Enthüllungen Menschliche Abgründe bei Microsoft

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Mit der Zeit änderte sich Bill und mein Verhältnis. Er schaute nicht mehr regelmäßig bei mir im Büro vorbei, und ich verhielt mich ebenso. Ich hätte mich überwinden und ihm klipp und klar sagen sollen, dass mit ihm zu arbeiten manchmal die reinste Hölle war. So blieb ich mit meinem Groll auf ihn allein, und wir taten nichts, um unser Verhältnis zu klären.

Am 1. Juni 1982 beschloss ich, Bill in einem Brief mitzuteilen, was mir auf dem Herzen lag: „Vor etwa zwei Monaten kam ich zu der schmerzhaften Erkenntnis, dass es für mich an der Zeit ist, Microsoft den Rücken zu kehren. Ich kann deine Einschüchterungen und Schimpftiraden nicht länger ertragen, in die du jedes Mal ausbrichst, wenn ich versuche, eine strittige Frage mit dir zu besprechen. Diese Ausbrüche machen eine weitere Zusammenarbeit unmöglich.“

Am 12. September 1982 flogen Bill und ich zu einer Pressereise nach Europa. Als wir am 20. September in Paris ankamen, fühlte ich mich erschöpft. Es fühlte sich an, als hätte mich eine Grippe erwischt, außer dass ich kein Fieber bekam. Irgendwie überlebte ich eine Pressekonferenz, doch dann konnte ich nicht mehr. Ich flog nach Hause zu meinem Arzt, der meinen Hals abtastete und mir dann sagte: „Wir sehen uns morgen früh zur Biopsie.“

Vom Schicksal betrogen

Am 25. September wurde die Biopsie durchgeführt. Nachdem ich aus der Narkose aufgewacht war, kam der Chirurg in mein Krankenzimmer und sah mich mit finsterem Blick an. „Herr Allen“, sagte er, „ich habe so viel wie möglich herausgeschnitten, aber unsere Erstdiagnose lautet Lymphom.“

Ich wusste nur, dass es eine Form von Krebs war, aber viel mehr nicht. Damals lag die Sterberate bei dieser Diagnose bei 50 Prozent. Ich versuchte an der Möglichkeit, bald zu sterben, etwas Positives zu sehen. Immerhin hatte ich gute 29 Jahre erlebt, aber es half nichts. Ich fühlte mich vom Schicksal betrogen. Ich wollte noch so viel entdecken und erleben.

Am nächsten Morgen traten der Onkologe und der Chirurg gemeinsam an mein Bett und grinsten mich an. „Wir haben gute Nachrichten für Sie“, sagte der Chirurg. „Sie leiden an Morbus Hodgkin.“ Nach einer sorgfältigen weiteren Analyse waren sie jetzt zu einer anderen Diagnose gekommen. „Die Heilungschancen liegen bei etwa 95 Prozent, sofern die Krankheit rechtzeitig entdeckt wird“, fuhr er fort.

Nun begann meine Therapie. Sechs Wochen lang musste ich mich an fünf Tagen die Woche bestrahlen lassen.

Statt vernünftig zu sein und mir freizunehmen, ging ich mehrmals wöchentlich am Nachmittag ins Büro, weil ich nicht aus der Übung kommen wollte. Das war die Unternehmenskultur von Microsoft: Es gab keine Entschuldigung, von der Arbeit fernzubleiben, man war ihr verpflichtet. Punkt.

"Ihnen ging es nur ums Geld"

Ende Dezember 1982 bekam ich eines Abends von meinem Büro aus zufällig mit, dass Bill und Steve Ballmer, damals Manager von Microsoft, sich in Bills Büro über etwas ereiferten. Ich wollte wissen, worum es ging, trat vor seine Tür und lauschte ihrer Unterhaltung.

Nach wenigen Augenblicken wusste ich Bescheid. Sie beklagten sich, dass meine Produktivität nachgelassen hatte, und überlegten, ob sie meine Anteile an Microsoft schmälern könnten, indem sie Kaufoptionen für sich selbst und andere Anteilseigner herausgaben.

Mir war klar, dass ihnen dieser Gedanke nicht erst soeben eingefallen war. Ich konnte mir das nicht länger anhören, platzte mitten in ihr Gespräch und schrie sie an: „Ich fasse es nicht! Jetzt zeigt ihr euer wahres Gesicht! Und daran wird sich nie etwas ändern!“ Dabei blickte ich allerdings nur Bill an. Auf frischer Tat ertappt, fiel ihnen nichts zu ihrer Verteidigung ein. Ich sah mir das kurz mit an, drehte mich dann auf dem Absatz um und ging.

Auf der Heimfahrt rief ich mir ihr Gespräch wieder und wieder in Erinnerung, und es wurde von Mal zu Mal schlimmer. Ich war einer der Gründer von Microsoft, gehörte zur Firmenspitze, auch wenn ich krankheitsbedingt nicht auf dem Höhepunkt meiner Schaffenskraft war, und nun schmiedeten mein Partner und mein Kollege Pläne, wie sie mich über den Tisch ziehen konnten. Ihnen ging es nur ums Geld, und jetzt war die Gelegenheit günstig. Meine Entscheidung, das Unternehmen zu verlassen, fiel mir jetzt leichter.

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