
Die umstrittene Vorratsdatenspeicherung beschäftigt auch die höchsten Richter Europas: Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg verhandelte am Dienstag über Beschwerden gegen die EU-Richtlinie zur vorsorglichen Speicherung von Telekommunikationsdaten (Rechtssachen C-293/12 und C-594/12). Die Regelung erlaubt Polizei und Terrorfahndern, später bei Bedarf auf die Informationen zuzugreifen. Die Gegner fürchten die völlige Überwachung der Bürger - ein Anwalt warnte vor dem „elektronischen Blockwart“ und einem „gigantischen Freiluftgefängnis“ mit wenig Privatsphäre.
Was für die Vorratsdatenspeicherung spricht
Bei der Verfolgung von Kriminalität im Internet wie der Verbreitung von Kinderpornos und Datenklau kommen Ermittler mit den klassischen Ermittlungsinstrumenten nicht weit.
Das Bundeskriminalamt (BKA) verweist darauf, dass zwischen März 2010 und April 2011 rund 80 Prozent der Daten-Anfragen an Telekommunikationsanbieter nicht beantwortet wurden. Neun von zehn Anfragen betrafen den Datenverkehr zwischen Computern - hier ging es um IP-Adressen, mit denen Computer im Netz identifiziert werden.
Nach Angaben von BKA-Chef Jörg Ziercke gibt es mittlerweile Tausende von Beispielen mittlerer und schwerer Kriminalitätsfälle, die Polizei und Staatsanwaltschaft nicht umfassend aufklären konnten, weil Daten fehlten.
Auch zur Aufklärung der Kommunikationsstrukturen islamistischer Terroristen und zur Verhinderung von Anschlägen pochen die Sicherheitsbehörden auf Vorratsdaten.
Die umstrittene EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung ist noch gültig - für die Mitgliedstaaten besteht eine Pflicht zur Umsetzung.
Das Bundesverfassungsgericht hat die Vorratsdatenspeicherung nicht komplett verworfen, sondern Grenzen aufgezeigt.
Ein Urteil wird zwar erst in einigen Monaten erwartet. Deutlich wurde aber bereits, dass die Richter Anlass für eine gründliche Prüfung sehen. Immer wieder hakten sie nach - insbesondere wollten die Juristen wissen, wie die in der EU-Grundrechtecharta garantierten Rechte bei der Datenfahndung geschützt werden und ob die umfassende Aufbewahrung der Informationen angemessen sei.
Das sei eine Frage der Umsetzung, argumentierten die Regierungen mehrerer EU-Staaten. „Wenn es zu Missbräuche oder Verletzungen der Richtlinie kommt, dann gibt es wirksame Abhilfe“, versicherte der Vertreter Irlands.
Doch genau an solcher Selbstbeschränkung der Regierungen hegte zum Beispiel der Vertreter des Europäischen Datenschutzbeauftragten Zweifel: Regelungen des Gesetzes „erlauben den Mitgliedsstaaten, die Daten für andere, nicht dazu vorgesehene Ziele zu nutzen.“ Ein Anwalt, der Österreich vertrat, räumte auf Nachfrage ein, er habe keine Nachweise, dass die Vorratsdatenspeicherung im vergangenen Jahr zu Ermittlungen gegen Terrorverdächtige oder organisierte Kriminalität genutzt worden sei.
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Und was dagegen
Datenspeicherungen auf Vorrat gibt es schon in vielen Bereichen - so beim Swift-Abkommen zur Weitergabe von Bankdaten aus der EU an die USA. Kritiker argumentieren, die Kombination gespeicherter Daten ermögliche individuelle Personenprofile bis hin zum gläsernen Bürger.
Die Vorratsdatenspeicherung verstößt gegen die besonderen Anforderungen bestimmter Berufsgruppen wie Ärzte, Journalisten, Geistliche oder Mitarbeiter von Beratungsstellen.
Es gibt keine umfassende Sicherheit. Deshalb sollte man den Preis, die Freiheit der Bürger einzuschränken, sorgsam abwägen.
Zur Aufklärung von Straftaten gibt es auch andere Ermittlungsinstrumente - gerade Kriminelle nutzen bestehende technische Möglichkeiten, um eine Erfassung ihrer Daten zu umgehen.
Ein zielgerichtetes Vorgehen mit „Quick Freeze“ - also eine Speicherung nur nach einem konkreten Verdacht - greift nicht ganz so unverhältnismäßig wie die Speicherung aller anfallenden Daten in die Freiheitsrechte der Bürger ein.
Es kann sein, dass die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung überarbeitet wird - das sollte zunächst abgewartet werden.
Die Gegner der Speicherung fürchten, die Daten könnten unter anderem zur Erstellung von Persönlichkeitsprofilen genutzt werden. „Geben Sie einem Sicherheitsapparat Daten und er wird Ihnen das dazu passende Bedrohungsbild liefern“, warnte der Anwalt vieler österreichischer Kläger. Die EU-Gesetzgebung aus dem Jahr 2006 legt fest, dass Telekommunikationsfirmen Verbindungsdaten zu Telefonaten oder E-Mails zwischen sechs Monaten und zwei Jahren aufbewahren - also zum Beispiel Namen der Teilnehmer und das Datum, aber nicht den Inhalt von Gesprächen oder E-Mails. In Irland und Österreich zogen Gegner der Vorratsdatenspeicherung vor Gericht. Der Europäische Gerichtshof beschäftigt sich nun damit, weil die irischen und österreichischen Richter den EuGH um Hilfe bei der Auslegung von EU-Recht baten.
Sollte das Gericht bei seinem Urteil in einigen Monaten feststellen, dass das EU-Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung ganz oder in Teilen ungültig ist, müsste sich der europäische Gesetzgeber erneut ans Werk machen. Das Gericht könnte dafür zum Beispiel eine Frist setzen. In Deutschland gibt es derzeit keine Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung, weil sich die schwarz-gelbe Koalition in der Frage uneins ist. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich bekräftigte am Dienstag bei der CSU-Klausur im oberfränkischen Kloster Banz, dass Verbindungsdaten für sechs Monate gespeichert werden sollten.