Digitaler Wandel "Haben Sie Google zerschlagen, kommt der nächste"

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"Nicht überall, wo Innovation draufsteht, ist auch Innovation drin"

Was, Herr Welzer, wäre für Sie genau Quatsch?

Welzer: Alles, was mir das Denken abnimmt.

Pausder: Das ist mir zu konservativ. Wer jung ist und eine Idee hat, der soll machen. Sonst sind wir am Ende alle gleich lahm und gleich langweilig.

Nestmann: Entscheidend ist doch, dass wir uns hier nicht gegenseitig das Recht auf Engagement und Initiative absprechen.

Joost: Einen einseitigen Hype ums Gründen sehe ich auch kritisch. Nicht überall, wo Innovation draufsteht, ist auch Innovation drin, manchmal steckt wenig dahinter. Nur müssen wir ehrlich sein: Die großen amerikanischen Gründungen der vergangenen zwei Jahrzehnte haben uns kalt erwischt. Und zwar, weil Geschäftsmodelle entstanden sind, die einer anderen Logik folgen – Daten sind der neue Wert.

Pausder: Wir stehen bloß immer so sauertöpfisch am Rand. Beispiel Uber: Da hat sicher ein schlauer Deutscher gesagt: Braucht kein Mensch, wir haben Taxen. Tja, und nun ist das Unternehmen Milliarden wert.

Joost: Gleichzeitig müssen wir aber die Konsequenzen solcher Innovationen im Blick haben. Schritte zählende Armbänder, Jogging-Apps, was immer – dadurch werden wir als Individuen vermessbar. Da werden sich unangenehme Fragen stellen: Warum bewegt sich Herr X nicht genügend? Warum hat der trotzdem denselben Krankenkassentarif wie ich?

Nestmann: Ich habe von Ihnen gelesen, Herr Welzer, dass Sie auf das Recht pochen, sich im Zweifel zu Tode saufen zu dürfen. Die Grundidee dahinter hat mir durchaus gefallen: Ich will selbst bestimmen, was ich wann wie mache. Was ich mich nur gefragt habe: Wo sehen Sie dieses Recht denn aktuell gefährdet?

Welzer: Genau dort, wo Gesche Joost eben angesetzt hat: Verhalten ändert sich schleichend, weil es neue Formen der Selbst- und Fernkontrolle gibt. Die ersten Versicherungen bieten längst individualisierte Tarife.

Nestmann: Aber es kann doch trotzdem nicht richtig sein, aus Angst gar nichts Neues zulassen zu wollen. Wir sind in Deutschland keine Insel. Falls es solche Inseln je gab, sind sie vom digitalen Zeitalter längst überspült worden.

Herr Welzer empfindet den digitalen Wandel als totalitäre Revolution. Führt Digitalisierung in die Diktatur?

Joost: Das kann ich so nicht unterschreiben, aber politisch sind wir in der Tat an einem Scheideweg. Können wir das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aufrechterhalten? Das Recht auf private Kommunikation? Das Problem ist nur, dass Daten etwas so Abstraktes sind, dass den meisten die Zusammenhänge von Datenspuren und Personenprofilen nicht klar sind. Bürger müssen die Möglichkeit haben, mündig zu entscheiden, was mit ihren Daten geschieht – und da ist Transparenz ungemein wichtig. Momentan scheinen Daten allerdings Freiwild zu sein.

Zehn Wege, um die Handy-Sucht zu besiegen
Alternative zum Smartphone findenAuf dem Handy gibt es viel zu tun: WhatsApp, Facebook, Twitter, E-Mails oder News-Portale checken. Suchen Sie sich eine Alternative, die einen ähnlichen Charakter wie das Smartphone mitbringt. Greifen Sie etwa stattdessen zu Hause oder in der Bahn mal zu einem Buch. Das Lesen löst den ständigen Blick aufs Smartphone ab und senkt mit der Zeit das Bedürfnis, immer wieder draufzuschauen. Quelle: dpa
Eine Armbanduhr tragenViele verzichten mittlerweile auf Armbanduhren und schauen auf ihr Handy, um die Uhrzeit zu erfahren. Wenn Sie sich vom Smartphone unabhängiger machen wollen, dann ist das der falsche Weg. Tragen Sie eine Armbanduhr und nutzen Sie sie nicht nur als Modeaccessoire, sondern dafür, wofür sie gemacht ist. Quelle: dpa
Online-Profile ausdünnenMan muss nicht auf jeder Hochzeit tanzen: Weniger soziale Netzwerke bedeuten weniger Statusmeldungen. Wer sich mehr Zeit für die Welt jenseits des Smartphone-Displays wünscht, sollte seine Apps kritisch prüfen - und sich von ein paar Online-Profilen lösen. Quelle: dpa
Nicht mit dem Smartphone bezahlenMit dem Smartphone zu bezahlen ist im Supermarkt, in Hotels oder Restaurants auf dem Vormarsch. Dieser Trend bedeutet allerdings noch mehr Griffe zum Handy. Stattdessen sollten Sie die dazugehörigen Apps löschen und lieber auf das gute, alte Portemonnaie setzen. Quelle: AP/dpa
Schlichte Höflichkeitsformen beachtenWer beim Essen oder im Gespräch mit anderen zum Smartphone greift, ist schlichtweg unhöflich. Vermeiden Sie das und konzentrieren Sie sich lieber auf Ihr Umfeld und Ihre Gesprächspartner. Sie werden es Ihnen danken. Quelle: Fotolia
Feste Handy-Pausen nehmenWer beruflich ständig über dem Smartphone hängt, sollte sich über den Tag verteilt immer wieder feste Handy-Pausen verordnen. Die Zeit lässt sich für einen kurzen Spaziergang oder zum Kaffeeholen nutzen. Quelle: dpa
Klingelton oder Vibration ausschaltenAus den Ohren, aus dem Sinn: Wer seinen Klingelton oder die Vibration abschaltet, ist gelassener und kann sich besser auf andere Dinge konzentrieren. Quelle: dpa

Kriegt man dieses Problem noch eingefangen?

Pausder: Wir werden nicht mehr in eine Vor-Daten-Zeit zurückkehren können. Deswegen ist es Aufgabe der Politik, den Datenschutz so zu regeln, dass die Bürger überhaupt entscheiden können, was mit ihren Daten passieren darf und was nicht. Aufklärung und Transparenz sind unverzichtbar, das sehe ich genauso.

Nestmann: Und Erziehung ist extrem wichtig, wir brauchen den mündigen Bürger. Dazu gehört auch, um die eigene Verantwortung zu wissen, wenn ich diesen oder jenen Dienst oder Apps oder Web-Sites nutze.

Pausder: Schön, dass wir uns hier so einig sind. Es wird nur seit zehn Jahren gefordert, Medienkompetenz in Schulen zu vermitteln – und was ist passiert? Nichts ist passiert. Ohne Bildung wird es aber keine digital mündigen Bürger geben.

Welzer: Ich stimme zu, dass es eine Bildungsnotwendigkeit ist, sich mit dieser Technik auseinanderzusetzen. Schon, weil das Thema nicht nur ein technisches, sondern auch ein politisches ist. Derzeit erleben wir doch eine fundamentale Spaltung: in passive Abrufer von Politik und Konsum hier und von Menschen, die sie steuern, dort. Das ist der Tod von Demokratie. Und die Politik rafft das nicht.

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