Regeln fürs Homeoffice Homeoffice-Paradies Portugal verordnet Chefs abends Stille

Portugal ist bei Digitalarbeitern ohne festen Arbeitsplatz sehr beliebt, auch die rechtlichen Rahmenbedingungen wurden um den Schutz der Privatsphäre nach Feierabend erweitert. Quelle: imago images

Portugal ist ein Hotspot für digitale Nomaden. Deshalb hat die Regierung nun umfassende Regeln fürs Homeoffice verabschiedet: Chats und Mails zum Feierabend sind tabu. Aber auch Angestellte haben nun bestimmte Pflichten. Deutschen Unternehmern geht das zu weit.

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Der Immobilienberater Matthias Meindel hält wenig davon, sich von der Regierung vorschreiben zu lassen, wann er seine Angestellten anruft, anchattet oder anmailt: „Die digitalen Nomaden, von denen ja auch einige in Portugal leben, arbeiten nicht mehr nach Arbeitszeiten, sondern nach Pensum“, sagt der Unternehmer, der selbst zwischen Mallorca und Leipzig pendelt und sein Team vor allem über digitale Wege steuert. 

Gerade hat Portugal ein Gesetz eingeführt, das auch Strafen für Unternehmen für den Fall vorsieht, dass diese wiederholt die Privatsphäre ihrer Angestellten verletzen – etwa wenn sich der Chef in den späten Abendstunden noch mal meldet. Die Regel ist Teil eines weitgefassten Maßnahmenkatalogs zum Homeoffice. Denn Telearbeit wird nun auch in dem Land, in dem die Impfquote deutlich höher und die Inzidenzen weit niedriger liegen als in Deutschland, wieder häufiger praktiziert, vor allem von Ausländern, die das Land als Lebensstandort wählen und ihr Büro nach Lissabon, Faro oder Porto verlegen.

Die Portugiesen haben die Verabschiedung der neuen Regeln kaum wahrgenommen, international aber hat das Kontaktverbot nach Feierabend die Schlagzeilen bestimmt – und teilweise für Häme gesorgt.

Für Meindel ist klar, dass Arbeitszeiten sich mit der digitalen Welt geändert haben: „Es wird ja gerade der Versuch unternommen, dass Mitarbeiter auch nachts arbeiten, wenn die Kinder im Bett sind. Wie soll der Chef bei diesem Modell wissen, ob und wann er eine Nachricht oder E-Mail schreiben darf? Das, was die Portugiesen da verabschiedet haben, ist alles andere als zeitgerecht und schon gar nicht modern“. Die portugiesische Linkregierung sieht das anders: „Die Pandemie hat die Notwendigkeit beschleunigt, zu regulieren, was reguliert werden muss“, erklärte Arbeitsministerin Ana Mendes Godinho auf dem in Lissabon jährlich stattfindenden Web Summit. In Deutschland gibt es dagegen bisher weder eine spezielle gesetzliche Regelung noch ein Recht auf Homeoffice wie ab sofort in Portugal.

Deutschland ist kein Hotspot für digitale Nomaden

Während in Deutschland wegen seiner klimatischen Verhältnisse und hohen Lebenskosten aber auch nur diejenigen ihr Homeoffice einrichten, die ohnehin dort leben, hält Mendes Godinho „Portugal für einen der besten Orte der Welt für digitale Nomaden und Telearbeiter“ – und betont: „Aber nicht alle haben den Platz und die notwendige Internetverbindung zu Hause.“ Das gerade verabschiedete Gesetz sieht wie in Spanien vor, dass Unternehmen die durch die Telearbeit verursachten Kosten wie Strom- und Internetrechnungen mitfinanzieren müssen.

Außerdem soll der Eingriff des Arbeitsgebers in die Privatsphäre dadurch geschützt werden, dass nicht einfach per Zoom Gespräche aufgezeichnet werden können, Fotos verlangt oder Kontrollanrufe stattfinden können. Der Arbeitgeber kann den Arbeitsplatz allerdings besichtigen, um zu prüfen, ob er den Sicherheitsstandards des Unternehmens entspricht. Zudem gibt es in Portugal jetzt eine Pflicht, dass die Arbeitnehmer sich mit ihrem Vorgesetzten mindestens einmal alle zwei Monate persönlich treffen. Das Kontaktverbot nach Feierabend entspricht nach Ansicht der deutsch-spanischen Rechtsanwältin Katharina Miller zudem dem Wunsch vieler Arbeitnehmer, Machtspiele und sexuelle Belästigung von Vorgesetzten vorzubeugen. In Spanien gebe es diese „Offline“-Regel nach Arbeitsschluss schon seit 2018. In Frankreich dürfen seit 2017 E-Mails, die nach Feierabend eingehen, unbeantwortet bleiben.

Luís Henrique vom portugiesischen Unternehmerverband CIP findet viele dieser neuen Regeln grundsätzlich richtig, wünscht sich aber, dass wie in Deutschland freie Regelungen zwischen Tarifpartnern möglich sein sollten: „Schon allein deswegen, weil es Branchen oder Arbeitsplätze gibt, wo es notwendig ist, rundum die Uhr online zu sein. Das muss berücksichtigt werden.“ 

Portugal lockt mit sonnigem Homeoffice – plus Visum

Einer Umfrage zufolge, die die Markforscher Gartner Anfang des Jahres durchführen, werden Menschen, die mal an dem einen, mal an dem anderen Ort ihre Arbeit erledigen, bis Ende dieses Jahres 32 Prozent der globalen Belegschaft ausmachen, verglichen mit 17 Prozent im Jahr 2019. „Regeln scheinen deswegen immer notwendiger in dieser grenzenlos digitalen Welt, gerade um Machtmissbrauch zu vermeiden“, sagt Anwältin Miller. Sie glaubt jedoch, dass Deutschland auch ohne einen spezifischen Homeoffice-Katalog ganz gut vorbereitet sei, um Angestellte zu schützen. Über die Gesetze zum Arbeitsschutz und über den Betriebsrat seien viele Dinge bereits für das Homeoffice abgedeckt.  

In Portugal arbeiten nach Schätzungen der spanischen Caixabank bereits mehr als 30 Prozent der Arbeitnehmer im Homeoffice. In Deutschland gehen verschiedene Schätzungen dagegen nur von etwa 20 Prozent aus. Die Pandemie hat den Wunsch nach Homeoffice im Süden bei vielen jedoch verstärkt. Reiseveranstalter wie TUI haben schon vor einem Jahr mit Packages für digitale Nomaden in Portugal geworben, wo es auch viele Deutsche hinzieht.

Lissabon ist einer Umfrage des britischen Ferienportals Holidu zufolge weltweit auf Platz drei bei den Telearbeitern, europaweit sogar Nummer eins. Porto liegt auf Platz 28. Auch Barcelona und Madrid schneiden gut ab, deutsche Städte sind allerdings nicht unter den Top-30-Städten für digitale Nomaden. Dafür, das Homeoffice in Portugal einzurichten, sprechen nicht nur Wetter und niedrige Lebenskosten. Die aktuelle Linksregierung hat ein spezielles einjähriges Visum für Nicht-EU-Bürger lanciert. Und bereits kurz nach seinem Regierungsantritt 2015 startete der amtierende Premier António Costa zudem ein steuerlich attraktives Programm für wohlhabende Expats und ausländische Investoren, das Portugal de facto zum Steuerparadies mitten in Europa gemacht hat - und das Land wirtschaftlich enorm voranbrachte. Die Arbeitslosigkeit konnte von 16 auf 7 Prozent gesenkt werden. Portugal  steht damit wesentlich besser da als der größere Nachbar Spanien.

Deutschen Unternehmern gehen die portugiesischen Regeln zu weit

Der Unternehmensberater und Gründer Stefan Maier vom mittelständischen IT-Dienstleister Prior1 in Bonn hält die neue Regelung der Portugiesen dennoch für überzogen und wünschte sich für Deutschland, dass es nicht notwendig wäre, normale Umgangsformen gesetzlich festzulegen: „Ich finde, es sollte eigentlich klar sein, dass zu bestimmten Uhrzeiten nicht mehr gearbeitet wird.“ Seine rund 75 Mitarbeiter arbeiten immer wieder auch auf internationalen Einsätzen. Für ihn brauche es nicht immer gleich neue Gesetze. Maier ist ein Verfechter der Gemeinwohlökonomie, sein Unternehmen ist eines der wenigen in Deutschland, die inzwischen auch nach diesen Standards bilanzieren und unabhängig geprüft werden: „Natürlich ist ein Arbeitgeber, der die Privatsphäre seiner Mitarbeiter nicht respektiert, kein guter Chef oder keine gute Chefin - und das würde in dieser Bilanz Minuspunkte geben“.

Maier denkt deswegen, dass Vorgesetzte selbst wissen sollten, wenn sie Grenzen überschreiten: „Ich selbst kommuniziere zum Beispiel nie mit Mitarbeitern über Messengerdienste“.

Mehr zum Thema: Arbeiten von zu Hause aus – das bedeutet in vielen Fällen auch: allein mit sich sein, sich selbst organisieren und keinerlei Kontrolle. Wie gut das gelingt, hängt auch von der Persönlichkeit der Mitarbeiter ab. Wem Homeoffice leicht fällt – und wem nicht.

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