Work-Life-Balance Die Digitalisierung bringt Job und Familie zusammen

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Präsenzkultur wird verschwinden

Trotzdem können Webinare und Videokonferenzen, Skype und Messenger das Leben vieler Eltern schon jetzt vereinfachen. "Die Digitalisierung hilft uns dabei, Karriere und Familie zu vereinen", sagt auch Stefanie Peters. Sie war bei Accenture und Boston Consulting als Beraterin tätig und ist Gründerin und Geschäftsführerin der Unternehmensberatung enable2grow GmbH, die auf das digitale Wachstum von Firmen spezialisiert ist. Und sie hat vier Kindern im Alter von vier bis 13 Jahren, die sie dank Homeoffice, Dropbox und Co. ohne Kindermädchen großziehen kann. "Der Kunde erwartet nicht mehr, dass man von Montag bis Freitag bei ihm auf dem Schoß sitzt", sagt sie. Mittlerweile reiche es in vielen Berufen aus, nur bei wichtigen Meetings physisch anwesend zu sein. "Die Ergebnisse des Meetings verschickt man dann per Mail oder läd sie in eine Dropbox hoch. Da spielen Ort und Zeit keine Rolle."

Entsprechend ist die Anzahl der erwerbstätigen Mütter mit minderjährigen Kindern von 59 Prozent im Jahr 2004 auf rund 67 Prozent im Jahr 2013 gestiegen. Zeitgleich hat sich Lage der Kinderbetreuung in Deutschland deutlich verbessert – fast jedes dritte Kind unter drei Jahren bekam 2013 einen Krippenplatz.

Warum die Deutschen gründen

Peters gibt jedoch auch zu, dass Home-Office und mobile Datenübetragung ihr zwar helfen, Job und Familie unter einen Hut zu bringen, für die Krankenschwester oder den Schlosser sei die allerdings noch nicht möglich. "Das ist natürlich eine Bewegung für Wissensarbeiter und Leute, die mit dem Computer arbeiten, aber auch Ärzte können heute schon über hunderte Kilometer Distanz operieren, weil es egal ist, ob sie den Roboter von zuhause aus steuern oder ob sie daneben stehen", sagt sie. Tatsächlich sind Roboter in vielen Berufen bereits Alltag und können aus der Ferne gesteuert werden - acht Stunden neben den Blechkameraden zu stehen, ist zwar oftmals noch erwünscht, aber schon heute nicht mehr nötig.

Die Unternehmerin ist überzeugt, dass in Zukunft noch viel mehr möglich sein wird, als man sich heute vorstellen könne. "Das Angekettetsein am Schreibtisch wird in Zukunft verschwinden." Und der Prozess der Digitalisierung kommt gerade erst so richtig in Fahrt, ist Ingo Kramer sicher: In Zukunft können Autos selbstständig die Kinder abholen oder zur Oma fahren und Roboterparks kommen ohne menschliche Hilfe klar. Dann reicht es vielleicht, wenn der Ingenieur von einem Ort seiner Wahl aus die Daten auswertet und auf den On/Off-Schalter drückt, sobald es nötig ist. In fünf Jahren soll es weltweit mehr als 50 Milliarden vernetzte Geräte geben, die uns nur noch als Impulsgeber brauchen. Insofern kommt viel freie Zeit auf die Menschen zu.


Freelancer als Kompromiss

Mit der voranschreitenden Digitalisierung entstehen außerdem immer mehr Möglichkeiten, sich selbstständig zu machen. Wer eine pfiffige Idee für eine neue App hat, kann natürlich bei einem Unternehmen anheuern, seine Idee vorstellen und darauf hoffen, dass sie umgesetzt wird. Oder derjenige macht es auf eigene Rechnung und Risiko. Zugegeben: Dass die Zahl der Menschen in den sogenannten freien Berufen steigt, ist bereits seit gut 20 Jahren der Fall. Übten im Jahr 1994 gerade mal 550.000 Menschen einen Freiberuf aus, waren es 2014 schon 1,27 Millionen. Das sind rund drei Prozent aller Beschäftigten in Deutschland.

Gerd Schorn, Geschäftsführer des Personaldienstleisters provativ, der sich auf die Vermittlung erfahrener, freiberuflicher IT-Experten in Projektarbeit spezialisiert hat, geht aber davon aus, dass ihre Zahl noch steigen wird. "Gerade neue Familienmodelle fordern neue, flexible Konzepte der Erwerbstätigkeit – gehen Arbeitgeber auf diese Veränderungen nicht ein, birgt das Spannungspotenzial und vergrault wertvolle Talente", sagt er. Entsprechend dränge es immer mehr Menschen raus aus der abhängigen Beschäftigung und hinein in die Selbstständigkeit.

Entsprechend stieg in den vergangenen Jahren auch der Anteil an selbstständigen Frauen: von 31 Prozent im Jahr 1991 auf 39 Prozent im Jahr 2013. "Heute spielen wegen der allgegenwärtigen Verfügbarkeit des Internets weder Ort noch Zeit eine Rolle bei Shopping, Bankgeschäften, Medienkonsum – oder der Arbeit", sagt er. "Gerade im Dienstleistungssektor, der mit 69 Prozent den Löwenanteil zum Bruttoinlandsprodukt beiträgt, reichen in vielen Bereichen ein Computer mit Internetanschluss und ein Telefon, um überall arbeiten zu können." Wenn das Arbeitgeber nicht einsehen, müssen sie ihre Leute ziehen lassen, sagt Schorn.

Schlechte Gewissen sitzt im Kopf

Ein Problem bleibt jedoch: Die Eltern haben - zumindest noch - häufig das Gefühl, niemandem richtig gerecht zu werden. Mehr als die Hälfte der berufstätigen Eltern von Kindern zwischen sechs und 14 Jahren in Deutschland ein schlechtes Gewissen hat, wie eine repräsentative Forsa-Umfrage im Auftrag des Online-Lernspezialisten scoyo zeigt. Vereinbarkeit funktioniert für die meisten demnach nur mit Hängen und Würgen – irgendwas kommt immer zu kurz. 52 Prozent haben immer wieder das Gefühl, zu wenig Zeit mit ihren Söhnen und Töchtern zu verbringen.

Peters kann das nicht verstehen. Sie entscheide ganz klar zwischen Qualität und Quantität. "Das schlechte Gewissen sitzt im Kopf – es kommt auf meine Definition an, was eine gute Mutter ist und was nicht", sagt sie. Die Wochenenden gehören ihren Kindern und das abendliche Gute-Nacht-Sagen sei ein festes Ritual – auch wenn es manchmal nur per Telefon oder Skype geschehe. "Wenn mich jemand fragt, warum hast du vier Kinder bekommen, wenn du beruflich so viel unterwegs bist, dann sage ich: weil ich beides miteinander verbinden will." Und weil sie sicher ist, dass das mittlerweile für jeden möglich ist – nicht nur für diejenigen, die sich eine Kinderfrau leisten können.

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