Kreislaufwirtschaft für Fahrräder Engpässe am Fahrradmarkt: So umschiffen Start-ups die Lieferkrise

Das Start-up Bravobike setzt auf die Aufbereitung von Fahrrädern, die über einen eigenen Onlineshop verkauft werden. Quelle: PR

Günstiger, nachhaltiger – und sofort verfügbar: Start-ups wollen den Markt für gebrauchte Fahrräder in Gang bringen. Und manche haben sogar eine Idee, wie sie die Lieferengpässe umgehen.

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Die Geschichte vieler Techunternehmen beginnt in einer Garage. Die von Ralph Gerald und seinem Start-up Refur Rad beginnt hingegen im Keller einer Mietswohnung in Dormagen: Vor gut drei Monaten hat der Gründer angefangen, hier alte Fahrräder wieder flott zu machen – und über einen Onlineshop zu verkaufen. Der Name von Geralds Unternehmen ist angelehnt an „Refurbishment“, den englischen Begriff für Sanierung oder Auffrischung. „Es landen sehr viele Fahrräder auf dem Schrott, die mit ein paar Handgriffen noch Jahre weiterverwendet werden können“, sagt der 30-Jährige.

Begonnen hat Gerald mit sechs Rädern, die Nachbarn ihm geschenkt haben. Weitere Spender findet er in Facebook-Gruppen. Für die Aufbereitung hat er sich ein kleines Team von Helfern aufgebaut. Mit der Hilfe von Business Angels will Gerald nun auf Wachstumskurs gehen. Aktuell verhandelt er mit Städten über Partnerschaften. Die Idee: Refur Rad will Fahrradleichen, die öffentliche Stellplätze blockieren, durch die Aufbereitung vor der Verschrottung bewahren – und wieder in den Wirtschaftskreislauf bringen. Aktuell finden sich 20 Räder im Onlineshop, das günstigste kostet 119 Euro. „Wir konzentrieren uns auf normale Alltagsräder“, sagt Gerald. Käufer lockt er mit einer dreimonatigen Garantie und einem kostenfreien Versand.

Boom trifft leere Lager

Gerald beweist ein Gespür fürs richtige Timing. Denn: Seit der Corona-Pandemie entdecken mehr und mehr Menschen das Fahrrad für sich – auch um überfüllte Busse und Bahnen zu meiden. Fahrradhändlern hat das im vergangenen Jahr Rekordumsätze beschert. Um mehr als 70 Prozent ist der Umsatz nach Angaben des Zweirad Industrie Verbands gestiegen. Ein gebrauchtes Rad ist nicht nur für Menschen mit schmalem Portemonnaie eine Alternative zum Neukauf. „Immer mehr Verbrauchern ist Nachhaltigkeit wichtig“, betont Gerald und verweist darauf, dass die Aufbereitung Ressourcen einspart und Emissionen vermeidet.

Hinzu kommt: Viele Neuräder sind aktuell ohnehin kaum zu bekommen, weil die Hersteller mit der Produktion nicht mehr hinterherkommen. Lieferengpässe treiben die Branche seit Monaten um: Fahrradrahmen bleiben im Containerstau stecken, viele Schaltungen sind ausverkauft – selbst einfache Ketten waren zwischenzeitlich kaum zu bekommen. „Irgendetwas fehlte immer“, sagt Marcus Diekmann, Co-Geschäftsführer bei Rose Bikes aus Bocholt. Manch genervter Kunde dürfte sich angesichts langer Lieferzeiten fragen, ob es wirklich das neueste Modell sein muss – zumal die Preise deutlich gestiegen sind.

Diese Situation lockt weitere Gründer an, die statt auf Neuware auf gebrauchte Fahrräder setzen. So ist im Juni mit Buycycle ein Marktplatz gestartet, der private Verkäufer und Käufer zusammenbringen will. Anders als bei Ebay Kleinanzeigen können Kunden wie in einem Onlineshop die Räder nach Ausstattung und Größe filtern. Die Zahlungen wickelt Buycycle ab und räumt Kunden ein Rückgaberecht ein, falls Angaben in der Produktbeschreibung falsch waren. Verkäufer lockt das Start-up damit, dass die Anzeigenerstellung leicht von der Hand geht: Für aktuell 50.000 Modelle werden Angaben zu technischen Daten automatisch erstellt. Zudem unterbreitet die Software Preisvorschläge. Für den Versand stellt Buycycle Verpackungen und organisiert eine Spedition.

„Die ersten Monate haben uns sehr darin bestärkt weiterzumachen“, sagt Theo Golditchuk. Der einstige Unternehmensberater hat die Fima zusammen mit zwei ehemaligen Kommilitonen gegründet, alle drei sind begeisterte Rennradfahrer. „Besonders Anfänger brauchen nicht das allerneueste Modell – sie finden im Wirrwarr allgemeiner Marktplätze aber kaum das passende.“ Buycycle gibt an, bisher 200 Räder verkauft zu haben, der Durchschnittspreis liege bei 1.600 Euro. Bisher finden sich im Shop ausschließlich Rennräder und Gravelbikes, im kommenden Jahr sollen E-Bikes und Mountainbikes hinzukommen. Der Anspruch: „So wie Mobile.de bei Autos wollen wir die erste Anlaufstelle für den Handel mit gebrauchten Fahrrädern werden“, sagt der Gründer.

Leasing hilft beim Nachschub

Der erste Versuch, Ebay Kleinanzeigen mit einem spezialisierten Marktplatz für Fahrräder Kunden abzutrotzen, ist Buycycle indes nicht. Mit demselben Ansatz war in Deutschland lange Bikesales unterwegs. Doch nachdem Gründer Axel Donath 2018 aus dem Unternehmen ausgestiegen war, hat sich das Unternehmen zum direkten Fahrradverkäufer gewandelt. „Es ist sehr kapitalintensiv einen funktionierenden Marktplatz aufzubauen“, sagt Donath heute. Vor allem ins Marketing müsse viel investiert werden, um genügend Kunden zu erreichen. Zudem sei es schwer, Angebot und Nachfrage in die Waage zu bringen.

Losgelassen hat Donath die Sache nicht: Mit seinem neuen Start-up Bravobike setzt er auf die Aufbereitung von Fahrrädern, die über einen eigenen Onlineshop verkauft werden. Anders als Refur Rad zielt das Münchener Start-up aber auf hochpreisige Fahrräder. Die Räder bezieht Bravobike statt von Privatverkäufern überwiegend von Herstellern und Leasinganbietern. Eine enge Kooperation gibt es etwa mit JobRad, das Unternehmen ist zudem als Investor bei Bravobike an Bord. „Noch vor wenigen Jahren gab es in der Branche nur Widerstände gegen den Gebrauchtradmarkt“, sagt Donath. „Jetzt sind die Unternehmen froh, wenn sie die wachsende Menge an Leasingrückläufern vermarkten können.“

Auf mittlerweile 60 Mitarbeiter ist Bravobike angewachsen, dem Gründer zufolge verdoppelt sich der Umsatz jährlich. Ein Schlüssel dafür, dass sich das vergleichsweise margenschwache Geschäft lohne, sei der hohe Standardisierungs- und Automatisierungsgrad. Die Aufbereitung ist wie am Fließband nach Stationen sortiert: Einige Mitarbeiter kümmern sich um die Funktionsprüfung, andere um die Reinigung, wieder andere ums Fotografieren und Verpacken. An verschiedenen Stellen gebe es automatisierte Wirtschaftlichkeitsberechnungen, sagt Donath. Müssten zu viele Komponenten ersetzt werden oder sind die Preise auf dem Zweitmarkt im Keller, wird das Rad früh aussortiert. „Wir müssen jeden unnötigen Arbeitsschritt vermeiden.“

Der Vorteil der Aufbereitung aus Kundensicht: Sie können davon ausgehen, dass jedes Rad tatsächlich in einem guten Zustand ist – und müssen nicht den Angaben eines privaten Verkäufers vertrauen. Das Sicherheitsbedürfnis mancher Kunden treibt auch Buycycle um. Das Start-up bietet Verkäufern deswegen bereits an, ihre Räder zur Inspektion in Partnerwerkstätten zu geben. Der Nachweis wird dann im Shop besonders gekennzeichnet. Eine eigene Wiederaufbereitung ist ebenfalls Teil des Businessplans. Um das Geschäftsfeld aufzubauen, will das Gründertrio bis zum Jahresende eine neue Finanzierungsrunde abschließen.

Geldgeber satteln auf

Die Chancen, Investoren zu finden, stehen für Start-ups aus der Branche besser denn je. So haben junge E-Bikehersteller wie Vanmoof oder Cowboy zuletzt viele Millionen einsammeln können. Dass auch der Handel mit gebrauchten Fahrräder Interesse von Geldgebern weckt, macht ein US-Start-up vor: The Pro’s Closet hat vor einem halben Jahr erst 40 Millionen Dollar von Investoren bekommen. In Deutschland hatte zuletzt Rebike eine Finanzspritze erhalten: Die Münchener verkaufen gebrauchte E-Bikes – und sorgen selbst für Nachschub, indem sie parallel einen Abo-Dienst für brandneue Fahrräder betreiben.

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Gebremst werden die Anbieter derzeit allerdings von den Lieferengpässen in der Branche: 300 bis 400 Fahrräder, schätzt Donath, stehen bei Bravobike derzeit ungenutzt im Lager – weil Komponenten für die möglichst originalgetreue Wiederaufbereitung fehlen. „Die Kunden würden sich beschissen fühlen, wenn wir plötzlich eine vollkommen andere Schaltgruppe verbauen“, sagt der Gründer. Mehr Spielraum hat da Refur Rad mit seinen Alltagsrädern. „Wir nutzen so viele gebrauchte Komponenten wie möglich“, sagt Gerald. Ziel sei es, den Anteil neuer Teile unter zehn Prozent zu halten. „Im Zweifel machen wir aus fünf kaputten Bikes eben eines, das funktioniert.“

Mehr zum Thema: Gestörte Lieferketten führen in der deutschen Industrie zu einer neuen Mangelwirtschaft – und eine Entspannung ist weiter weg als viele denken. Lesen Sie hier die ausführliche Titelgeschichte.

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