Monatelang haben die drei Jungs keine Zeit. Sie sagen Termin um Termin ab, und als es so weit ist, fällt gleich nach der Begrüßung dieser Satz: "Wäre gut, wenn wir es möglichst kurz halten könnten." Die drei sind Anfang 20 und sitzen auf ihrer braunen WG-Couch in Köln, gucken abwechselnd auf ihre Smartphones und gähnen. Die Nacht war kurz, die Tage sind voll; drei Uhr nachmittags, sie haben schon ein paar Interviews hinter sich und noch zwei Videodrehs vor sich, und sie müssen eine große Show vorbereiten.
Zwei Wochen später werden sie vor zehntausend Jugendlichen in der Lanxess Arena in Köln auftreten.
Es ist so etwas wie Alltag geworden für Philipp Laude, Oğuz Yılmaz und Matthias Roll, drei Schulfreunde aus dem fränkischen Hiltpoltstein. 15 Jahre waren sie alt, als sie aus Langeweile erste Videos von Jungs-Streichen ins Internet stellten; lautes Singen in der Fußgängerzone, Sprünge aus rollenden Einkaufswagen, solche Sachen. Später begannen sie, Songs von Rihanna und Gotye zu parodieren, Sketche und eigene Musikvideos zu veröffentlichen. Unter dem Namen Y-Titty entwickelten sie sich zu den ersten echten YouTube-Stars in Deutschland. 570 Millionen Mal wurden ihre Clips bisher angesehen.
YouTube, das ist doch diese Internetseite mit den Wackelbildern? Dieser Wust unsortierter Videoschnipsel von sabbernden Babys, herumtollenden Kätzchen, niesenden Pandas? Das Angebot eines jungen Comedy-Trios läuft Europas größter Unterhaltungsshow den Rang ab: Markus Lanz erreicht mit Wetten, dass..? pro Sendung rund acht Millionen Zuschauer zur besten Sendezeit im ZDF.
Es ist die stille Ankündigung eines grundlegenden Umbruchs für die Fernsehindustrie.
Kaum jemand, der älter als 25 Jahre ist, vermutet auf YouTube ernst zu nehmende, durchdachte und vor allem: professionell produzierte Unterhaltungs- oder gar Informationsangebote. Ideen, die den Moment überdauern. Und genau das macht YouTube zum meistunterschätzten Fernsehphänomen dieser Zeit. Hinter der unübersichtlichen Fassade hat sich ein riesiges, buntes Angebot entwickelt, das etablierte Sender in naher Zukunft nicht vollends überflüssig werden lässt, aber doch: für weite Teile der Bevölkerung gänzlich irrelevant.
Nie zuvor fielen die Mediennutzungsgewohnheiten verschiedener Generationen so weit auseinander wie heute. Die unter 25-Jährigen sind durchgehend online, an eine Zeit ohne Smartphones können sie sich nicht erinnern. Ihr bisheriges Leben ist in den sozialen Medien mit Fotos, Videos und Kommentaren bestens dokumentiert. Trends, Neues, Bewegendes erfahren sie nicht als Erstes aus der Zeitung, sondern über die Facebook-Kommentare oder Twitter-Meldungen ihrer Freunde. Gefällt ihnen ein Film oder Videoclip, weisen sie gut sichtbar darauf hin – und machen die sozialen Medien so zur neuen Fernsehzeitschrift.
"Wir gucken alle kein Fernsehen mehr", sagt YouTube-Star Philipp Laude
Auf diese Weise sind Y-Titty zu echten Teenie-Stars geworden. Der stets gut gelaunte und schlagfertige Phil, wie der Kopf der Gruppe unter Eingeweihten heißt; OG (gesprochen "Ou-Dschi"), der gut aussehende Türke, der keinen Alkohol, aber gerne Milch trinkt; und der blonde TC (bitte: "Ti-Si"), der in den Clips gerne Perücken trägt, weil er oft die Frau spielt.
Während Millionen ihre Abende noch vor dem Fernseher verbringen und dem starren Senderschema folgen, bestimmen Jugendliche und junge Erwachsene im Internet ihr Programm selbst.
"Wir gucken alle kein Fernsehen mehr", sagt Phil. "Es ist absurd, sich eine Zeit zu merken, zu der man einschalten muss, weil man sonst die Sendung verpasst. Das ist absolut nicht mehr mit dem heutigen Lebensrhythmus vereinbar", ergänzt OG. "Der Drang, eine deutsche Sendung unbedingt sehen zu wollen, ist nie so groß wie die Bequemlichkeit, es dann doch einfach sein zu lassen", sagt TC. Wieder Phil: "Dokumentationen der öffentlich-rechtlichen Sender würde ich mir schon gerne öfter ansehen. Aber die Mediatheken sind schrecklich unübersichtlich." Hinter den dreien stehen in einem Regal der Web Award des Kinderkanals, zwei goldene Ottos der Zeitschrift Bravo und der Ehrenpreis der European Web Video Academy. Sie sind die Idole einer Generation, und sie sprechen auch für Leute, die denken und leben wie sie.
Jugendlicher schalten seltener den Fernseher ein
Jahrelang ist die Zeit, die Deutsche durchschnittlich pro Tag fernsehen, gestiegen. Doch im Jahr 2012, das zeigen die Zahlen der Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung (AGF), eines Zusammenschlusses der größten deutschen Fernsehsender, fiel sie plötzlich. Vor allem Jugendliche zwischen 14 und 19 Jahren schalten seltener ein: Ihr TV-Konsum ging innerhalb eines Jahres um fast zehn Prozent zurück. Und mit 103 Minuten verbringen sie ohnehin zwei Stunden weniger vor der Glotze als ihre Eltern. In Zukunft wird diese Kluft sogar noch größer. Dafür halten sich die Jugendlichen täglich fast vier Stunden im Internet auf – und Videos gehören zu dem, was sie am meisten anzieht. Allein im Juni 2013 schauten sich die Deutschen laut Comscore schon 9,5 Milliarden Stück im Internet an.
Was aber guckt die neue Generation, wenn es keine klassischen Fernsehsendungen sind?
Phil, OG und TC feuern ihre Antworten ab, schnell wie Kugeln aus einer Pistole.
"Amerikanische Serien."
"Breaking Bad, Dexter, Homeland."
"Und natürlich YouTube-Videos: Comedy, Gaming-Clips und News."
Für die etablierten Sender bedeutet dies das Ende einer bisherigen Gewissheit: Kinder sind treue Fernsehzuschauer, Jugendliche gehen lieber zum Fußballspielen oder in Clubs, aber sobald das Berufsleben beginnt, hat das Fernsehen sie wieder – beim Feierabend-Zappen zur Entspannung.
Die Jungen von heute wollen Programm und Zeit dagegen selbst bestimmen. Sie lassen sich auf illegalen Internetseiten wie kinox.to unterhalten, stören sich aber auch nicht daran, ein paar Euro für Filme und Serien bei iTunes oder Video-on-Demand-Plattformen wie Lovefilm in Deutschland und Netflix in den USA zu bezahlen. Und sie verbringen viel Zeit auf YouTube, wo es keine festen Sendezeiten gibt. "Gewohnheiten werden bis zum Alter von 20 Jahren geprägt", sagt Matthew Diamond, Chef von Alloy Digital, einem amerikanischen Fernsehproduktionsunternehmen. Alloy hat mit Sendungen wie Gossip Girl großen Erfolg bei Jugendlichen und kennt deren Geschmack dementsprechend genau . " Die gesamte Generation erfährt gerade eine völlig neue Konditionierung in ihrer Mediennutzung", sagt Diamond. Sie könnte die erste sein, die etablierten Sendern für immer verloren geht.
"Man wird die Sender schlicht nicht mehr brauchen, weil alle relevanten Inhalte auf YouTube zu sehen sein werden", sagt auch Lars Hinrichs, einer der erfolgreichsten deutschen Internetunternehmer, der unter anderem das Karrierenetzwerk Xing gegründet hat und Vater zweier Kinder ist.
Wer sich ein Bild davon machen möchte, welche Wucht das Fernsehphänomen YouTube heute hat, muss den Videoday in Köln miterleben. Er war 2010 am Rande der Computerspielmesse Gamescom spontan entstanden. 400 sogenannte YouTuber, die Fernsehmacher der neuen Generation, trafen sich damals in einem Nebenraum.
Dieses Jahr fand der Videoday in der Lanxess Arena statt, Deutschlands größter Multifunktionshalle. Sonst ist sie Musikern internationalen Formats wie Bruce Springsteen und Depeche Mode vorbehalten.
Zehn Uhr vormittags, 24. August, Kinder und Jugendliche mit Sonnenbrillen, Ringelshirts und großen Rucksäcken, die Menschenschlange reicht vom Eingang Ost die Anhöhe hinab bis zur U-Bahn-Haltestelle. Sie ist fast 300 Meter lang; die Wartenden sind aus München, Berlin, Leipzig angereist. Auf die Frage, weshalb sie sich um vier Uhr morgens in Hamburg aus dem Bett gequält haben, antworten zwei 18-jährige Mädchen: "Weil hier heute viele berühmte Persönlichkeiten zusammenkommen."
Kurz darauf ist der breite Gang im Erdgeschoss der Arena brechend voll. Tausende Jugendliche: eine riesige, aufgeregte Masse. Auf einem Metallpfeiler klebt ein Zettel: "Fotografieren und Filmen erwünscht." Grüppchen mit Handykameras und Eddings in den Händen quetschen sich in unterschiedliche Richtungen durch, in der Hoffnung, ein Autogramm zu bekommen oder ein kurzes Video mit einem YouTube-Star aufzunehmen.
"LeFloid!"
Mit Florian Mundt zum Beispiel. Mundt ist auf der Suche nach einem ruhigen Ort in den zweiten Stock geflüchtet, aber eine schwere Traube aus Teenies, die beständig wächst, ist ihm gefolgt; die "LeFloid!"-Rufe werden lauter. LeFloid, mit diesem Künstlernamen ist Mundt zur Teenie-Berühmtheit geworden: ausgerechnet mit einem Nachrichtenangebot. Mindestens einmal in der Woche veröffentlicht der 26-Jährige einen "LeNews"-Clip, in dem er, manchmal unterlegt mit Nachrichtenbildern, jeweils ein paar Minuten lang in selbst gedrehten Clips über Themen berichtet, die ihn berühren, freuen, nerven oder ärgern, so sagt er selbst. Das kann die Bundestagswahl sein, das Leben in einer Wohngemeinschaft oder der Konflikt in Syrien.
In einem Video steht Mundt mit grünem Käppi vor einer Kulisse aus Skateboards und einer weißen Star Wars-Plastikrüstung und sagt Sätze wie: "Aloha, Freunde, meine Fresse, was passiert denn in der Welt gerade? In Syrien ist gerade richtig Ghetto angesagt." Gut informiert und sehr schnell sprechend, analysiert er, welche Folgen ein militärischer Eingriff der USA haben könnte. Zuletzt fragt er: "Teilt ihr das beschissene Gefühl im Bauch?" Dass er die Zuschauer bei jedem Thema auffordert, die Kommentarfunktion unter den Videos zu nutzen, um mitzudiskutieren, gehört dazu. Genau wie Mundts Anspruch, die dort hinterlassenen Fäden wieder aufzunehmen und ins nächste Video einzuweben. Alle erfolgreichen YouTuber machen das so. Sie nehmen ernst, was ihre Zuschauer ihnen schreiben, auch die manchmal polemischen Kritiker, und setzen sich damit in ihren Clips auseinander. Das ist es, was eine besondere Nähe zwischen YouTuber und Fans entstehen lässt.
"Ich mache das, was mir gefällt, solange auch meine Zuschauer es mögen", sagt Mundt, der eigentlich Psychologie studiert und in Berlin lebt. Schnelle Schnitte, Insiderwitze, Versprecher, manchmal hüpft Mundt als Batman ins Bild oder als Super Mario. Seine Inhalte den Wünschen eines Redakteurs anzupassen, wie es im Fernsehen üblich ist, kann er sich nicht vorstellen. "Das ist mir zu hierarchisch", sagt er. Außerdem – er mag ohnehin nicht, was er im Fernsehen sieht: "In der Tagesschau sagt ein Sprecher, der stocksteif dasitzt: 'Das war es vom Giftchaos in Syrien. Zum Sport.' Völlig trocken und gefühllos – ich finde das absurd", sagt Mundt.
Damit steht er offenbar nicht alleine da; das emotionale, schnelle und radikal subjektive Präsentieren von Nachrichten scheint einen Nerv zu treffen. In den USA hat dieser neue Stil bereits einen eigenen Namen: New Sincerity.
Mundt erreicht neun Millionen vorwiegend junger Menschen im Monat. Solche Zahlen würden sich auch manche traditionellen TV-Macher für ihre Sendungen wünschen. Das durchschnittliche Zuschaueralter der öffentlich-rechtlichen Stationen liegt bei über 60.
Den Rest des Videodays verbringt Mundt damit, auf T-Shirts und Zetteln zu unterschreiben, die ihm seine Fans entgegenstrecken. In einem Videoclip wird er ihnen später mitteilen, wie "unfassbar motivierend" die Begegnungen gewesen seien – auch wenn sie ihn ans Ende der Halle gedrückt hätten und er fast keine Luft mehr bekommen habe.
So ähnlich ergeht es an diesem Tag den Zwillingsbrüdern "Die Lochis" (Comedy), den drei Jungs von "Apecrime" (Comedy), "Dr. Allwissend", der in seinen Videos mit Krawatte und blauer Brille alltagsphilosophiert, und "Freshtorge" (Comedy), dessen Eltern am Eingang Ost an einem Stand T-Shirts mit seinem Konterfei darauf verkaufen. Tausende Fans hat auch "Daaruum", eine dunkelhaarige, wunderschöne 24-Jährige, die in ihren Clips Schmink- und Modetipps gibt. Sie moderiert auch für den YouTube-Krimikanal Trigger.tv, wobei man sich darunter keinen klassischen TV-Sender, sondern eine Sammlung längerer Videos vorstellen muss, die thematisch zueinanderpassen. Produzent dieses YouTube-Kanals ist die Ufa, seit Jahrzehnten im Fernsehgeschäft und mit Serien wie Gute Zeiten, schlechte Zeiten erfolgreich. Die Ufa gehört wiederum zur RTL Group.
Aber die absoluten Stars des Videodays sind und bleiben Y-Titty. Der Andrang ihrer Fans ist so groß, dass Sicherheitskräfte die Autogrammstunde abbrechen. Ihre folgende Show in der Konzerthalle, bei der sie ihren Song Halt dein Maul vorstellen, begleiten zehntausend kreischende, mit Handykameras filmende Teenager.
Werbung und Product Placement
Diese deutschen YouTube-Stars können von ihren Clips längst leben. Die Plattform stellt die Werke umsonst online und beteiligt die Macher an den Werbeeinnahmen; vor den Videos läuft Werbung, außerdem pflastert YouTube die eigene Internetseite mit Reklame, und manchmal, so wie kürzlich bei Y-Titty, taucht im Clip ein Erfrischungsgetränk auf. Product-Placement heißt das in der Fachsprache, und auch dafür fließt Geld. Besonders bei Kosmetik- und Mode-Formaten ist die Grenze zur Schleichwerbung fließend.
Welchen Anteil der Erlöse die Stars bekommen, weiß offiziell niemand – YouTube lässt sich das Schweigen vertraglich zusichern. Insidern zufolge, sollen sie im Schnitt rund 1,50 Euro pro 1.000 Klicks bekommen. Stimmt das, hätte allein Y-Titty bisher rund 850.000 Euro eingenommen. Die deutsche YouTube-Vertreterin Mounira Latrache sagt nur so viel: "Tausende YouTuber weltweit verdienen mittlerweile sechsstellige Beträge im Jahr." Ein Dementi hört sich anders an.
Die Zahlen belegen, dass die Konzerne mit ihrer Reklame den Zuschauern folgen. Online-Videowerbung wuchs allein im vergangenen Jahr um 23 Prozent auf 240,2 Millionen Euro. In diesem Jahr soll sie auf etwa 280 Millionen Euro und im Jahr 2017 auf 500 Millionen Euro steigen.
Das klingt erst mal nach nicht viel, wenn man den Zahlen die vier Milliarden Euro gegenüberstellt, die in Fernsehwerbung fließen. Doch der Abstand schrumpft schnell und beschleunigt einen fundamentalen Wandel. Fernsehen wird bald nicht mehr der wichtigste Werbeträger sein. "Im Jahr 2014 werden die Online-Werbeinvestitionen jene in TV erstmals übertreffen – getrieben vor allem durch Bewegtbildwerbung im Netz", sagt Frank-Peter Lortz, Chef der Mediaagentur ZenithOptimedia. Onlinewerbung ist zielgerichteter. "Videospots im Netz sind so emotional wie im Fernsehen und außerdem noch interaktiv. Zudem können die Werbenden dort ganz gezielt junge Menschen erreichen", sagt Klaus Goldhammer, Gründer und Chef des Medienberatungsunternehmens Goldmedia. In den USA schreitet diese Entwicklung schneller voran, dort soll der Online-Bewegtbildwerbemarkt laut den Marktforschern von eMarketer in den kommenden vier Jahren von 2,9 Milliarden Dollar auf 9 Milliarden Dollar wachsen.
Der Suchmaschinenriese Google lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass er mit seiner Konzerntochter YouTube den Löwenanteil dieses wachsenden Marktes abgreifen will. Zwar haben die großen Fernsehsender hierzulande erkannt, dass sie auch im Netz präsent sein müssen, um die Jungen zu erreichen. Sie tun das mit werbefinanzierten oder kostenpflichtigen Angeboten. RTL etwa hat die Online-Mediathek RTL Now aufgebaut; MyVideo und Maxdome gehören zu ProSiebenSat.1. Aber ihre Reichweiten liegen weit hinter dem Marktführer YouTube, auf dessen Plattform sich weltweit eine Milliarde Nutzer jeden Monat sechs Milliarden Stunden Videos ansehen. Deshalb haben viele Sender auch angefangen, die Plattform zu umarmen: Die ARD sendet einige ihrer Inhalte dort, ebenso wie das ZDF, ProSieben – und sogar der Bezahlsender Sky zeigt Bundesliga-Highlights kostenfrei.
Damit die alten TV-Unternehmen nicht durch die Hintertür wieder zu Marktführern im Online-Werbemarkt werden, investiert YouTube viel Geld, um die Laien zu professionalisieren und neue Inhalte zu fördern.
Seit sechs Jahren veranstaltet der Konzern regelmäßig Talentwettbewerbe und lässt die Gewinner in Schnitt-, Licht- und Videotechniken schulen. So soll die Qualität der Angebote steigen – und mit ihr die Klickzahlen. In den Aufbau von 160 YouTube-Kanälen investierte der Konzern 74 Millionen Euro. Zu ihnen zählen der Krimikanal Trigger.tv ebenso wie ein Motorsport- und ein Fitnesskanal. Werbekunden erreichen dort leichter bestimmte Zielgruppen und investieren deshalb höhere Summen.
Netzwerke
Aber auch ohne das Zutun der Plattform professionalisiert sich die Webvideo-Welt: YouTuber schließen sich zu Netzwerken zusammen, teilen sich Produktionsräume und verweisen aufeinander. Wenn die Videos von Y-Titty, LeFloid und Daaruum die neuen Sendungen sind, stellen diese Netzwerke die neuen Fernsehsender dar.
Das größte europäische Netzwerk, gewissermaßen das RTL der neuen Welt, heißt Mediakraft, und Christoph Krachten ist dessen Chef. In seinem Büro lehnt ein gerahmtes Poster an der Wand, das ihn als Superman hinter einer goldenen 50 zeigt, schmeichelhaft jung ist er darauf dargestellt, der graue Vollbart fehlt, die Muskeln zeichnen sich auf dem blauen Kostüm ab; er hat das Bild dieses Jahr zu seinem 50. Geburtstag bekommen. "Mich nennen alle den YouTube-Daddy", sagt Krachten, und unter dem karierten Hemd wölbt sich der Bauch. Er ist es, der den Videoday erdacht und organisiert hat.
Es ist Sonntag, Köln strahlt in herbstlichem Sonnenlicht, aber Krachten verbringt den Vormittag in der Firmenzentrale am Barbarossaplatz. 600 YouTuber gehören seinem Netzwerk an, das macht 700 Kanäle und 200 Millionen Klicks – jeden Monat. Über drei Stockwerke verteilt liegen Schnittplätze, Studios und Büros.
Krachten hat 30 Jahre lang für beinahe alle deutschen Fernsehsender gearbeitet, und was er sagt, klingt wie ein Abgesang auf die alte Welt. "Ich habe den Untergang des klassischen Fernsehens erlebt: Wie begonnen wurde, Sendungen totzuformatieren – aus Angst, sie könnten floppen", sagt er. "YouTube-Produktionen sind dagegen billiger, und keiner muss auf die Entscheidungen eines Vorgesetzten warten. Jeder macht einfach, was er will", sagt Krachten. "Auf gewisse Weise ist YouTube professioneller als Fernsehen – im Sinne von: beweglicher, innovativer."
Auch die braune Couch, auf der Phil, TC und OG von Y-Titty während des Gesprächs über das Fernsehen der Zukunft sitzen, steht seit einigen Monaten nicht mehr in ihrer Kölner Wohngemeinschaft, sondern in den Studios von Mediakraft. Man sieht den Videos an, dass aus den Laien, die sie anfangs gedreht haben, so etwas wie Profis geworden sind: Der Ton in den Videos ist gut, das Bild scharf, die Farben stark, nichts wackelt.
"Wir planen, bald auch längere Sachen zu machen, Sketche, zwischen denen wir etwas erzählen, also mit einer Art Zwischenmoderation. Das könnte dann so eine halbe Stunde gehen", sagt Phil. Beinahe wie in einer richtigen Fernsehsendung also. Sie würden das bloß nicht so sagen. Denn "wie Fernsehen", das ist in der Welt, in der sie Stars sind, ein Schimpfwort.