmspektakel eines Tages viel noch viel intensiver erleben. Und wer Horrorfilme nicht mag, bekommt im Kino ganz sicher noch viel mehr Gänsehaut als bisher.

 

Der Spielehersteller

Noch verblüffendere Illusionen als bisher versprechen auch die Macher von Computerspielen. “Man lebt in der Welt, statt auf einen zweidimensionalen Bildschirm zu schauen”, schwärmt Avni Yerli, Mitgründer des Spielespezialisten Crytek. Die Frankfurter waren bislang schon für extrem realitätsnahe Grafiken in Spielen wie Crysis bekannt und wollen das Spielerlebnis mittels Virtual Reality noch steigern.

Was dabei alles möglich ist, zeigt eine Crytek-Demo: Auf dem futuristischen Planeten klettert der Spieler eine steile Felswand hinauf, orange leuchtende Schmetterlinge flattern umher, plötzlich stürzt von oben krachend ein Gesteinsbrocken herab und ein gigantischer Schatten erscheint: ein gigantischer Flugsaurier segelt ins Tal.

Spiele, Filme, Fitness

So beeindruckend die Demonstration ist, zeigt sie auch die Herausforderungen vor denen die Spieleentwickler stehen. Die Übertragung bisheriger Spiele in die neue Welt ist komplex. Zum Oculus-Start gibt es daher auch erst einmal nur 30 Spiele. Die Branche experimentiert noch, wie man in der virtuellen Realität Geschichten optimal erzählt und umsetzt.

So hat Crytek aus der Idee einer Saurierinsel kurzerhand zwei Spiele gemacht: Zunächst erscheint jetzt Ende des Monats das Kletterspiel “The Climb”. Die Spieler können dabei in den Alpen, der vietnamesischen Halongbucht und einem dritten Ort klettern, der noch nicht verraten wird. Die Reise auf die Saurierinsel soll dann im Herbst zum Start von Sonys Playstation VR erscheinen. Bis dahin will Crytek auch die nicht ganz leichte Frage gelöst haben, wie sich der Spieler durch die Kunstwelten bewegt. “In der Virtual Reality zu Laufen ist noch eine Herausforderung”, räumt Yerli ein.

Zudem können die üblichen Spielecontroller das Erlebnis der Immersion zu Nichte machen.

Die Highlights des Mobile World Congress
LG G5 Quelle: AP
Samsung Galaxy S7 Quelle: AP
Will.i.am mit Uhr Quelle: dpa
360 VR von LGLG macht den VR-Trend mit und bringt passend zum MWC seine VR-Brille 360 VR auf den Markt, die als Zubehör für das neue Smartphone-Flaggschiff G5 gedacht ist. Die Brille ist ausgestattet mit zwei 13 Megapixel-Weitwinkellinsen und drei Surroundsound-Mikros. Mit einem Kabel wird sie an das Smartphone angeschlossen. Der Preis ist noch nicht bekannt. Quelle: dpa
Epson präsentiert Augmented-Reality-Brille Quelle: Presse_Epson
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Denn die künstlichen Welten sind schon täuschend echt, doch die gelegentlich unperfekten Steuerungsmöglichkeiten des zweiten Ichs können einen schnell in die Realität zurückholen. Das Problem zeigt sich beispielsweise bei Kitchen, einer Horrorvision für Sonys Playstation VR: Die Spieler sitzen dabei gefesselt auf einem Stuhl und werden von einem Zombie mit einem Messer attackiert. Instinktiv tritt manch eine Testperson den Angreifer, doch das bringt nichts - die Spieleentwickler haben diese Reaktion nicht vorgesehen.   

Trotzdem glaubt Yerli fest daran, dass sich Virtual Reality im Spielebereich durchsetzt: “Das wird schneller gehen, als man denkt.” Im Gegensatz zu 3D, dem letzten Brillenhype, mit dem es schnell wieder vorbei war, seien viel mehr Inhalte in der Entwicklung. Und auch das Erlebnis ist noch einmal anders: “Jeder der es testet ist begeistert”, sagt Yerli, “das ist mit Nichts zu vergleichen.”  

Das Simulator-Start-up

Laufen, klettern oder gar fliegen - in der virtuellen Realität ist all das möglich. Oft bewegt sich der Spieler dabei bislang per Knopfdruck auf herkömmlichen Spielecontrollern. Doch es gibt verschiedene Ansätze, reale Bewegungen und virtuelle Erfahrungen in Einklang zu bringen.  Einer der am weitesten reichenden Versuche stammt vom Unternehmen Icaros. Die Münchner haben eine Flugsimulation entwickelt, der Spieler fühlt sich, als ob er an einem Flugdrachen hängt und gleitet über schneebedeckte Berge. In einem anderen Modus kann er dabei auf Drohnen schießen oder einen Rennparcours durchfliegen.

Neben der Softwaresimulation per Cyberbrille nutzt Icaros dazu ein selbst entwickeltes Gerät, das aussieht wie ein Fitnesstrainer. Die Spieler legen sich auf das mit Bewegungssensoren verbundene, in alle Richtungen bewegliche Metallgestell und müssen  mit dem ganzen Körper die Flugbewegungen ausbalancieren. Das fordert Gleichgewichtssinn und Muskelkraft gleichermaßen, der Icaros ist damit eine Mischung aus Spielecontroller und Fitnessgerät. “Die physische Komponente erzeugt aber auch besonders starke Eindrücke im Gehirn”, sagt Icaros-Geschäftsführer Michael Schmidt. “Das gesamte Erlebnis ist damit viel kompletter.” Und der Flug durch die künstliche Welt hinterlässt sogar einen realen Muskelkater.

Genau darum geht es den Machern auch. Wer nach einem Tag auf dem Bürostuhl zur Abwechslung in virtuelle Welten flüchte, solle das nicht auch wieder in ungesunder Sitzhaltung tun. Die Ursprungsidee war nicht, den perfekten Controller für virtuelle Welten, sondern ein neuartiges Fitnessgerät zu bauen. Zielgruppe des bis zu 10 000 Euro teuren Geräts sind daher auch Fitnessstudios.  Das erste Exemplar wird am Dienstag in der Hamburger Kaifu Lodge eingeweiht, insgesamt hat das Start-up zehn Systeme ausgeliefert.   

Die Filmemacher

Sie gelten als eine der steilsten und faszinierendsten Ski-Abfahrten in den Alpen: Die Schindler-Rinnen bei St. Anton am Arlberg. Dort traut sich besser nur hinein, wer seine Bretter wirklich im Griff hat. Die steile, enge Passage selbst zu erleben, dass blieb für Durchschnittsskiläufer bisher ein Traum.

Seit Mitte Februar ist das anders. Da hat Christoph Zarfl, mit seinem Unternehmen Motionmanager Filmproduzent und zugleich passionierter Freeride-Skifahrer, seine Tiefschee-Turns durch die Rinnen als Youtube-Video ins Netz gestellt. Und zwar als 360-Grad-Aufnahme.

Wer will, kann die Abfahrt nun mithilfe einer VR-Brille oder per Smartphone miterleben. Beide Geräte passen den Bildausschnitt in Echtzeit an die Bewegung des Betrachters an. Der Eindruck ist so verblüffend realitätsecht, dass man beim Ansehen fast glaubt, den aufstiebenden Schnees auf dem Gesicht zu spüren.

“Wir planen, in Zukunft sehr viel mehr mit Rundum-Aufnahmen zu arbeiten”, sagt der auf Sportfilme spezialisierte Video-Profi Zarfl. Allerdings erfordere die neue Technik eine ganz andere Kameraführung als klassische Filme mit vom Kameramann vorgewähltem Bildausschnitt.

"Das ist erst der Anfang"

Und auch die Zuschauer müssen sich die neue Freiheit der Blickrichtung erst einmal erschließen. Zarfl glaubt daher, dass die 360-Grad-Drehs künftig vorwiegend dann zum Einsatz kommen, wenn es darum geht, “den Zuschauer mitten ins Geschehen einzubinden - also etwa bei sehr action-lastigen Aktivitäten“.

In der kommenden Wintersaison will Zarfl auch Rundum-Filme aber auch für weniger ambitionierte Skifans produzieren. Denen will er 360-Grad-Kameras ausleihen, damit sie ihre Abfahrten selbst aufzeichnen können - und für das Nach-Erleben per VR-Brille. 

Das Shopping-Start-up

Wer das Einkaufserlebnis der Zukunft erleben will, muss Dirk Christoph treffen. Er ist Geschäftsführer von Innoactive Digital Realities und hat die die ersten virtuellen Einkaufserlebnisse in Deutschland geschaffen. In den Saturn-Filialen am Berliner Alexanderplatz und in Ingolstadt können die Kunden damit ihre Küchen planen, weitere Filialen sollen bald hinzukommen.

“Doch das ist erst der Anfang”, sagt Christoph, “künftig werden wir ganz anders einkaufen.” Er zieht sich die Brille, eine HTC Vive, über den Kopf, auf dem Bildschirm hinter ihm sieht man, wie er auf einmal in Apartment steht. Die Fenster reichen bis zum Fußboden und ermöglichen so einen spektakulären Blick über die Straßenschluchten New Yorks.

Die Wohnung selbst ist beinahe leer, doch wie von Geisterhand materialisiert sich eine schwarze Couch in der Mitte des Zimmers. Darüber schweben einige andere kleine Möbelstück, Christoph drückt den Knopf des schwarzen Controllers in seiner Hand und aus der schwarzen Couch wird ein braunes Ledersofa. Schnell fügt er Tisch und Stühle hinzu und beamt sich dann ins Schlafzimmer, um ein Bett auszuwählen.

Darüber erscheint ein schwebendes Bildschirmfenster mit dem bekannten Warenkorbsymbol. Hinzufügen, Lieferaddresse und Zahlungsmethode auswählen und schon wäre die Wohnungseinrichtung unterwegs. Noch ist es eine Demonstration, doch die Deutsche Telekom und ein großes internationaler Zahlungsdienstleister werben damit bereits bei ihren Kunden.

Bislang lassen sich die Möbel freilich nur in vorprogrammierten Beispielwohnungen platzieren. Doch die Übertragung in reale, individuelle Räume ist nicht weit. “In einigen Jahren hat jeder einen 3D-Scanner in seinem Handy”, sagt Christoph. Damit lasse sich in wenigen Minuten eine VR-Version der eigenen Wohnung erstellen. Die immer weiter verbreiteten 360-Grad-Kameras reichen dafür noch nicht, da die Tiefeninformation fehlt, um sich tatsächlich in den Räumen zu bewegen. “Virtual Reality Shopping ist die Zukunft”, sagt Christoph.

 

Die Architekten

Wie die neue Technologie die Kommunikation auch im Arbeitsalltag verändern kann, zeigt das Start-up AllVR. Die Berliner haben eine Software entwickelt, die herkömmliche am Computer erstellte 3D-Modelle von Architekten begehbar macht. Kunden können durch die Gebäude laufen oder auch darüber hinwegfliegen, um ohne Dach den Grundriss zu sehen. Künftig sollen sie auch über die Cloud verfügbar sein.

Während jeder in seinem Büro sitzt, können sie die Gebäude gemeinsam im virtuellen Raum besichtigen. “Kunden und Architekten können sich dann gemeinsam in den Objekten treffen”, sagt AllVR-Chef Boris Goldshteyn. Telefonkonferenzen werden künftig durch Meetings im virtuellen Raum abgelöst.

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