Jahrelang ist die Zeit, die Deutsche durchschnittlich pro Tag fernsehen, gestiegen. Doch im Jahr 2012, das zeigen die Zahlen der Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung (AGF), eines Zusammenschlusses der größten deutschen Fernsehsender, fiel sie plötzlich. Vor allem Jugendliche zwischen 14 und 19 Jahren schalten seltener ein: Ihr TV-Konsum ging innerhalb eines Jahres um fast zehn Prozent zurück. Und mit 103 Minuten verbringen sie ohnehin zwei Stunden weniger vor der Glotze als ihre Eltern. In Zukunft wird diese Kluft sogar noch größer. Dafür halten sich die Jugendlichen täglich fast vier Stunden im Internet auf – und Videos gehören zu dem, was sie am meisten anzieht. Allein im Juni 2013 schauten sich die Deutschen laut Comscore schon 9,5 Milliarden Stück im Internet an.
Was aber guckt die neue Generation, wenn es keine klassischen Fernsehsendungen sind?
Phil, OG und TC feuern ihre Antworten ab, schnell wie Kugeln aus einer Pistole.
"Amerikanische Serien."
"Breaking Bad, Dexter, Homeland."
"Und natürlich YouTube-Videos: Comedy, Gaming-Clips und News."
Für die etablierten Sender bedeutet dies das Ende einer bisherigen Gewissheit: Kinder sind treue Fernsehzuschauer, Jugendliche gehen lieber zum Fußballspielen oder in Clubs, aber sobald das Berufsleben beginnt, hat das Fernsehen sie wieder – beim Feierabend-Zappen zur Entspannung.
Die Jungen von heute wollen Programm und Zeit dagegen selbst bestimmen. Sie lassen sich auf illegalen Internetseiten wie kinox.to unterhalten, stören sich aber auch nicht daran, ein paar Euro für Filme und Serien bei iTunes oder Video-on-Demand-Plattformen wie Lovefilm in Deutschland und Netflix in den USA zu bezahlen. Und sie verbringen viel Zeit auf YouTube, wo es keine festen Sendezeiten gibt. "Gewohnheiten werden bis zum Alter von 20 Jahren geprägt", sagt Matthew Diamond, Chef von Alloy Digital, einem amerikanischen Fernsehproduktionsunternehmen. Alloy hat mit Sendungen wie Gossip Girl großen Erfolg bei Jugendlichen und kennt deren Geschmack dementsprechend genau . " Die gesamte Generation erfährt gerade eine völlig neue Konditionierung in ihrer Mediennutzung", sagt Diamond. Sie könnte die erste sein, die etablierten Sendern für immer verloren geht.
"Man wird die Sender schlicht nicht mehr brauchen, weil alle relevanten Inhalte auf YouTube zu sehen sein werden", sagt auch Lars Hinrichs, einer der erfolgreichsten deutschen Internetunternehmer, der unter anderem das Karrierenetzwerk Xing gegründet hat und Vater zweier Kinder ist.
Wer sich ein Bild davon machen möchte, welche Wucht das Fernsehphänomen YouTube heute hat, muss den Videoday in Köln miterleben. Er war 2010 am Rande der Computerspielmesse Gamescom spontan entstanden. 400 sogenannte YouTuber, die Fernsehmacher der neuen Generation, trafen sich damals in einem Nebenraum.
Dieses Jahr fand der Videoday in der Lanxess Arena statt, Deutschlands größter Multifunktionshalle. Sonst ist sie Musikern internationalen Formats wie Bruce Springsteen und Depeche Mode vorbehalten.
Zehn Uhr vormittags, 24. August, Kinder und Jugendliche mit Sonnenbrillen, Ringelshirts und großen Rucksäcken, die Menschenschlange reicht vom Eingang Ost die Anhöhe hinab bis zur U-Bahn-Haltestelle. Sie ist fast 300 Meter lang; die Wartenden sind aus München, Berlin, Leipzig angereist. Auf die Frage, weshalb sie sich um vier Uhr morgens in Hamburg aus dem Bett gequält haben, antworten zwei 18-jährige Mädchen: "Weil hier heute viele berühmte Persönlichkeiten zusammenkommen."
Kurz darauf ist der breite Gang im Erdgeschoss der Arena brechend voll. Tausende Jugendliche: eine riesige, aufgeregte Masse. Auf einem Metallpfeiler klebt ein Zettel: "Fotografieren und Filmen erwünscht." Grüppchen mit Handykameras und Eddings in den Händen quetschen sich in unterschiedliche Richtungen durch, in der Hoffnung, ein Autogramm zu bekommen oder ein kurzes Video mit einem YouTube-Star aufzunehmen.